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Das Biber

Artikel aus dem Stadtmagazin für Wien, Viyana und Beč. Mit Scharf.

5. 6. 2010 - 17:49

Die offene Wunde

Mit Bleiburg verbinden viele Kroaten die größte Tragödie ihrer Geschichte. Zehntausende starben dort durch die Hände der jugoslawischen Armee. Manche Kroaten nutzen das allerdings als Vorwand, um die Gräuel des faschistischen Ustaša-Regimes zu rechtfertigen.

Von Olja Alvir und Lucia Bartl (Fotos)

In der Nähe von Bleiburg, Südkärnten. Es schüttet und weht von allen Seiten. Regenschirme und Schuhe sind zwar nette Accessoires, widerstehen dem fürchterlichen Wetter aber nur kurzzeitig. Unzählige Autos reihen sich entlang des Straßenrandes. Aus allen Himmelsrichtungen sind sie gekommen: Deutsche, kroatische, bosnische, ja gar amerikanische und australische Kennzeichen sichten wir, ständig setzen Busse neue Besucher ab.

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Bleiburg, eine tiefe Wunde in der kroatischen Geschichte, auch 65 Jahre danach

Auf dem Weg zur Gedenkstätte begegnen wir auch schon den ersten Ustaše, die stolz und bedächtig ihre Fahnen wehen lassen. Einer geht voraus und filmt seine Freunde mit der Handykamera, ganz Balkanstyle. „Das kommt auf Facebook, heast!“ Schnittige Uniformen – das muss man ihnen ja lassen. Sie erinnern nicht umsonst ein wenig an die Waffen-SS. Fehlt nur noch, dass jemand auf dem Handy die kroatische Hymne abspielt. Mit Soundtrack würden sich die Burschis bei ihrem Aufmarsch wohl noch wichtiger vorkommen.

Spielverderber

Die Kostümparty kommt allerdings beim Einlass auf das Gelände zum so genannten „Bleiburger Feld“ zu einem jähen Ende: Private Sicherheitskräfte sichern den Eingang und sorgen dafür, dass Besucher mit politisierendem Äußeren von der Veranstaltung ausgeschlossen werden. Wer hinein will, muss sein Ustaša-Kapperl (vorerst) abnehmen. „Frechheit“, sagt I., dessen Vater Bleiburg überlebt hat und der mit seinem Großonkel aus Zagreb angereist ist. „Das sind uralte kommunistische Taktiken, die hier am Werk sind“, sagt er zu uns. Außerdem sei die Anwesenheit von Security-Leuten und Polizei – auf rund 6000 Gäste kommen etwa 120 Sicherheitskräfte – gemeine Manipulation. „Man will uns Kroaten diesen Feiertag verderben und sicher gehen, dass wir nicht so feiern können, wie es uns gebührt. Deshalb auch die Hetze der Medien.“

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Geheime Symbolik: Wenn das Schachbrett des kroatischen Wappens mit einem weißen Quadrat beginnt, handelt es sich m eine Ustascha-Fahne

Es ist ein Feiertag, der in dieser Form in Kroatien gar nicht gefeiert werden könnte. Die Ustaše von 1945 waren Nationalsozialisten mit entsprechendem Gedankengut und Symbolen. Jegliche Identifikation mit ihnen gilt als Wiederbetätigung und ist in Kroatien gesetzlich verboten. In Kärnten stößt sich niemand daran. Jährlich pilgern bis zu 10.000 Kroaten zur Trauerfeier aufs Bleiburger Feld, wo auch ein Gedenkstein errichtet wurde. Neo-Ustaše missbrauchen diese Feierlichkeiten, um den kroatischen Faschismus wieder aufleben zu lassen.
Die Erinnerung an das Massaker lebt erst seit dem Zusammenbruch Jugoslawiens wieder so richtig in der Öffentlichkeit auf. Während des kommunistischen Regimes, vor allem unter General Josip Broz „Tito“, durfte nicht über die schrecklichen Taten seiner Armee gesprochen werden.

