Erstellt am: 9. 6. 2010 - 09:00 Uhr
"Abelunga, Abelunga"
Irgendwann kommt der Moment, da ist es einem egal, was die Leute über einen denken. Das „Abelunga, Abelunga“ (europäische Leute) hört man schon nicht mehr. Man hat sich daran gewöhnt, dass Kinder einem nachlaufen und „Weiße, Weiße“ rufen. Das ist nicht ungewöhnlich, wenn man in Gegenden von Johannesburg unterwegs ist, in denen Touristen nach wie vor Exoten sind.
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Kaptransmissions ist ein Projekt der Agentur name*it, bestehend aus den JournalistInnen Thomas Haunschmid, Christian Lerch, Monika Kalcsics und Peter Waldenberger (v.l.n.r.) und dem Ökonomen Clemens Foschi (hinten).
Und was für Exoten.
Sie tun Sachen, die kein Einheimischer je machen würde. Fahrradfahren. Mit Helm und aufgemotzten Mountainbikes in allen Größen. Und das in einem Stadtviertel, das für das gemütliche Fahren überhaupt nicht geeignet ist. Viel zu hügelig ist es hier, mit viel zu wenig asphaltierten Straßen und viel zu vielen Schlaglöchern, die sich bei Regen in Teiche verwandeln.
Soweto. Größtes Township Südafrikas, etwa 20 Kilometer südwestlich von Johannesburg. Das „South Western Township“, kurz Soweto, ist ein verwirrendes Mosaik aus mindestens 32 Vierteln.
Wie viele hier wohnen, weiß niemand so genau. Offiziell sollen es 2,3 Millionen Menschen sein, aber die Einheimischen sprechen von 3,5 bis 5 Millionen. Auf einer Fläche so groß wie Graz reiht sich ein Haus nach dem anderen, wobei der Begriff „Haus“ in Soweto sehr dehnbar ist. Er reicht von Sheks, den Wellblechhütten in White City, über 1-Zimmer-Ziegelhäuschen in Meadowlands bis zu Luxusvillen in Orlando West, die sich hinter Mauern und Stacheldrahtzäunen verbergen.
Monika Kalcsics © name*it
Jeden Tag um 10 Uhr und 13 Uhr herrscht vor „Soweto Backpackers“ reges Treiben. Fahrradpumpen pfeifen, Schutzhelme werden angepasst und Sitzhöhen eingestellt für die „Soweto Bicycle Tour“.
Die skurril anmutenden Radfahrer vor allem aus Europa, aber auch aus den USA und Australien sind für die Sowetians willkommene Abwechslung, gute Unterhaltung und auch Einnahmequelle. Townshiptourismus boomt. Es gab eine Zeit, da verschaffte allein die Erwähnung des Ortsnamens Soweto vielen Touristen eine Gänsehaut.
Monika Kalcsics © name*it
Der gefährliche Hüttenmoloch hinter den Goldminen am Rande von Johannesburg. Heute besuchen täglich rund 1000 Touristen Soweto. Sie tummeln sich hauptsächlich im Ortsteil Orlando West, rund um die Vilakazi Street, in der Nelson Mandela und Desmond Tutu lebten. Die einzige Straße der Welt, in der zeitweise zwei Friedensnobelpreisträger wohnten.
Mit dem Fahrrad liegt „Soweto Backpackers“ zehn Minuten von der Vilakazi Street entfernt. Dort, wo sich früher ein Müllabladeplatz ausbreitete, befindet sich heute ein Park mit Bäumen, Bänken und einem Fußballplatz.
Das ist die Arbeit des Lebo Malepa, der vor ein paar Jahren mit den Jugendlichen aus der Nachbarschaft das Begrünungsprojekt startete. Direkt vor seinem Haus, in dem er geboren wurde und aufwuchs und das heute der kleine Touristikbetrieb „Soweto Backpackers“ ist, mit Unterkünften, Verpflegung, Fahrrad- und Walkingtouren. Seit 1999 beherbergt Lebo hier Touristen. „Dort wo ich schlafe, können auch Touristen schlafen.“
Soweto BackpackersSoweto
Backpackers ist ein kleiner nachhaltig geführter Touristikbetrieb im Ortsteil von Orlando West in Soweto mit Unterkünften, Verpflegung, Fahrrad- und Walkingtouren.
Fairtrade in Tourism South Africa
Fair Trade Tourism South Africa (FTTSA) ist eine Non-Profit-Organisation, die für faire und verantwortungsvolle Geschäftspraktiken in südafrikanischen Touristikunternehmen unterstützt und wirbt .
Das war Lebos Anfang als Kleinunternehmer, mit dem ehrgeizigen Projekt, nachhaltigen Tourismus nach Soweto zu bringen. „Der gängige Tourismus sind Busse voll mit Touristen, die für ein paar Stunden nach Soweto kommen, Fotos aus dem Bus heraus nehmen, nur aussteigen, um in einem Restaurant Halt zu machen und überzeugt sind, dass sie erschossen werden, wenn sie aus dem Bus steigen.
Da ist es mit dem Fahrrad doch viel besser, Soweto zu erkunden. Wir sind Menschen, die hier leben und keine Touristenattraktion. Wenn Leute also auf Besuch kommen, müssen sie verstehen, das Menschen hier von etwas leben müssen und nicht, dass nichts für die Community übrig bleibt. Deswegen ist es mir so wichtig, dass viele aus der Gegend eingebunden sind.
