Erstellt am: 10. 6. 2010 - 11:07 Uhr
So nah und doch so fern
In Camps Bay treffen sich die Reichen und Schönen und die Möchtegerns dieser Kategorien aus Kapstadt zu Sundowners. Sie schlürfen Cocktails und bewundern gegenseitig ihre neue Garderoben bis die Sonne am Horizont verschwindet. Mit ihren iPhones finden sie heraus, wo die Party des Abends steigt. Dann geht es mit dem neuen Auto und dröhnenden Boxen in die hippen Clubs der Stadt.
Auch wenn man nicht diesem Extrem angehört, scheint der Lebensstandard in Südafrika auf den ersten Blick sehr hoch. Anders als in den meisten afrikanischen Ländern findet Wasser den Weg aus dem Duschkopf. Man muss es sich nicht mit einem Becherchen aus einem Kübel schöpfen und sich über den Kopf leeren. Es kommt noch besser: Das Wasser ist heiß.
anna mayumi kerber
Die Hauptverkehrswege sind nicht durchsetzt mit Schlaglöchern. Die Autos darauf sind zu einem überwiegenden Großteil straßentauglich. Ein entsprechendes Zertifikat stellt das südafrikanische Äquivalent des ÖAMTC, der Automobile Association (AA) aus. Keine Wracks, die aus drei ursprünglichen Autos bestehen und 157 Mal nachgeflickt wurden. "Auto"mobile, die diese Bezeichnung nicht verdienen, weil sie bei jedem zweiten Startversuch mit Manneskraft angeschoben werden müssen.
Während man in Ländern wie Burkina Faso, Mali oder Benin vergeblich nach einem Supermarkt Ausschau hält, gibt es hier gleich mehrere Ketten davon. Anders als in den spärlich vorhandenen Supermärkten, die man etwa in Ghana findet, sind die Preise angemessen – auch für alle möglichen importierten Produkte.
anna mayumi kerber
Preise für Importprodukte im Shoprite-Supermarkt in der ghanaischen Hauptstadt Ghana sind horrend: 1 Packung Feta-Käse: 5-16 Euro. Doppelpack Paprika: 9 Euro. 1 halbes Kilogramm Hühnerfilet: 14 Euro. Die gleiche Menge Rinderfilet dagegen 10 Euro (nicht importiert). Ebenso aus lokalem Anbau gibt es Ananas (wenn Saison) für 90 Cent.
Es gibt Markenprodukte, von Fastfood- bis zu Bekleidungsketten. Es gibt Versicherungen und Banken, die von Privatleuten genutzt werden und Geldautomaten, die funktionieren und das nicht nur mit einer VISA-Karte. Es gibt Privatfernsehen. Es gibt Breitbandverbindungen, Lokale mit WiFi-Hotspots und mobiles Internet über 3G-Modem. Es gibt Backpacker-Busse und Weintouren. Surfbordverleihe und Safari-Parks. Man kann Bungee-Jumpen und in einem Käfig mit Haifischen tauchen. Es gibt Wellness-Hotels und Schönheitschirurgen.
All das und noch viel mehr gibt es in Südafrika. Wenn man das Geld dafür hat. Und das haben die meisten hier nicht.
Obwohl das jährliche Durchschnittseinkommen eines Südafrikaners bei über 10.000 US-Dollar liegt, lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Ein Viertel der Südafrikaner ist arbeitslos. Die Einkommensverteilung ist nur im angrenzenden Namibia ungerechter.
anna mayumi kerber
Der Gini Index gibt die ungleiche Verteilung des Haushaltseinkommen in einem Land an. Je höher, desto ungleicher die Verteilung. Das weltweite Ranking wird von Namibia mit 70,3 angeführt. Mit einem Gini Index von 65 liegt Südafrika auf Platz 2. Der Indexwert für Österreich dagegen liegt bei 26 (ebenso wie in Tschechien, Serbien, Malta, Luxemburg und Slovakei) und wird nur durch Norwegen und Schweden (beide 25) übertroffen. (Quelle: CIA Factbook)
Südafrika ist Mitglied von 59 internationalen Organisationen, hat 16 internationale Umweltschutzabkommen unterzeichnet, weist eine Säuglingssterblichkeit von 47,7 auf 1000 Geburten (Platz 61 weltweit) auf, liegt im Human Development Index vor allen anderen subsaharischen Ländern (mit Platz 121 im globalen Vergleich immer noch weit unten) – und fühlt sich als so genanntes „Schwellenland“ als Vorbild und zugleich verantwortlich, seine afrikanischen Brüder- und Schwesterstaaten über ihre „Entwicklungsphase“ hinaus zu helfen.
