Erstellt am: 14. 6. 2010 - 18:35 Uhr
1, 2 oder 3?
In langwierigen Denk-Spielereien hat sich der US-amerikanische Buchhalter und Hacker-Aktivist Nick Farr eine leicht verständliche Theorie zusammen geschustert, die den evolutionären Dreischritt inklusive gern zitierter Versionenbezeichnung auf so gut wie alles übertragen lässt, sei es Gesellschaft oder Sexualität.
Aber lassen sie uns mit dem Internet beginnen:
Vor 20 Jahren ist das Internet auch in Österreich angekommen. Die ersten Websites, die in den 90ern auch vermehrt im Informatik-Unterricht entstanden sind, waren hauptsächlich durch schmerzhafte Design-Sünden gekennzeichnet: Knallige Schriftfarben, die trotzdem unlesbar waren, weil irgendein Hintergrundbild die ganze Netzhaut ausgefüllt hat. Unverzichtbar waren auch sich drehende @-Zeichen, jahrelang aktive "Under Construction"-Grafiken und schmerzhafte Hinterground-Sounds ohne Stopp-Taste. Web 1.0 hat diese Generation geheißen, auch wenn das damals noch niemand wusste.
http://www.webpagesthatsuck.com/
Dann implodierte die Dotcom-Blase und Geld war anscheinend nur mehr mit Pornografie zu machen. Die erste Kapitalisierung war ein Desaster, da tauchten die sogenannten Weblogs auf. Plötzlich war überall von Interaktivität die Rede und das Social Web begann seinen Siegeszug. Mittlerweile hat jeder seine zwo, dro Profilchen. Wörter wie "adden", "liken", "followen" und "hashtag" haben es in den linguistischen Mainstream geschafft. Web 2.0 hat diese Generation geheißen, und jeder wusste es.
Mittlerweile geht der Definitons-Zug Richtung 3.0. Das Netz ist jetzt intelligent, kann sinngemäß erfassen und darf sich fast schon ein global brain, eine kollektive Intelligenz nennen.
Nick Farr
Numerologie FTW!
Für den US-amerikanischen Hacker-Aktivisten Nick Farr lassen sich die unterschiedlichen Web-Versionen vor allem anhand des Parameters Zentralisierung beschreiben. 1.0 war lokal und alles andere als interaktiv. 2.0 lässt uns alle miteinander kommunizieren und macht einige wenige Global Player wie facebook oder youtube zu zentralistischen Content-Maschinen, neben denen die kleinen kaum Platz haben. Im 3.0-Zeitalter soll das angeblich anders werden. Jeder Nutzer wird wieder zu seinem eigenen Provider und benutzt Plattformen, mit deren Nutzungsbestimmungen die User keine so großen Probleme haben. Zwar werden die Fotos trotzdem auf flickr und facebook landen, das persönliche Social Web-Portfolio werden wir aber völlig personalisiert und so erstellen, wie wir wollen.
Irgendwann hat sich Nick Farr gedacht, dass sich dieser Entwicklungs-Dreischritt eigentlich auf alles legen lässt. Zum Beispiel die ganze Gesellschaft: "1.0 kann man als Beginn der Zivilisation sehen, wo Menschen gelernt haben, in einer direkten und groben Art miteinander zu interagieren. 2.0 ist die industrielle Revolution und die Moderne, in der wir große, zentralisierte Machtstrukturen haben. In dieser Maschine erfüllen wir alle unsere kleine Aufgabe."
Dezentralisierung
Die Gesellschaft hat sich von der dezentralen Aufgabenteilung also hin zu einer großen Maschine entwickelt, in der jeder seine von oben gesteuerte Aufgabe erledigt. In der von Farr prognostizierten "Gesellschaft 3.0" werden die Menschen in kleinen Arbeitseinheiten zusammenarbeiten, die voneinander völlig unabhängig sind: "Wir werden dynamische und flexible Strukturen kreieren, die nicht auf große monolithische Bürokratien zurückgreifen müssen, um große Aufgaben zu bewältigen", so der immer optimistische Farr. Als Beispiel für diese Theorie sieht Farr die in den letzten Jahren ziemlich eingeschlafene Raumfahrt-Industrie. Er hofft, dass durch das Zusammenwirken kleinerer Unternehmen dazu führen wird, dass regierungsferne Organisationen in Bälde ins Weltall fliegen werden, anstatt tatenlos dabei zuzusehen, wie die NASA den Bach runtergeht.
http://www.flickr.com/photos/_fabio
Schöne neue Arbeitswelt
In der Arbeitswelt hat sich der Wechsel von zentralisierter Leitung hin zur dezentralen Arbeitsaufteilung bereits vollzogen. Dank der modernen Technologie ist es möglich, immer und überall arbeiten zu können. Allerdings wurde lange verschwiegen, dass wir eben durch die neue Technologie immer und überall arbeiten müssen. Für Farr ist das eine bedenkliche Entwicklung: "Die Technologie ist der Gesellschaft diesbezüglich um einiges voraus und erlaubt bereits jetzt dezentrales Arbeiten immer und überall. Das ist aber auch für den Zwangsoptimisten Nick Farr keine schöne Entwicklung: "Früher war das nur für jene üblich, die Vizepräsident oder hochgestellte Manager waren. Heute sind es sogar Berufsanfänger, die um zwei Uhr in der Früh noch E-Mails von ihren Chefs beantworten."
Allerdings bleibt er auch hier optimistisch: "Meine Hoffnung für die 3.0 Welt ist, dass die Leute ihren eigenen Zeitplan erstellen können, weil sie ihr eigener Chef sind und für Leute arbeiten, die auf der Nahrungskette nur eine Stufe entfernt sind und nicht fünf oder sechs."
Viennale
Sex 3.0
3.0 ist für Nick Farr immer eine Kombination aus 1.0 und 2.0. Um seine Dreiphasen-Theorie auch dem nicht-technikaffinen Publikum schmackhaft zu machen, hat sie Farr auch auf die Evolution der Sexualität angewandt. Waren wir im 1.0-Stadium von Trieben geleitete Tiere im Dschungel, haben wir uns im 2.0-Zeitalter der Monogamie verschrieben, um tödliche Eifersuchtsdramen so gut wie möglich einzudämmen. In Zukunft werde es immer üblicher, sich trotz fixer Beziehung inklusive Haus und Kind sexuelle Befriedigung bei anderen Menschen zu suchen. Farr: "Die Integration dieser sexuellen Revolution in eine traditionelle Familienstruktur ist die Charakteristik von Sex 3.0".
Für viele wird das aber trotzdem nicht mehr als ein Luxusproblem bleiben.