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Gedenktafel von Bleiburg

Historisches Glatteis

Jetzt, im Mai 2010, halten Kirchenvertreter Ansprachen. Sie erzählen, was vor 65 Jahren in Bleiburg passiert ist. Die Erinnerung an diese Gräueltaten solle als Warnung für die Zukunft dienen, sagen sie. So weit, so gut. Dann kommt der Balkankrieg der 1990er-Jahre zur Sprache und damit geht’s schnell aufs Glatteis. Die umstrittene Operation Oluja wird als Beispiel für große Taten des kroatischen Volkes erwähnt. Prompt brandet Applaus auf. Allgemein wird das Gefühl vermittelt, dass es sich beim Bleiburger Massaker zwar um eine große menschliche Tragödie handelt. Die Kroaten hätten aber am meisten verloren – nicht nur Menschenleben, sondern auch ihre Unabhängigkeit samt klerikalfaschistischem Staat. Immerhin habe das Ende des zweiten Weltkrieges die Kroaten in die „Ketten des Kommunismus“ gezwungen. Die Verherrlichung des Marionetten-Ustaša-Staates wird am Bleiburger Feld jetzt deutlich sichtbar. Jasenovac bleibt unerwähnt. Es ist der Ort, wo das Ustaša-Regime sein größtes Konzentrationslager unterhielt. Schätzungen sprechen von hunderttausenden Opfern.

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„Viele, die das Buch durchblättern, brechen in Tränen aus.“

Auf dem Feld ist während der Messe nicht viel los, also stürmen wir wie die meisten anderen auch das Bierzelt und stürzen uns dort ins Getümmel. Zwei Mädchen verkaufen an einem Stand Bleiburg-Memorabilia, Kroatien-Fahnen und Abzeichen sowie anderen rot-weiß-karierten Schnickschnack. „Heute geht das Geschäft etwas schlecht, man spürt die Finanzkrise. Außerdem ist auch das Regenwetter ein wenig am schlechten Umsatz schuld.“ M. und A. kommen aus Zagreb und verdienen sich hier jedes Jahr ein wenig Geld dazu. Im Repertoire sind einige Bücher über den Todesmarsch, die durchzublättern ich mich aufgrund der schrecklichen Bilder kaum traue. M. kennt dieses Verhalten und sagt: „Vielen, die Angehörige in Bleiburg verloren haben, wird auch ganz schwer ums Herz bei diesen Bildern. Gerade war eine ältere Dame hier, die ganz aufgelöst war und zu weinen begonnen hat.“

Keine rechte Party

Der Himmel weint auch noch immer und unter dem schützenden Zelt begegnen wir A. und R., zwei jungen Kroaten, die in Deutschland wohnen und extra aus Dortmund mit dem Auto nach Bleiburg gekommen sind. „Nachts, wie man es bei uns eben so macht“, sagen sie. „Am Abend reisen wir schon wieder ab.“ Ob sich das auszahlt? „Naja, letztes Jahr war hier mehr Party. Alle Leute haben gesungen und getanzt. Man konnte auch tragen, was man wollte. Heute geht das ja nicht mehr.“ Ich lasse ein paar kritische Kommentare fallen und dann sagt A. plötzlich: „Aber hey, R., ich versteh’ das schon, dass die das nicht wollen, dass wir mit den Ustaša-Zeichen herumrennen. Das ist ja eigentlich nichts anderes als die Nazis, oder? Stell dir vor, die Nazis kommen irgendwohin und meinen, sie wollen jetzt Hakenkreuzfahnen schwenken. Das ist ja im Endeffekt dasselbe!“ Eine plötzliche Eingebung? R., der letztes Jahr wegen seiner Ustaša- und Kroatien-Tattoos der Star schlechthin war, sagt nur gelassen: „Naja. Aber hier in Bleiburg haben ja nicht nur wir Kroaten so viele Menschen verloren, sondern auch andere: Slowenen, Italiener, Deutsche... Die sollen nicht so tun, als wäre das eine reine Ustaša-Veranstaltung hier. Soll doch jeder tragen, was er will.“ Insgesamt wirken sie etwas enttäuscht, dass bei ihrem Freiluft-Festival wegen des Matsches und der Kälte keine Stimmung aufkommt und sie ihre schönen T-Shirts (etwa mit dem Antlitz des Ustaša-Führers Ante Pavelić) nicht herzeigen dürfen.

