Erstellt am: 12. 6. 2010 - 15:43 Uhr
Einblicke in ein Paralleluniversum
Das berühmter Berliner Ausgehleben, das jedes Wochenende tausende Technotouristen zum Feiern nach Berlin zieht, wurde ja schon von Tobias Rapp in seinem Standardwerk "Lost an Sound" gewürdigt und analysiert: Billigflieger haben die Ausgehkultur umgewälzt, zahlreiche Djs und Produzenten sind hierher gezogen, zwei Grundpfeiler dieses Ausgehlebens sind der Club “Beghain” und die Bar 25.
Wenn man sich aber nicht so sehr für elektronische Musik interessiert und auch nicht After-Hour-tauglich ist, weil auch die exzessivste Ausgehnacht spätestens um fünf oder sechs Uhr morgens endet, weil man dann müde wird, sowieso nicht tanzt und auch keine Wachmacher und Euphorieverstärker mehr verträgt - dann kriegt man von den weltberühmten Institutionen ganz in der Nähe gar nichts mit und hört immer nur Gerüchte, wie krass es wieder in Bar 25 war.
Nur wenn man Sonntag nachmittags oder Montag morgens zufällig an der nahe gelegenen Tankstelle vorbei kommt, ergeben sich Einblicke in dieses Paralleluniversum: Auf dem Mittelstreifen der Straße lagern die Afterhour Leichen - in der Tankstelle taumeln die “Druffis und Durchis” orientierungslos vor dem Getränkeregal herum, neben den Zapfsäulen hocken die Verstrahlten, die sich nicht entscheiden können, ob sie jetzt noch ins Berghain oder zum Club der Visionäre oder nach Hause wollen.
Rösinger
Die Bar 25, einst ein verwildertes Uferstück an der Spree, verbirgt sich hinter einem unscheinbaren Holztor in der Nähe des Ostbahnhofs. Sie ist weit über Berlin hinaus bekannt, als Spielplatz für Clubtouristen, als Sündenbabel, Naturpark und Pillenparadies, und garantiert seit fünf Jahren den Exzess in familiärer Atmosphäre. Dabei ist die Bar ein ganzer After-Hour-Vergnügungspark mit eigenem Radiosender, Restaurant, Freiluftkino, Hostel und Zirkuszelt mit Konzertbühne. Gleichzeitig ist sie ein soziales Experiment: eine fünfzehnköpfige Kommune organisiert den Laden und wohnt im Sommer auch auf dem Gelände. Die Geschichten über die Afterhours von Sonntag- bis Dienstagmorgen gehören inzwischen zu den Sagen des Berliner Nachtlebens.
Als Nicht-Angehörige der After-Hour-Szene freut man sich abe, wenn Dienstag oder Mittwoch abends die Bar ganz normal geöffnet ist, und es ab und an einen technofernen Programmpunkt gibt, der einen hin zieht.
Rösinger
So war für den Mittwoch Abend “Awesome Tapes from Africa”angekündigt. Hinter diesem Namen verbirgt sich der New Yorker Brian Shimkovitz, der mit seinem Blog awesometapesfromafrica seit vier Jahren musikalische Bildungsarbeit betreibt und in diesem Sommer mit seinen musikalischen Entdeckungen auf einer kleinen DJ-Tour in Deutschland unterwegs ist. Auf die afrikanische Tape-Kultur ist er während eines musikethnologischen Aufenthalts in Ghana gestoßen. Die Musik ließ ihn nicht mehr los und so begann er die traditionell im Kassettenformat vertriebenen Musiken Afrikas zu digitalisieren und über sein Blog zugänglich zu machen.
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Am Mittwoch hatte er im Blockhaus der Bar 25 seinen Laptop und seine Casettensammlung aufgebaut, spielte Hiphop aus Ghana, Traditional-Pop aus Kenia, Soul aus Mali und vieles mehr und brachte damit die anwesende Partyleute zum Tanzen, Pfeifen und Arme-in-die-Luft-Werfen. Die lange Schaukel am Ufer wurde ausgiebig genutzt, junge Frauen führten ungelenke artisitsche Übungen aus, schwer enthusiasmierte asiatische Touristen starrten ins Wasser und rätselten fasziniert über die Reflektionen der Trauerweide in der dunklen Spree, die Discokugeln leuchteten in den Bäumen, vom anderen Ufer blinkten die Lichter der Strandbar "Kiki Blofeld" herüber und zwischendurch dachte man sogar kurz: "Es ist doch manchmal ganz schön in Berlin."
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