Erstellt am: 11. 6. 2010 - 00:31 Uhr
The Drums
Tanz die Reaktion
The Drums mögen innerhalb der letzten sechs Monate zwei Mal das Titelblatt des NME gestürmt haben oder im diesjährigen Talente-Pool der BBC fast ganz nach oben geschwommen sein. In ihrer Schaffensheimat Brooklyn sind die vier schmächtigen Jungs immer noch eine eher bescheidene Nummer. Das liegt weniger daran, dass The Drums britischen Popsensibiltäten mit einer Offensichtlichkeit schmeicheln, die zwar noch der blassesten Post Punk Kapelle zwischen London und Madchester die Schamesröte ins Gesicht treiben würde, dortige Fans und einschlägige Medien jedoch in Verzückung versetzt, wenn man dem Hype-Magazin No. 1 zumindest etwas Glauben schenken darf. Der Fall ist anders gelagert: The Drums verweigern schlicht und einfach die aktive Teilnahme am Szenetreiben von Brooklyn.
Cooperative
Jonathan Pierce, Sänger und blondgescheitelnder Kopf der Band, versteht seine Truppe vielmehr als Antithese zur experimentierfreudigen Avantgarde von Williamsburg. Als ich ihn und Drummer Connor Hanwick in der kargen Bandwohnung am östlichen Rand der Hipsterhochburg treffe, sind wir gerade drei Minuten im Interview, da legt er schon mit einem Rundumschlag los, der in einem Manifest des eigenen Schaffens gipfelt. Jonathan beschwert sich über „bescheuert wunderliche“ Bandnamen lokaler Acts, die ihre Entsprechung in „langweilig komplizierter“ Musik finden würden. Er nennt zwar keine Namen, aber Animal Bear On The Radio, ick hör dir auch so trapsen. Die Absicht hinter diesen Ansagen ist zwar leicht zu durchschauen, aber angesichts der pseudoamikalen Umgangsformen in Hipsterhausen auch ganz erfrischend.
Christian Lehner
And then you die
Die Antwort auf die barocken Ausschweifungen der Feudalnachbarn? Ein Konzept namens Minimalismus. The Drums reduzieren auf das Notwendigste, beginnend beim Bandnamen, endend in der Musik, die kaum Akkorde kennt und üppige Arrangements verachtet. „Ich habe eine Regel beim Schreiben der Songs“, so Pierce, der seine Statements völlig emotionslos zu Protokoll gibt, „schreibe nur, was dem Ohr schmeichelt“. Das Prinzip des schlanken Fußes findet auch beim Design der Cover, der Ausstattung der Videos, selbst dem Einsatz von Gesten und Mimik bei Bandaufnahmen Anwendung.
Noch bevor das Projekt vor zweieinhalb Jahren ins Leben gerufen wurde und ein Sound gefunden war, legte sich Pierce im Telefongespräch mit seinem Langzeitweggefährten Jacob Graham fest: die Band wird The Drums heißen. Mit dem wenig aber dann doch auch vieles offenbarenden Namen wollte man nicht nur die strenge Marschrichtung des Projekts vorgeben. „The Drums“ war jene Arbeitsbezeichnung, die Mike Joyce, der Schlagzeuger von The Smiths, bei den Liner Notes zu den Alben verwendete und zwar auf Wunsch des Oberschmieds Morrissey. Und The Smiths bezeichnet Pierce als den „essentiellsten Einfluss auf mein Leben, den man sich nur vorstellen kann“. Dabei war es die Kraftwerk Platte „Computer World“, die seinerzeit den Sohn einer fundamentalistischen Christenfamilie aus Upstate New York wachküsste. „Meine Eltern haben unsere Farm in ein Gotteshaus umgebaut und sind Prediger geworden. Aber schon als Kind konnte ich da nicht mit. Meine Geschichte entspricht dem Klischee vom schlimmen Jungen, der von zu Hause getürmt und in die große Stadt geflüchtet ist“.
Song zum Sonntag von Boris Jordan: The Drums und Best Friend.
Die Kraftwerk Platte stöberte Jonathan bei einem Yard Sale auf. Da war er gerade Mal 10. Drei Jahre später spielte er sie Jacob Graham vor, auch der ein Zögling des christlich fundamentalistischen Vereins. „Jacob war der einzige Junge, der mich nicht total seltsam fand. Wir verstanden uns auf Anhieb. Kraftwerk war nur der Anfix. Dann kam die große gemeinsame Liebe für Morrisey und The Smiths“.
Später in New York gründen die beiden die Band Goat Explosion. Nach deren Kollaps (der Name!) macht Pierce solo als Elkland weiter. Auch dieses Unternehmen, ein Elektro-Pop Projekt mit Major Label Support, scheitert kläglich. Dann das Telefongespräch mit Graham, der mittlerweile nach Florida gezogen war. Pierce folgte dem Ruf der Sonne und schrieb in dieser für ihn exotischen Umgebung am Tag der Inauguration von Barack Obama „Let’s Go Surfing“, ein flott angepfiffenes Stück Happy Go Lucky Pop, das sich viral über die Bloggerszene zu einem kleinen Indie Hit mauserte. Bedanken können sich die beiden also indirekt beim US-Präsidenten. „I am generally a miserable person“, sagt Jonathan dann doch etwas seufzend, „aber an diesem Tag haben wir uns von der allgemeinen Euphorie anstecken lassen. Wir sind keine politische Band. Aber das war schon etwas Besonders für dieses Land. „Let’s Go Surfing“ ist dabei bloß eine Metapher für den Optimismus dieser sonnigen Tage. Surfen kann von uns nämlich niemand“.
