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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

11. 6. 2010 - 17:05

WM-Journal '10-11.

Die Ouvertüre der ersten afrikanischen WM: Mexico innovativ, aber hinten zu langsam; Südafrika österreichisch, aber halt in schnell. Logisches Resultat: 1:1.

Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - ab jetzt mit einer Ausgabe zu jedem Spiel; nehm ich mir halt einmal vor...

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast.

Die Fakten zum Spiel Südafrika - Mexiko 1:1.

Das FM4 WM Quartier im Wiener WUK

Die WM 2010: Die Übersicht.

Hier die Links für alle FM4-Stories zur WM, und alle Rundherum-Geschichten aus Südafrika, wie zum Beispiel dieses grandiose Südafrika-ABC von Anna Mayumi Kerber.

Die offizielle FIFA-Seite, die WM-Spezial-Site der Sport-Kollegen, oder der WM-Auftritt des Guardian.

Um gleich beim letzten Punkt des gestrigen Journal-Eintrags anzuschließen (und das ist ungeplant aber ein mehr als interessanter Zufall): Es soll ja, meinen zumindest ÖFB und diverse "Seen-It-All"-Populisten, keine Innovationen mehr geben im Fußball. Mag sein, dass irgendwo irgendwer alles schon einmal gemacht hat - es kommt aber immer auch auf das Wie an.
Und: wie Aguirres Team Mexico ihr schnelles Umschalt-System in der 1. Halbzeit aufs Feld pflanzte, das war beeindruckend - und wäre in Österreich undenkbar.

Was die 1. Halbzeit uns verriet

Im Verteidigungs-Fall stehen die Mexikaner in einem eh schon offensiven 4-3-3, und stellen dann, bei Vorwärts-Drang auf ein 3-4-3, ja fast auf ein 2-2-5 um, mit zwei blitzschnellen Außenspielern und dem plötzlich wie Beckenbauer 1970 agierenden Rafa Marquez als zusätzliche Attacantos.

Das sieht, mit Verlaub, grandios aus, und ist, in der fußballerischen Landschaft von 2010 innovativ (auch wenn man da historische Beispiele zitiert).

Südafrika hingegen österreichelte. Hintenherum, ideenlos im Aufbau, umständliches 4-5-1. Nur wenn sie ihre Schnelligkeit (Tshabalala vor allem!) einsetzen, kommen Chancen raus, wobei Mittelstürmer Mphela mit seinem Phlegma dann wieder an seine heimischen Pendants erinnert.

Interessanterweise ist genau das - das schnellere Abspielen des ideenlosen Hintenrum - das Ideal von Constantini.
Soll heißen: das was der ÖFB anstrebt, wird im Optimalfall so gut sein, wie das, was Südafrika aktuell spielt.
Das ist nett, aber deutlich zuwenig.

Und es zeigt mir, dass echtes stragegisches Denken und Handeln, wie es Mexico im Eröffnungsspiel vorzeigt, für unsere Vordenker (die halt leider nur Hintendran-Nichtdenker sind) unerreichbar ist.

Off Topic, obwohl in Wahrheit ja nicht:
ein Mail von Christian aus Kapstadt.

Hallo!
Ich befinde mich derzeit in Kapstadt bei der WM.
Rassentrennung herrscht hier, wie ich mit Erschrecken festgestellt habe, bei der Bedienung in den FIFA-Fanzonen.
Alle Jobs in der Getränke-/Essensausgabe mit Kundenkontakt werden zu 100% von Weißen ausgeführt und dahinter stehen dann nur Schwarze, die die Arbeit machen - auch zu 100%.
Ich finde das deshalb beachtenswert, weil in sämtlichen Lokalen, Restaurants und Geschäften hier davon überhaupt nichts zu bemerken ist und Schwarz und Weiß nebeneinander arbeitet.
Ich finde es grauslich, dass gerade die FIFA hier gegen den Strom schwimmt, obwohl sie dauernd anderes behauptet.
mfg Christian

Was die 2. Halbzeit uns verriet
ist, dass es mit dem "Das alles in Schnell, bitte!"-Trick schon auch geht.

Denn plötzlich hatte Parreiras Team nicht mehr so viel Angst in ihren Pants (dabei war nur Tsepo Masisela für links hinten neu gekommen, und die Aufgaben in der defensiven Mittelfeld-Zentrale wurden feinjustiert: Letsholonyane spielte vor Dikgacoi und nicht mehr neben ihm) und die Schwäche der Gegner erkannt: die nicht mehr ganz taufrische Abwehr ist bei Longpasses zu bezwingen.
Dass just der Beste (Tshabalala, der linke Mittelfeld-Offensiv-Mann) dann in der 55. Minute einen derartigen Befreiungsschlag setzte, ist eine schöne Geschichte.