Die Lebenserwartung in Südafrika beträgt jedoch lediglich 49,2 Jahre. Das ist Platz 215 im globalen Vergleich. Nicht etwa die überwältigend hohe Mordrate pro Jahr ist der Hauptgrund dafür. Es ist die hohe HIV-Infektionsrate. Knapp 20 Prozent (Platz 4 weltweit) der Bevölkerung ist HIV positiv. Aufgrund der Größe des Landes bzw. der Bevölkerungszahl hält Südafrika in absoluten Zahlen der HIV/AIDS-Toten den Weltrekord.
Das ist nicht nur allein der grotesken AIDS-Politik des Ex-Präsidenten Thabo Mbeki zu verdanken, der als ewiger Leugner der Krankheit in die Geschichte einging. Auch der jetzige Regierungschef Jacob Zuma wird einer Vorbildfunktion in Sachen HIV/AIDS nicht annähernd gerecht. 20 Kinder mit fünf Ehefrauen (von einer ließ er sich scheiden, eine andere beging Selbstmord), zwei Verlobten und ein paar Geliebten. Nummer 21 ist unterwegs. Definitiv kein Resultat von Safer Sex und auch nicht von der vielfach gepredigten Abstinenz. Vom allseits bekannten Dusch-Sager Zumas (er hätte nach dem Sex mit einer HIV-positiven Prostituierten heiß geduscht und hätte deswegen nichts zu befürchten) und Gerichtsverfahren wegen Vergewaltigung und Korruption mal ganz zu schweigen.
Vor wenigen Wochen besuchte Präsident Zuma Sweetwater, eine informelle Siedlung südlich von Johannesburg. Er war entsetzt: „Es gibt keine anständigen Häuser, Sanitäranlagen, Elektrizität, Zugang zu Straßen oder Gesundheitseinrichtungen. Es gibt lediglich einen, unzuverlässigen kommunalen Wasseranschluss, wie die Bewohner sagen.“
Er besuchte ein paar Leute in seinen Wellblechhütten, um anschließend festzustellen, dass die Menschen hier „wie Schweine“ leben. Er vergaß nicht zu betonen, dass seine Regierung in diesem Jahr rund 15 Millionen Rand in Wohnungsförderungen für Arme investiert hätte. Nur um anschließend vor versammelter Presse zu fragen: „Wie passiert es, dass manche unserer Leute noch immer in solchen Gegenden leben, nach 16 Jahren Freiheit und Demokratie?“
anna mayumi kerber
Ja wie? Das fragt der Mann, der die vergangenen sechzehn Jahre in hohen politischen Ämtern waltete und seit zwei Jahren Regierungschef ist. Ja wie? Neben vielen anderen Gründen, ist einer davon sicherlich auch, dass Zuma im vergangenen Jahr rund 15 Millionen Rand für seine Familienangehörigen aus der Staatskasse geschöpft hat. Nahezu das Doppelte seines Vorgängers Mbeki und gleich viel, wie er im selben Zeitraum für die „Wohnungsförderung der Armen“ ausgegeben hat.
Zumas Familie ist wie gesagt nicht klein. Doch irgendwie scheint ihm nicht bewusst zu sein, dass er auch gegenüber den 25 Millionen Menschen, die in seinem Land unter der Armutsgrenze leben, eine gewisse Verantwortung trägt. Gegenüber jenen, bei denen kein heißes Wasser aus dem Duschhahn kommt. Die weder Wasser- noch Stromanschluss haben. In welchem Haus auch? Jenen, die weder Wasser noch Strom bezahlen könnten, wenn sie einen Anschluss hätten. Von welchem Job auch?
anna mayumi kerber
Jene, die sich den Wohlstand leisten können, ärgern sich, wenn der großformatige Flachbildfernseher, auf dem eben noch 150 Digital-Sat-Sender verfügbar waren schwarz wird, wenn wieder einmal der Strom ausfällt. Oder das mobile Internet nur mancherorts zu manchen Zeiten funktioniert, weil das Mobilfunknetz heillos überlastet ist. Weil sie zu spät zum Meeting kommen, weil einer der täglich zahllosen Unfälle mit Minibussen (dem öffentlichen Transportmittel der „Armen“) umgekippt ist, weil 20 statt 8 Menschen darin saßen. Weil das die Customer Care Line der Versicherung nach eineinhalb Stunden in der Warteschleife unterbrochen wird. Weil der Gärtner, der in einer Wellblechhütte hinter dem eigenen Luxus-Anwesen mit Pool wohnt, faul ist. Auch scheuen sich Menschen nicht davor, gleichzeitig über Kriminalität und Steuern zu schimpfen, ohne zu bemerken, wie paradox das eigentlich ist.
- Südafrika: Alle Artikel auf einen Blick
Südafrika möchte so gerne modern sein, westlich und hip. Und manchmal scheint es, als ob es wirklich könnte. Zumindest beim Sundowner in Camps Bay. Solange man den Blick auf den Strand, die Palmen, den Sonnenuntergang richtet, ein bisschen über Fashion labert, und nicht nach links, nach rechts oder in die Zeitung sieht.