... dafür ein rechtes Fest

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Ante Gotovina, von vielen Kroaten verehrt, steht seit 2005 vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag

Ein paar bereits sichtlich Angeheiterte stimmen dennoch die ersten Thompson-Lieder an und mit der Kleidungsvorschrift nimmt man es auch nicht mehr so ganz genau: die beliebten Kopfbedeckungen sind jetzt überall zu sehen. Auch die tiefschwarzen – anscheinend hereingeschmuggelten – Fahnen werden jetzt gehisst. Mittlerweile ist die Messe vorbei und die anwesenden Vereine machen sich auf, ihre mitgebrachten Kränze zum Gedenkstein zu legen. Nach diesem offiziellen Akt leert sich das Gelände. Die meisten eilen in trockenere, weniger bewachte und kontrollierte Gebiete.
Insgesamt ist die Bleiburger Gedenkfeier dieses Jahr wohl für niemanden ein Highlight. Die anwesenden Neo-Ustaše, Klerikalfaschisten und militanten Kroatienfans können ihr Kroatentum nicht so ausleben, wie sie wollen. Die Kritiker werden enttäuscht sein, dass es trotz kosmetischen Maßnahmen wie dem Verbot von Fahnen und Uniformen doch wieder ein Rechtsradikalen-Treffen geworden ist.

Info-Box

Cover der Zeitschrift "das biber"

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Der Artikel "Die offene Wunde"

in der Juni-Ausgabe von biber. mit scharf erschienen.

Im Mai 1945 kapitulierte das faschistische Ustaša-Regime des sogenannten Unabhängigen Staates Kroatien. Es war zuvor mit Hilfe der deutschen Nationalsozialisten installiert worden und kämpfte mit den Achsenmächten gegen die Alliierten. Das Regime wollte sich den in Kärnten stationierten Briten ergeben. Alles schien besser, als sich der verfeindeten Jugoslawischen Armee auszuliefern.
Tausende Menschen, darunter nicht nur Ustaše, sondern auch viele Zivilisten, begaben sich auf den Weg nach Österreich. Sie wussten nicht, dass die Briten mit der Jugoslawischen Armee bereits einen Pakt abgeschlossen hatten. „Verräter und Deserteure“ sollten nach der endgültigen Kapitulation und Entwaffnung umgehend der Jugoslawischen Armee übergeben werden. Eine Bedingung war, dass Zivilisten in ihre Herkunftsgebiete zurückgebracht werden und mit den Streitkräften nach den Bestimmungen des Völkerrechts verfahren wird.
Schätzungen zufolge trieb die Jugoslawische Armee bis zu 135.000 Menschen über Nordkroatien in Richtung Vojvodina. Es wurde ein Todesmarsch. Wer beispielsweise nicht das Tempo der bis zu 60 Kilometer langen Kolonne halten konnte, wurde erschossen. An „geeigneten“ Orten wie alten Panzergräben und Karstspalten wurden hunderte Menschen exekutiert und verschwanden in Massengräbern. Es ist unsicher, wie viele Menschen insgesamt zwischen Bleiburg und der Vojvodina umgekommen sind. Die Untersuchungen und Exhumierungen sind noch lange nicht abgeschlossen. Historiker sind sich aber einig, dass die Opferzahlen in Zehntausenden anzugeben sind.

Statement der Landesregierung Kärnten zur Gedenkveranstaltung in Bleiburg:

Nachdem Österreich ein demokratisches Land ist, herrscht hier auch die Versammlungsfreiheit. Um die Sicherheit zu gewährleisten waren selbstverständlich Sicherheitsbehörden in die Veranstaltung eingebunden und vor Ort, um mögliche Verletzungen des in Österreich sehr strengen Verbotsgesetzes zu überwachen. In den letzten Jahren hat es diesbezüglich keine Verletzungen gegeben. Außerdem hat an der besagten Veranstaltung/ Gedenken auch die kroatische Staatsspitze teilgenommen.