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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 6. 2010 - 21:21

WM-Journal '10-24.

Wie das mit der Verächtlichmachung schon wieder nicht funktioniert. Und wie da die Rolle Brasiliens in diesem Spiel rund um Nordkorea ausschaut.

Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel.
Hier auch in der schönen Übersicht.

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, immer gegen Mittag.

Die Fakten zum Spiel Brasilien - Nordkorea 2:1.

Offizielles: die FIFA-Seite und die WM-Spezial-Site der Sport-Kollegen.

Alle FM4-Stories zur WM, alle Rundherum-Geschichten aus Südafrika.

Selbst von Kollegen anderer Medien besuchtes und gelobtes Public Viewing beim FM4 WM Quartier im Wiener WUK

Es ist so berechenbar.
Was passiert, wenn man jemanden Kleinen öffentlich verspottet, vor allem in Duellen mit Großen.
Ein sofortiger Solidarisierungs-Effekt.

Nein, ich spreche nicht von Arigona vs Mitzi.
Auch wenn's da ähnlich funktioniert.
Aber dieses Duell hat schon so viel Geschichte, dass irgendwann auch was anderes mitschwingt und die Stimmung kippen lassen kann. Weil sich nämlich im Fall der Angst vor eindringenden Fremden und Job- und Leib- und Leben-Wegnahme der Österreicher schneller den kleinen Hitler, der ihn ihm wohnt, hervorholt. Und darüber jegliche Menschlichkeit outsourct; am besten in Hilfsprojekte für arme Kinder in der 3. Welt.

Nein, es geht um Nordkorea, die Macht des Bösen und so. Nun ist man das dort ja tatsächlich und unbestreitbar; die politische Führung, die Machthaber.
Und selbstverständlich wird Sport instrumentalisiert; weltweit (auch von Lulas Brasilien, das zu den fünf größten Außenhandelspartnern Nordkoreas zählt) - und natürlich auch in Nordkorea selber.

Deswegen ist es schwer so ein Match ganz ohne Begleitmusik anzuschauen.

Arigona und die politisch Bloßfüßigen

Nur eines ist sicher, und es zeigt sich auch an diesem Abend wieder: Die Verteufelung, die sich in Form etwa des kronenzeitungsmäßigen Geiferns, aber auch des "Ich bin so lustig wie das Match"-mäßiger Verächtlichmachung äußern kann, schlägt zurück.
Automatisch.
Und zwar in dem Moment, wo der Zwerg dann passabel auftritt.

Das war bei Arigona so, als man sie das erste Mal sprechen hörte, und beglückt war, dass sich jede ihrer Einzelsätze über alles erhebt, was die ATV-Jugend in ihrer Gesamtheit zu sagen hat.
Und das war bei den Garniemandbodies aus der DVR Korea etwa ab der 20. Minute der Fall.

Als Brasilien nämlich zum etwa 22. Mal einfach nur ins Leere rannte und als die seltenen Gegenangriffe nicht nur lachhaft, sondern nach echtem Fußball zu riechen begannen, war es mit dem "Mach ma uns einen Karl mit den Bloßfügigen, weil bei denen dürf ma so richtig verbal draufhauen, weil die auch noch Achse-des-Bösen und so, vastehst?"-Modus vorbei.
Also nicht für die ATV-Jugend - aber die bekommt aus anderen Gründen nach Sonnenuntergang nur eine Selbstbespiegelungs-Realität mit, aber für den geneigten Fußball-Freund, der zwar ein politisches Gewissen hat, aber schlau genug ist nicht jede (spielerische) Äußerung einer Nationalmannschaft mit den (politischen) ihrer Regierung gleichzusetzen.

Unterton-Kommunikation

Nicht dass Nordkorea ab morgen unser bester Freund ist.
Aber - selbst wenn Brasilien sie in der 2. Halbzeit jetzt noch wegputzen sollte: morgen werden wir uns im Ton der Achtung drüber unterhalten. "Hast die g'sehen? Muss man auch erst einmal zambringen gegen die Brasilos!"

Achtung also, statt Verachtung.
Die Hetzer und Vorverächter haben also auf voller Linie versagt.
Das wäre, wenn man im Vorfeld weniger blöde Witze gerissen, und sich ein bissl besser vorbereitet hätte als nur ein 66er-Ergebnis zu memorieren, und das Reich des Bösen nicht der Lächerlichkeit preisgegeben hätte, nicht passiert.

Dann wäre ein gut präpariertes Fernseh-Volk nämlich mit ein bisserl Wissen (und so schwer ist das nicht in Erfahrung zu bringen gewesen und so schwer das zu kommunizieren ist's auch nicht) ins Spiel gegangen, das sie das Gesehene erwarten hätte lassen. Ganz ohne Häme, ganz ohne politische Untertöne, ganz ohne Verspottungs-Pläne.

Aber das ist ja deutlich zu viel verlangt.

Die sportliche Realität...

... holt uns dann ein - und es ist auch irgendwie gut so.
Denn natürlich braucht niemand ein brasilianisches Gestolper ins Turnier.
In der zweiten Halbzeit hat sich Elano, der vor der Pause noch eher als dritter defensiver Mittelfeldspieler mitgetrabt war, deutlicher dorthin orientiert, wo ihn der Coach hinwollte: linksaußen. Prompt liefen beide Tore über ihn/seine Seite.

Beim 1:0, den unglaublichen Treffer von Maicon, spielte er ihm den Ball schlau in den Lauf.
Und das zweite Tor gelang ihm selber - nach einem unglaublichem Quer- und Loch-Pass von Robinho.
Das üben die zwei ja schon seit der gefühlten Sandkiste: Elano, Robinho und auch der nichtnominierte Diego (früher Werder, jetzt Juve) waren schon als Buben ein gefürchtetes Dreieck beim FC Santos (wohin Robinho ja wieder zurückgekehrt ist) und haben dort schon diese Aktionen ausprobiert.

Dunga wurde im Verlauf des Spiels immer offensiver: zuerst die offensivere Aufgabe für Elano, dann Stürmer Nilmar für den angeschlagenen Spielmacher Kaka - schlussendlich, mit Dani Alves statt Elano, war das ein echt offensives 4-4-2, wagemutigerm, als es der Coach eigentlich will.
Aber: wenn's die Situation eben erfordert.

Dass sich die Koreaner erst ab der 86. Minute so richtig nach vorne trauen, wird zwar mit dem Anschluss-Treffer belohnt; mehr geht aber - zurecht - nicht.
Wenn die Soldaten des Kim Jong-il in den nächsten Spielen eine echte Chance haben wollen, müssen sie das ein wenig früher bewerkstelligen: Denn auch bei den beiden anderen Gruppengegnern ist mit Gegentoren zu rechnen.

Gruppe G, Runde 1, Fazit:

Wie erwartet:

Brasilien nicht spektakulär, aber doch die sicherste Bank.

Portugal ein Opfer der Überschätzungen, und vielleicht auch ihres schwindenden Selbstvertrauens.

Die Côte d'Ivoire darf sich nicht zu stark vom deutlich noch nicht fitten Didier Drogba abhängig machen lassen - und muss die internen Probleme (auf dem Feld und auch abseits davon) abstellen, dann geht noch was.

Und Nordkorea sollte den überzogenen Respekt vor dem fünffachen Weltmeister nicht zu den beiden anderen Gegnern mitnehmen.