Auf den Fahrradtouren lassen wir überall unser Geld liegen. Das nenne ich Arbeitsplatzbeschaffung und nachhaltigen Tourismus. Wo immer wir stehen bleiben, wollen die Leute, dass wir zurückkommen, weil wir nicht nur Bilder von ihnen machen.“
Hätten die Bewohner des Viertels mit den Wellblechhütten, durch die die Fahrradtour geht, Fotoapparate, wären die weißen Touristen, die sich unsicher auf teils zu kleinen Mountainbikes über die Schlaglocher mühen, ein beliebtes Fotomotiv. Menschenzootourismus unter umgekehrten Vorzeichen.
Doch so wird man ständig gegrüßt und angelächelt und Thsepo Matsile, der die Fahrradtour leitet, versucht, Ratschläge zu geben, in welcher Sprache man antworten kann:
“Südafrika hat elf amtliche Landessprachen, aber wir hier in Soweto haben dreizehn. Die 12. Sprache ist eine Mischung aus allen Sprachen, der Slang von Soweto, wie zum Beispiel „Tsotsi“ für Gangster. Und die 13. Sprache ist die Nummernsprache. 69 bedeutet, dass man eine Toilette sucht. Big 5 heißt, dass man hungrig ist und 411, dass man jemandem den letzten Tratsch und Klatsch erzählen möchte.“
Die erste Sprache, die die Leute in Soweto probieren, um miteinander kommunizieren zu können, ist iziZulu. Sie wird von 80 Prozent der Einwohner des Townships verstanden. Kein Township in Südafrika versammelt diese Vielfalt an Sprachen und Ethnien an einem Ort.
Monika Kalcsics © name*it
Thsepo ist Zutu und sein Name bedeutet Hoffnung. Das betont er sichtlich stolz, genau so wie die Tatsache, dass er in Soweto geboren und aufgewachsen ist. „16 Sekunden entfernt vom Backpackers.“ Im Haus seiner Großmutter, die in den 50er Jahren aus Lesotho kam, um in Johannesburg Arbeit zu finden. Sie steht für mehrere Generationen von Wanderarbeitern, die sich im heutigen Soweto niederließen.
Ursprünglich war Soweto eine Wohnsiedlung für Goldminenarbeiter, die ihre Familien auf dem Land zurücklassen mussten. 1923 wurde das Gebiet unter dem „Urban Areas Act“ zum schwarzen Ghetto ernannt. Das Gesetz regelte den Zugang der schwarzen Bevölkerung zu städtischen Gebieten.
Bald explodierten die Einwohnerzahlen mit Vertriebenen aus dem Zentrum Johannesburgs, zahlreiche weitere Townships entstanden, bis sie 1963 unter dem Namen Soweto zusammengefasst wurden.
Monika Kalcsics © name*it
„Ab den 50er Jahren gab es eine strikte Trennung zwischen den Wohnheimen der Frauen, die im weißen Johannesburg als Haushälterinnen arbeiteten und den Wohnheimen der Männer, den Minenarbeitern. Damit wollte die Apartheidpolitik die Bevölkerungszahl kontrollieren.
Damals waren die Arbeiter aus den Provinzen gezwungen, in den erbärmlichen Wohnheimen zu leben. Heute sind die Bewohner vor allem aus dem Kongo, Simbabwe und Nigeria,“ erzählt Tshepo, der das dritte Jahr als Guide durch Soweto führt und sich brennend für Geschichte interessiert. Auf jeder Fahrradtour macht er auch Halt in einem Shebeen, in dem es das lokal gebraute Maisbier gibt.
In dem Wellblech-Pub teilt man sich die leicht rosa schimmernde Brühe im Plastikeimer mit den Einheimischen. Der Eimer wird herumgereicht, bis er leer ist. Das spürt man dann beim Weiterfahren.
Die für den 22 jährigen Tshepo wichtigste Station ist die Hector Peterson Gedenkstätte. Sie erinnert an den verhängnisvollen 16. Juni 1976, als Schüler aus Protest für die Einführung von Afrikaans als Unterrichtsprache in schwarzen Schulen auf die Straße gingen. Die Polizei reagierte mit Schüssen. Mehr als 200 Kinder wurden verletzt, 23 getötet.
Monika Kalcsics © name*it
„Darunter war Hector Peterson, dessen Foto damals um die Welt ging. Seine Schwester lebt heute noch immer in Soweto. Sie arbeitet im Museum. Viele Kinder sind damals nach Botswana geflohen. Die Polizei war auf der Suche nach den Anführern und hat von Juni bis Dezember 600 Jugendliche umgebracht.“
Die Eltern von Lebo waren Antiapartheidkämpfer und gehörten zu denjenigen, die ins Exil nach Botswana flüchten mussten. 1990 kehrten sie mit Lebo nach Soweto zurück.
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„Es liegt in der Hand von uns jungen Menschen über die Entwicklung Sowetos zu entscheiden. Mit unserer Geschichte im Gedächtnis. Zu Apartheidzeiten war es verboten, im Township Handel zu treiben, jetzt eröffnen immer mehr Geschäfte und Werkstätten. Die Herausforderung liegt darin, aus der eigenen Kreativität hier etwas zu schaffen.“