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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 6. 2010 - 14:15

WM-Journal '10-16.

Kontraproduktive Überheblichkeit. Am Beispiel des "kleinen" Spiels Algerien - Slowenien.

Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel.

Hier auch in der schönen Übersicht.

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast. Heute aus technischen Gründen verspätet, sorry dafür!

Die Fakten zum Spiel Algerien - Slowenien.

Alle FM4-Stories zur WM, alle Rundherum-Geschichten aus Südafrika, wie etwa Johnny Bliss' schöne Vorort-Reportage.

Offizielles: die FIFA-Seite und die WM-Spezial-Site der Sport-Kollegen.

Public Viewing beim FM4 WM Quartier im Wiener WUK.

Vielleicht stört das ja nur mich. Und: bei den deutschen oder den schweizerischen Übertragern wär es mir, würden die das auch tun, gar nicht aufgefallen; auch weil dort der Vergleich mit der eigenen Nationalmannschaft eben auf Turnier-Level stattfindet.
Aber: wenn sich in heimischen Medien Überheblichkeit WM-Teilnehmern gegenüber auftut, dann bin ich versucht den Arzt zu rufen. Weil ich um die Gesundheit besorgt bin.

Irgendwie spreche ich, und vielleicht tu das ja nur ich, "Experten", die taktische Aufstellungen falsch ansagen und deshalb etwa den linken Mittelfeld-Spieler als Regisseur ausweisen, weil der ihnen halt im Zentrum angekündigt waren, das Recht auf eine Real-Beurteilung des Spiels ab.

Und, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall von Algerien gegen Slowenien um ein schnelles Hin und Her handelt, bei dem beide Teams zwar Schwächen beim finalen Pass, aber Rasanz, Willen und Vielseitigkeit im Versuch sowie einen deutlichen Hang zum vertikalen Spiel aufweisen, dann erwarte ich mir von einer brauchbaren Analyse zumindest den Hinweis auf diese Tatsachen. Und zwar weil genau das bei österreichischen Länder- und Bundesliga-Spielen so gut wie nie stattfindet, dort aber von desselben Kommentierern auf unangehmene Weise schöngeschwindelt werden.

Wer die eigene Ware dauernd peinlich schönquatscht, schweigt besser, wenn andere nicht brillieren

Also: Wer einen jeden Furz, der bei Bundesliga-Übertragungungen gelassen wird, lang und breit marktschreit, der hat die verdammte Pflicht auch ein mittelmäßiges WM-Spiel, das die Niveaulage der Liga (vom weit dahinter agierenden Nationalteam erst gar nicht zu reden) trotzdem noch deutlich überschreitet, angemessen zu präsentieren. Ohne sich dann auch noch die Obszönität zu erlauben, dieses Spiel mit der Schande von Gijon zu vergleichen; dessen Opfer damals ja Algerien war. Geschichtliche Reinwaschung im Nachhinein, quasi.
Aber, wie gesagt, vielleicht seh ja nur ich das so.

Vielleicht ist es für ein Vorwärtskommen des österreichischen Fußballs und seinem ebenso darniederliegenden Journalismus aber auch notwendig, dass man alles, was vergleichsweise Mittelmaß darstellt, einfach als uninteressanten Mist abwürgt.

Das können sich, denke ich aber, die Bayern oder Italiener leisten, aber nicht die Österreicher, die im seltenen Fall das Mittelmaß gerade einmal so erreichen.

Ich denke also, dass die Relationen hier nicht stimmen, und dass das ein Zeichen dafür ist, warum der heimische Fußball in seiner Philosophie so weit hinterherhatscht - und weshalb die Unseren aktuell fernsehschauen und nicht in Polokwane auflaufen dürfen.

Und: lustigerweise ist es ja genau das, worüber wir uns dann im Umkehrfall gern beschweren, wenn es uns selber betrifft; das Nicht-Ernstnehmen der Kleinen aus Prinzip, ohne Nachzudenken.

Als Selber-Kleiner sollte man halt das Hirn (und auch das Herz) einschalten, und noch mehr nachdenken ob man jetzt einen anderen Kleinen verhöhnt.

Vor allem wenn beide Teams klar besser als das eigene sind

Die Qualität der Vereine, bei denen die Akteure dieser beiden Teams beschäftigt sind, überragt die der ÖFB-Teamspieler doch deutlich. Warum ist das wohl so?

Sowohl Algerien als auch Slowenien stehen in diesem ihrem ersten WM-Spiel taktisch nämlich so gut wie Österreichs Team zuletzt vielleicht einmal in den 90ern.
Beide Mittelfeldreihen unterstützen die Abwehrketten ungeheuer effizient und sind trotzdem fähig umzuschalten und nach vorne zu agieren. Zwei breit aufgestellte Manschaften spielen also vertikal.
Das alles sehe ich in Österreich so gut wie nie; auch nicht auf diesem, international durchaus mittelklassigem Niveau.

Lustigerweise schließt das nächste Spiel, das "große" Match Ghana - Serbien - zumindest die erste Halbzeit - dann exakt an das eben Gesagte an. Dort überwiegen die Klischee-Bilder aus den Zuschreibungen, um aus einem auch matten Match in unseren Köpfen einen tollen Kick zu zaubern.
Besser als in diesem Doppel kann man das nicht vorführen...

Wer hier also den großen Max markiert und sich, als Österreicher, über dieses Spiel erheben möchte, zeigt (unabsichtlich) nur die Zwergenhaftigkeit seines Denkens und seiner Einstellung. Und erklärt damit direkt die geistige Mangelwirtschaft des heimischen Fußballs, dessen Aushängeschild eben nur ein geistig dick und unbeweglich gewordener, verbal unbegabter und inhaltlich überheblicher "Experte" ist, der seine vergangenen Leistungen glorifiziert und mit der aktuellen Realität so befasst ist wie eine Amtsrats-Parodie. Und damit meine ich dezidiert nicht die Ausnahme-Erscheinung Roman Mählich.

Sportlich
lässt sich folgendes festhalten: zwei solide defensiv ausgerichtete und intelligente Truppen neutralisieren sich. Algerien nimmt, vor allem jeweils zu Beginn der Halbzeiten, das Heft des Handelns in die Hand. Slowenien übt sich auch in diesem Spiel in der Rolle des Underdogs.

Bei Algerien hat sich der Umbau 2.0, der Einsatz diverser Beute-Franzosen der 2. Generation (Lacen, Kadir, Djebbour) genau nicht gelohnt - sie waren die Schwächsten.

Was Tormann Chaouchi kann oder nicht kann, steht schon hier im africacup-Weblog.

Das Tor, das den Unterschied macht, ist ein Witz, die restlichen Chancen waren gut verteilt, Algerien war sogar nach dem dummen Ausschluss von Ghezzal das dominantere Team, brachte aber zuwenig Druck nach ganz vorne.

Andererseits: das lässt sich eben auch genauso von den Gruppengegnern Slowenien und USA sagen, die auch nix Effektives vorzuweisen hatten.

Gruppe C, Runde 1, Fazit:

England ist trotz seiner gezeigten Schwächen das kompletteste und aktivste Team der Gruppe - und es kann auch abschließen.

Die USA haben ihre Grenze schon aufgezeigt bekommen - da ist nicht mehr viel Luft nach oben. Sie sind deshalb aktuell die eigentliche Enttäuschung dieser Gruppe.

Slowenien hat sich mit Glück in seiner Rolle als Gruppen-Destruktivus behauptet.

Algerien hat der kurzfristige Hauruck-Neuaufbau nichts gebracht - die alten Schwächen sind geblieben.