Christian lehner
Christian Lehner
Christian Lehner
Christian Lehner
Surfen am Strand von Manchester
Obwohl „Let’s Go Surfing“ der einzige unbeschwerte Song der Drums bleiben sollte, nach dem "Konzept mit dem Konzept" (Pierce), war mit dieser Endorphinschleuder auch ein Sound gefunden. Die Drums kombinieren, was in dieser Form tatsächlich selten zu hören ist. Frei nach dem ungeschriebenen Gesetz, dass die absichtliche oder unbewusste Fehlinterpretation der Vergangenheit eine wesentliche Triebfeder des Pop ist, versöhnen The Drums den „düsteren“ Post Punk und New Wave der späten 70er/frühen 80er Jahre mit dem „optimistischen“ Pop der ersten Hälfte der 60ies. Die Anführungszeichen deswegen, weil sich diese Stilepochen ja eigentlich gar nicht so generalisieren lassen, wie es der flüchtige Blick in den Rückspiegel erscheinen lässt (siehe die unterschwellige Melancholie der Beach Boys oder die vor allem lyrische Dunkelheit von Love, um nur zwei 60ies West Coast Beispiele zu nennen).
Außerdem fand ja in den 80ern selbst eine Neudeutung der Wall Of Sound und Reverb Periode (Phil Spector – Ronettes, Shangri-Las usw) statt, die im UK mit Shoegaze, Twee und der C86er Serie eine Weile lang das Freizeitverhalten ganzer Kunstschulklasssen bestimmen sollte.
Was den Drums auf sehr einnehmende Art gelingt: sie karamelisieren die kühl und isoliert arrangierten Sounds der Martin Hannett Schule mit dem emotionalen Zucker des Girl Group und West Coast Pop, v.a. der Beach Boys, denen sich Pierce im Interview allerdings weniger verbunden fühlt als den Ronettes oder den Post Punk Geburtshelfern von Joy Division, The Wake und immer wieder The Smiths.
Bei den Drums wird also sparsamst dick aufgetragen, auf Brücken des Minimalismus geschmachtet und von Industrie Ruinen aus der Strand besungen.
Christian Lehner
Live
Christian Lehner
übrigens
Christian lehner
schwerstens
Christian Lehner
ok.
Pop Konzept, Konzept Pop
Der Click Track gibt das Tempo vor, stampft maschinell entlang einer – selbstverständlich frei stehenden – Snare während 10 Finger auf zwei Gittarenhälsen Melodiefolgen als Einzelnoten abgreifen. Nur der gestrenge Basslauf fehlt in der Stammbesetzung. Die Erdung kommt entweder vom gelegentlich hinzugezogenen Keyboard oder als Simulation einer Sechssaitigen. Pierce zuckt sich vorne in einer gestischen Kreuzung aus Ian Curtis und Graham "Suggs" McPherson weg. Dazu besingt er das Wesentliche, nämlich die Liebe. Allerdings ist jene bereits mit 25 im neuromantischen Pathos tot von der Motorhaube gerutscht.
Über den schönsten Momenten dräut stets die Veränglichkeit. Die Ahhhs und Ohhhhs, das jugendliche Jauchzen, das unbeschwert durch den Wald spazierende Pfeifen, entpuppen sich als Todesmelodien. Ach Morressy, du bist so weit.
So surfen wir am dieser Tage erschienen Debütalbum der Drums 12 Songs lang fröhlich auf einer dunklen Welle oder leiden schrecklich wohlig am Strand.
Diese außergewöhnliche Kombinatorik und ihre gekonnte Umsetzung hebt die vier Jungs mit dem schmalen Sound, den großen Emotionen und den dicken Egos dann doch deutlich von den anderen Glitzerfischen des W-Burg Pool 2010 ab. Von Brooklyn aus betrachtet kann man da schon von einer kleinen Revolte mit Ansage sprechen.
Vergleichbar in Sachen Gesamtkonzept, Pop-Minimalismus und Konsequenz werken auf diesem Level momentan nur mit The xx oder These New Puritans aus GB.
Cooperative
Auch in Style Fragen überlässt man nichts der Gegenwart. Pierce tritt mit teutonischem Seitenscheitel an - wieder so ein Moderelikt aus Post Punk und New Wave Zeiten. Der Rest der Band - Adam Kessler an der zweiten Gitarre und Connor Hanwick sind vor gut eineinhalb Jahren zu Pierce und Graham gestoßen - posed in der 80er Interpretation der 50er Jahre. Man trägt Frankie Goes To Hollywood und Morrissey Huldigungsfrisuren über Matrosenstreifen und schlüpft in Leder- oder Baseballjacken und Stülpenjeans.
Weniger macho als die Frankies spielt vor allem Pierce mit dem Image der schwulen Lolita. Die Fotoserie von Mergel-Indie-Afficionado Hedi Slimane (siehe auch These New Puritans und The Rakes) befeuert einschlägige Gerüchte, wonach es sich bei The Drums um eine gay boy band handeln würde. Dort will man das weder bestätigen noch verneinen. Es gilt zumindest ein Geheimnis zu bewahren. Und wer weiß, vielleicht sind auch die abenteuerlichen Lebensläufe der beiden Hauptdarsteller frei erfunden. Und wenn schon, Konzept ist hier alles.