Und dann offenbarte sich etwas, was ich nicht bedacht hatte. Wie sehr nämlich der Druck auf so einer Eröffnungs-Partie und ihren Teilnehmern lastet.
Das war greifbar.

Nach der Führung der Bafana Bafana war sie nämlich doppelt so groß und doppelt so selbstbewußt - und die vorher klar dominierenden Mexikaner ganz klein mit Hut.

Und umgekehrt - direkt nach dem Ausgleich von Rafa Marquez (auch irgendwie richtig, dass ausgerechnte er...) waren seine Burschen plötzlich einen Kopf größer als der Gegner.

Danach lag das Gefühl der Zufriedenheit aller mit dem Ergebnis über dem Platz - Mphelas zu luschiger Stangenschuß hatte da fast eher Stör-Charakter.

Das Blanco/Mokoena-Problem

Mitentschieden wurde die Partie auch durch jeweils einen Einsatz, der einem großen Namen geschuldet ist. Sowohl Aaron Mokoena als als Cuauhtemoc Blanco haben nämlich nichts mehr auf einem Länderspiel-Feld zu suchen, so sehr ich beide schätze.
Blanco,der alte Heroe, verschleppte ab der 70. Minute das mexikanische Spiel - weil er zu langsam und auch zu füllig ist. Und Mokoena, der auch schon schwer in die Jahre gekommene Kapitän, war schuld am Ausgleich - er hob eine Offside-Falle auf - was nur symptomatisch für seine Gesamtleistung war. Die Arbeit in der Innenverteidigung blieb längst zumeist bei Bongani Khumalo (no relations zum legendären Doctor, der ist jetzt TV-Analytiker) hängen.

Beide sollten für den Rest des Turniers dezent verräumt werden - es wäre für alle Beteiligten besser so.

Tolles Personal
ist auf beiden Seiten zu finden gewesen.
Tshabalala und auch Modise und Pienaar, die offensive Dreierreihe im Mittelfeld, haben durch ihre im Laufe des Spiels immer besser entwickelte Rochier-Kunst, Pass-Fähigkeit und Spieleröffnung dem Match einen entscheidenden Twist gegeben. Auch Tormann Khune und der erwähnte Khumalo und Gaxa (wir haben gelernt: den spricht man Gaua aus...) waren auffällig.

Auf der anderen Seite war Torrado ein vorbildlicher Kapitän, hat mich Junior Efrain Juarez sowohl in der Mittelfeld-Zentrale als dann (2. Hälfte) rechts hinten (wo in der 1. Halbzeit Aguilar ganz große Momente hatte) überrascht. Dazu Giovanis tolle Vorstöße und die bereits erwähnte Übersicht von Rafael Marquez.
Dem hat die Reservistenrolle bei Barcelona nicht so schlechtgetan: er hat sein Spiel neu definiert und auch endlich wieder eine kantige Frisur: der alte Dutt ist glücklicherweise ab.
Und: der für Mexico entscheidende Twist war die Hereinnahme von Guardardo, der die nötigen Vorstöße einleitete.

Noch einmal zurück zu Taktik-Lehrstunde,

die ich eingangs erwähnt habe.
Für sowas ist es recht wurscht wie so ein Spiel ausgeht: es geht um Lernbereitschaft und den Willen was zu probieren.

Wenn es, wie hier auf hohem Niveau, nicht für einen Sieg gegen einen WM-Gastgeber reicht, ist die Frage nach dem Warum durchaus interessant. Daraus gleich wieder ein "Sixt! Nutzt eh ois nix!" zu konstruieren, hieße sich widerstandslos in den angewandten Ogrisismus zu ergeben.

Wichtig für Mexico ist es jetzt herauszufinden, warum man trotz Ballbesitz-Mehrheit und klarer Überlegenheit in der 1. Hälfte das Spiel so aus der Hand geben - und wie man einem recht wenig variantenreich spielendem Gegner so leicht ins Konter-Messer laufen konnte. Und wo die Variabilität der eigenen Attacken in der 2. Hälfte genau versickert ist.

Viel wichtiger ist aber die südafrikanische Befindlichkeit, weil die das Gefühl des Turniers vor Ort tragen wird. Und die könnte, nach dem Erfolg des ersten Turnier-Tores und des ersten WM-Punkts, durchaus optimistisch durch die nächsten Tage führen. Sollten am Abend Frankreich und Uruguay schlechter ausschauen, dann wird man sich überhaupt gleich zum Gruppen-Favoriten erklären.