Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "WM-Journal '10-21."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

14. 6. 2010 - 21:28

WM-Journal '10-21.

Gar keine italienische Nacht. Der künftige Ex-Weltmeister tut sich selbst gegen die faden Paraguayos schwer.

Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel.

Hier auch in der schönen Übersicht.

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, ab jetzt immer gegen Mittag.

Die Fakten zum Spiel Italien - Paraguay 1:1.

Alle FM4-Stories zur WM, alle Rundherum-Geschichten aus Südafrika, wie etwa Johnny Bliss' schöne Reportage.

Offizielles: die FIFA-Seite und die WM-Spezial-Site der Sport-Kollegen.

Public Viewing beim FM4 WM Quartier im Wiener WUK.

Das enttäuscht.
Das kann wenig.
Dabei hat man sich vom angekündigten 4-3-3 eine Menge erwartet, aber dann ist nur ein einzelner Außenspieler irgendwie aktiv.
Alle anderen werfen nur ihre Körper rein, legen keinen Wert auf genaue Passes oder einen intelligenten Offensiv-Einsatz.

Bevor du zustimmst, LeserIn: ich spreche von Paraguay.
Denn in die hatte ich keine übergroße, aber doch eine mittlere Erwartung. Dass sie nämlich mit Nelson Valdez hinter den Killerspitzen (Lucas und Roque, von mir aus auch Oscar Cardozo) antritt und mit einem flotten 4-3-3 gerade die Italiener, die Großmeister dieses Systems, überrascht und düpiert.
Was aber tut Martino? Er stellt das fadeste 4-4-2, das es gibt auf den Platz - fantasieloser hätte das auch ein österreichischer Coach nicht machen können.
Ja, man führt zur Halbzeit 1:0 - aber Spiel ist das keines, was die Rot-Blau-Weißen da aufziehen.

Es ist ihnen nur deshalb zu verzeihen, weil der Schiss, den man, vor allem in Südamerika, vor den Italienern hat, halt alles andere überragt. Deshalb: Enttäuschung, aber kein Vorwurf.

Von Italien habe ich nichts erwartet.
Dewegen geht das, was sie da im Regenguss von Cape Town auf den glitschigen Rasen legen, auch in Ordnung.

De Rossi und Montolivo sichern vor der Abwehr ab - meist den leeren Raum, weil in der Zentrale der Paraguayos ist ja keiner (vielleicht auch ein Trick von Martino, den ich übersehen habe, ich beginne zu begreifen...) - davor ist Marchisio in der Pirlo-Rolle des Einfädlers naturgemäß überfordert. Gilardino hab' ich immerhin gesehen, Iaquinta nicht. Und Pepe ist rechts vorne bemüht, aber mehr gibt's auch wieder nicht.

Italiens 4-3-3 ist ja auch ein eher schleppendes 4-5-1, so weit lassen sich die Außenspieler zurückfallen, so wenig kommt vom Mittelfeld-Dreier. Und die Außenverteidiger? Zambrotta rechts brav, den werden sie eines Tages auf dem Spielfeld erschießen müssen, weil er nicht rechtzeitig aufhören wird können, aber links? War da überhaupt einer?

Allerdings hat dort auch Paraguay niemanden - die leben auch nur über ihre linke Achse, über Morel hinten und Aureliano Torres vorne. Dass der den Freistoß zum Tor schoss, ist also auch mehr als okay.

Bewegung bei Bedrohung

Es muss immer was passieren, damit was passiert.
Italien muss peinlich lange hinten liegen, damit umgestellt wird.

Erst in der 60. Minute traut sich Lippe, sein erfolgloses Ding aufzulösen. Davor hatte er gedacht, es würde reichen, Pepe und Iaquinta an den Flanken Platz tauschen zu lassen. In einer lebendigen Mannschaft (siehe Japan heute nachmittag) sind solche Rochaden der Normalfall, die Regel - und bedürfen keiner Trainer-Intervention. Das ist ein Zeichen für echte Armseligkeit.

Goal-Gott Buffon plagt der Ischias, er musste in der Halbzeit raus - ein Spiegelbild seiner Saison, und auch ein Symbol für die Verfassung der alternden Mannschaft.

Also: Camoranesi, der alte Zopf, der nicht ganz so kaputt ist wie Pirlo und Gattuso, die nur als traurige Maskottchen auf der Bank sitzen, kommt rein und spielt einen rechten Antreiber im Halbfeld in einem neuen 4-4-2 (Pepe links, Gila und Iaquinta vorne. Die zwei defensiven im zentralen Mittelfeld, die keine Gegenspieler haben, bleiben.
Hat Lippi Angst, dass es Cannavaro in der Abwehr-Zentrale nimmer derblast (krankelisch für: schafft)?
Es gab einen Moment in der 54., da mühten sich vier Abwehrspieler gegen einen einzelnen Valdez und hatten ihn nicht im Griff - insofern...

Immerhin brachte diese dann doch praktikablere Umstellung ein wenig mehr Energie nach vorne, auch, weil Montolivo nicht mehr ganz so verkrampft nur hinten herumstapfte und weil De Rossi eben De Rossi ist: gern an der richtigen und wichtigen Stelle.

Kein Ruhmesblatt also vom Sicher-Nicht-Co-Favoriten.

Die Nummer 1 in den Charts

ist allerdings Paraguay. Und zwar in meinen aktuellen Charts der Enttäuschung.
Ja, es gab weitaus beschämendere und schwächere Leistungen.

Was ich mir nicht gedacht hätte, um auch was Positives zu sagen: dass Paraguay auf die alten Helden, auf Caniza und den anderen Caceres verzichtet hat - denen wäre das heutige hohe Tempo vielleicht nicht bekommen. Tormann Bobadilla bekommt vielleicht noch seine Chance - Villar wackelt durchaus.

Aber: was die Diskrepanz zwischen Leistungs-Fähigkeit, Können und der Umsetzung betrifft - nach diesem Index sind die Blau-Roten weit vorn, bei mir eben.

Außerdem griff Trainer Tata Martino enorm in den Gatsch. Und zwar praktisch zeitgleich mit der Camoranesi Umstellung.
Er nahm - ganz ohne Not - seinen besten Mann, den linken Attackanten Torres, vom Feld, um ihn durch Santana (kennt man von Wolfsburg) zu ersetzen. Der fiel danach einmal auf, als er einen Barrios-Cross nicht erwischte, aber - vor allem: auf seiner Seite - sonst das ganze restliche Spiel nicht mehr.

Sich selber seiner starken Seite zu berauben - da gehört einiges dazu. Martinos Spieler bemühten sich redlich: Alcaraz und Da Silva wechselten in der Innenverteidigung die Plätze, als Italien auf zwei Spitzen umstellte, Caceres und Viveiros zentral spielten überaus intelligent, Bonet und Vera kamen rechts immer besser in Fahrt - aber auch hier wurde eines deutlich: innerhalb eines Scheiß-Systems sind auch die besten Akteure nicht wirkungsfähig.

Es wird von unseren unbekannten Lieblings-Nachbarn, der Slowakei, abhängen, wie diese beiden doch bescheidenen Leistungen final zu bewerten sind - bis morgen also!