Erstellt am: 15. 6. 2010 - 14:29 Uhr
WM-Journal '10-22.
Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel.
Hier auch in der schönen Übersicht.
Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, immer gegen Mittag.
Die Fakten zum Spiel Slowakei - Neuseeland 1:1.
Alle FM4-Stories zur WM, alle Rundherum-Geschichten aus Südafrika.
Offizielles: die FIFA-Seite und die WM-Spezial-Site der Sport-Kollegen.
Selbst von Kollegen anderer Medien besuchtes und gelobtes Public Viewing beim FM4 WM Quartier im Wiener WUK.
Frage: wie kann eine totale Außenseiter-Truppe wie Neuseeland, die etwa so weit von allem, was internationale Klasse ausmacht entfernt sind wie der Mars, sich gegen eine gutklassige europäische Mannschaft, deren Kicker in den großen Ligen spielen, so gut halten wie in dieser 1. Hälfte?
Weil sie den Maya-Kalender, ein Mojo oder Juju beschworen haben?
Weil sie auf ihre Natürlichkeit und ihren Instinkt vertrauen?
Weil sie "einfach Fußball spielen"?
Antwort: alles falsch (und das auf eine doof-bedrohliche Art, auf die ich bei einem Zeitfenster in einem Extra-Journal eingehen muss). Richtig ist: weil sie eine prima Taktik entwickelt haben.
Mannschaften wie Neuseeland, also die Kleinen, wissen ja, dass sie keine Chance haben gegen ein Team besser Ausgebildeter und in einer ständigen Kompetitivität stehenden Star-Profis. Es geht nur über ein schlaues System, eine gute Strategie/Philosophie und eine präzise eingestellte Taktik.
Einschub: so ein kleines Team ist auch das österreichische, fast immer. Das alles ist ja als Gleichnis für das heimische Problem zu verstehen. Einschub Ende.
Neuseeland sucht die Chance im System
Und genau das bringen Herberts Neuseeländer ins Turnier. Sie haben es, bei der Vorbereitung in Österreich, auch schon ausprobiert - ein wirklich präzis gestelltes 3-4-3 mit zwei solitären Außenspielern, zwei flexiblen Männern in der Zentrale und vor allem drei echten (und sehr englisch agierenden) Spitzen, die so viel Druck auf die gegnerische Defensive machen, dass der der Aufbau wirklich schwer fällt.
Dieses 3-4-3 stellt enorm viele Pass- und Laufwege zu, lässt also dem Gegner kaum Lücken; und es ist vertikal ausgerichtet. Der Ball wird fast nie quer, sondern immer nach vorne gespielt.
Entsprechend überfordert zeigte sich das slowakische Weiss-Team, das eh schon mit Vorsicht in ihre WM-Premiere gegangen war.
Natürlich sind die Nachbarn besser besetzt, verfügen über höherklassige Spieler und auch ein gutes System, eine gute Philosophie: aber solange sie nicht das Stückerl mehr riskieren, können sie die Neuseeländer nicht überwinden.
Die kitzeln also an den fehlenden 5-10%, dem entscheidenden Faktor. Und dort bewegt man sich auf Risiko-Terrain. Und das steht nicht im Game-Plan von Vladimir Weiss für dieses Spiel. Noch nicht.
Das erreicht zu haben, den Gegner an diese Grenze zu bringen, das ist schon der vielleicht bestmögliche Erfolg, den Neuseeland einfahren kann.
Bei der Slowakei fällt am ehesten der Trainersohn an der rechten Flanke auf. Hamsik, recht verhalten im zentralen Mittelfeld, gelingt noch wenig. Vittek-Sestak-Jendrisek zeigen noch zuwenig.
Die Slowaken spielen ein sehr flexibles 4-4-2, mit Strba in der defensiven Zentrale, leicht vor ihm eben Hamsik, mit Weiss rechts und Jendrisek links (die beiden rochieren dezent) und Vittek als hängender Spitze hinter Sestak. Die zentrale Achse ist also sehr beweglich.
Hilft alles nix, wenn man gegen den Außenseiter nicht ein wenig Risiko nimmt.
Tatsächlich nimmt die 2. Halbzeit...
nicht den erwarteten Lauf.
Die Slowakei bekommt schnell ein Tor geschenkt und beschließt danach, nichts mehr zu riskieren und eigentlich auch nichts mehr zu tun. Keine Rede von Risiko oder 5 oder gar 10%. Es scheint zu genügen, den durchaus limitierten Gegner zu beherrschen.
Weil aber, weiter mit der Ausnahme von Weiss junior, die gesamte Offensiv-Abteilung (und das sind immerhin insgesamt fünf Herren) nur halbherzig in die Konter geht, bleibt das Spiel offen.
Und weil sich Herberts All Whites weiterhin auf das wenige, was sie haben und können (also: ein klares System, und die Strategie mit langen Bällen, vor allem von den Seiten, die drei Stürmer zu füttern, zu spielen) konzentrieren und trotz scheinbar keiner Chance weitermachen, gelingt ihnen noch was.
Fünf Minuten davor hatte Shane Smeltz noch so einen Ball verköpft, in der letzten Minute der Nachspielzeit aber war er, der Mittelstürmer, es, der von der starken (sonst von Tony Lochhead beherrschten) linken Seite aus die gute Flanke gab - und Verteidiger Reid, der aus purer Verzweiflung in die Mittelstürmer-Rolle geschlüpft war, setzte den Kopfball dann perfekt.
Frage also, nochmal: wie kann eine totale Außenseiter-Truppe wie Neuseeland sich gegen eine gutklassige europäische Mannschaft so gut halten?
Antwort: weil sie eine prima Taktik entwickelt hat.
Gruppe F, Runde 1, Fazit:
Uj, ich habe kein wirklich starkes Team gesehen.
Italien hat in dieser eher schwächeren Gruppe immer noch die meiste Substanz.
Solange Paraguay die Schisser-Taktik spielt, werden sie, behaupte ich hier einmal, nicht aufsteigen.
Solange die Slowaken nicht aus sich herausgehen und endlich das spielen, was sie können, sie aber auch nicht.
Und: bei aller Liebe zu Neuseeland. Eine schlaue Taktik mag ein Remis in einem Spiel erringen. Sehr viel mehr wird nicht drin sein - dazu ist man dann doch zu limitiert.