Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "WM-Journal '10-3."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

3. 6. 2010 - 19:16

WM-Journal '10-3.

Die Gruppen-Previews. "B" wie Antipathie und Unsicherheit.

Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - in den nächsten Tagen mit einer Vorstellung der einzelnen Gruppen.

Das WM-Journal gibts auch als Podcast.

WM 2010: Die Übersicht

Hier der Link zur kompletten offiziellen Kader-Liste der FIFA, hier der Überblick bei transfermarkt.

Hier die kompletten Kader der Gruppe auf einen Blick.

Und das ist die Gruppe B-Einschätzung der werten Sport-Kollegen.

Während meine Zuneigung für die vier Teams in Gruppe A gar nicht ausreicht (denn ich mag die Psycherl ja), ist die erste Assoziation zur Gruppe B pure Antipathie. Das hat mit Herrn Rehhagel und Senor Maradona zu tun oder dem letzten Auftritt Nigerias im Afrika-Cup.
Und natürlich ist das blöd, undifferenziert und in weiterer Folge auch nicht konstruktiv. Denn die genaue Betrachtung offenbart bei allen vier Teams der B-Gruppe Außergewöhnliches - da steht so eine per se-Ablehnung ganz schon deppert im Weg herum. Deshalb leg' ich sie lieber gleich offen.

Denn vielleicht blendet das meinen Eindruck der aktuellen Spielstärke von vier B-Teams: und der wäre blurred, also verschwommen, unsicher, vage. Argentinien, Griechenland und Nigeria wissen nicht so recht, wo sie stehen, was sie können. Und auch Südkorea misst sich zu selten auf kompetitivem Level mit den Großen, um da sicher zu sein.

Der nicht geheime Geheimfavorit: Argentinien

Das hat mit der überlebensgroßen Figur des Diego Maradona zu tun: Milliarden Fußball-Fans (denn Argentinien und vor allem Maradona werden höchst global schwerstverehrt) projizieren ihre Hoffnungen in ihn und kleistern damit alle Unebenheiten zu. Von denen gab es zuletzt eine Menge.
Letztlich hat es Maradona die gesamte Qualfikations-Campaign über nicht geschafft, aus der unglaublichen Masse verfügbarer 1A-Teamspieler ein halbwegs anständiges Team zu bilden. Er kranklt ein wenig orientierungslos vor sich hin, hat bestenfalls bei der Wahl seiner Stürmer ein gutes Händchen und...

Ja, ich habe mit Maradona ein ganz prinzipielles Problem. Nein, hier ist gerade nicht der richtige Ort das auszuführen und durchzukauen, vielleicht später einmal.

... spätestens hier, wenn ich mich in Gegen-Maradona-Rage zu reden beginne, erscheint mir der Geist von Hannes oder Aldo Duscher und sagt die beruhigenden Worte: "Oida, vergiss es. In echt managt der Bilardo das Team. Maradona steht nur für die Presse an der Rampe."

Da haben die Cousins natürlich recht - der alte Sportdirektoren-Fuchs hat die Hosen an. Während vorne Diegito Journalisten anpöbelt oder beschießt und alle (alle) Aufmerksamkeit auf sich zieht, arbeitet hintendrin ein Trainer-Team unter Bilardos Leitung. Luis Brown ist dabei und Sergio Batista, beide 86 Weltmeister mit der Hand Gottes.

Auch interessant: die Liste der ehemaligen neuen Maradonas, die NICHT nominiert sind: Riquelme, D'Allessando, Aimar, Insua, Gago, Saviola...

Und, ja, auf die Inter-Riegel Cambiasso und Javier Zanetti legte man, angesichts des Alters der Defensive nachvollziehbar, auch keinen Wert.

Apropos Batista. Der ist im aktuellen Trainingslager für etwas zuständig, was ich für eine gute Idee halte.
Vielleicht können sich einige noch dran erinnern: ich habe für die Vorbereitung vor der Heim-EM 08 einen Groß-Kader gefordert, damit das Nationalteam unter Echtzeit-Bedingungen jederzeit Trainingsspiele absolvieren kann. Darüber haben die üblichen Auskenner österreichischer Provenienz gespottet: lächerlich, unsinnig, gab's nie, braucht's nicht, reine Schreibtisch-Idee.
Argentinien macht's jetzt. Batista ist für einen 16/18-Mann-Kader von "Nahe dran"-Fast-Teamspielern aus der argentinischen Liga zuständig, die genau für solche Trainingszwecke unter Wettbewerbsbedingungen da sind. Damit jederzeit ein "Gegner" da ist. Das hat Stil und Klasse.

Insofern kann ich jetzt doch nur für Argentinien sein, Koksnaserl und Schimpfzwergerl hin oder her...

Plus/Minus-Wertung:

On public demand: die Argentina-Analyse von zonalmarking, dem Taktik-Blog, mit dem ich mich jüngst auf meinen Portugal-Ausflug vorbereitet habe. Ein Tipp von M., danke dafür!

Im Ernst jetzt: die Albiceleste weist schwere Problemzonen auf. Die Tormann-Position ist seit Jahren eine einzige Wunde. Nach Franco, Lux, Saja, Carrizo und Abbondanzieri sind jetzt die Herren Romero, Andujar und Pozo im Kader. Und keiner hat je wirklich Sicherheit ausgestrahlt.

Die Abwehr (Demichelis, Samuel, Heinze) ist überaltet - bis auf Rechtsverteidiger Otamendi kratzen die alle zumindest an der 30 und haben Probleme mit dem Tempo.

Im Mittelfeld hat man sich von Juan Veron abhängig gemacht. Die alte Haut scheint in der Form seines Lebens zu spielen - aber wenn er aus- oder zurückfällt: wer organisiert dann die Umschaltzentrale.

Argentiniens Stürmer: Messi von Barca, Higuain von Real, Aguero von Atletico, Milito von Inter, Tevez von Man City und Palermo von Boca. Schlicht das Beste vom Besten, selbst Lisandro Lopez von OL war da ohne Chance.

Das Überangebot im Angriff ist eine Sensation, kann aber auch zu quasi politischen Konzessions-Entscheidungen und bösem Blut führen.

Zudem macht mich der kleine Hype um Angel di Maria nervös. Den hat mittlerweile jeder Tonipolster als Entdeckung des Turniers auf seinem Zettel - wohl ohne ihn jemals gesehen zu haben, rein aufgrund einer weltweiten Mundpropaganda-Welle.
Di Maria hat bei Benfica eine Top-Saison gespielt, ist aber keiner, der ein Spiel im Alleingang rumreißen kann - er braucht ganz gezielte Einbeziehung, wenn er am linken Flügel effektiv sein will. Der jüngst aufgebaute Druck kann also auch massiv backfiren.

Der neuerliche Anlauf von Nigeria

Für Nigeria kommt's knüppeldick - am Samstag fiel auch noch John Obi Mikel (die Chelsea-Spieler haben die Seuche, nach Ballack, Essien und Drogba jetzt auch er...) aus. Damit verdoppelt sich alles, was hier im Text über die Mittelfeld-Schwächen steht, dramatisch.

Genaueres zu Nigerias Leistung im Africa Cup findet sich in den Logs vom 12.1., dem 16.1., dem 25.1. und dem 28.1. samt dem Versuch einer Preview für die WM aus damaliger Sicht.

... ist nach dem rundum verpatzten Auftritt beim Africa-Cup im Jänner vonnöten und auch in vollem Gange. Die Super Eagles wurden dort zwar Dritter, fanden aber über sechs Spiele nicht zu einer Einheit, nicht zu einem System und schon gar nicht zu einem echten Team-Auftritt. Danach übernahm Lars Lagerbäck, der alte Schwede und tat, was er konnte: alle in Frage kommenden Spieler irgendwie durchchecken (was teilweise nur oberflächlich passieren konnte - die spielen über ganz Europa verteilt) neubewerten, das System evaluieren etc. Bis auf Rechtsverteidiger Yusuf Mohamed, der sich nach Saudi Arabien vertschüsste, bekamen alle ihre Chance und ein paar (unter anderem Rafiu Afolabi, der einzige Beitrag, den die heimische Bundesliga bei dieser WM leistet) haben sich reingekämpft.

Ich befürchte, dass die Grund-Problematik bleibt: Nigerias aktuell selektionierbare Generation hat kein g'scheites Mittelfeld. John Obi Mikel ist da ziemlich alleine, und wenn er nicht gut beinander ist, dann... Lagerbäck probiert's mit Haruna Lukman von Monaco und hofft auf Steigerungen von Uche, Kaita und dem enttäuschenden Etuhu.

Dazu kommt die Überreife von Abwehrchef und Kapitän Joseph Yobo und dem heimlichen Co-Trainer Nwanku Kanu, die aufgrund nationaler Interessen (in Nigeria stellen Minister und Verbandschefs gerne mit auf) Fixplätze haben, Kanu oft nur noch für 30 Minuten.

Ob Lagerbäck das zuletzt übliche 4-3-3 spielt oder sogar zugunsten eines 4-2-4 umstellt, also aus der Mittelfeld-Not eine Angriffs-Tugend macht, wir werden's bald sehen.

Positiva: Vincent Enyeama, eine bis auf Yobo extracoole Abwehrreihe und natürlich die Variations-Breite der Spitzen. Vielleicht wird es endlich das Turnier von Peter Osaze Odemwingie, der würde es verdienen, aber auch Yakubu, Martins, Obasi, Utaka oder Obinna können einiges.

The Team to Hate: Griechenland

... weil sie mehr Defensivspsieler nominiert haben als alle anderen, Nordkorea eingeschlossen.
... weil ihr Mittelfeld nicht für den Aufbau, sondern für die Destruktion arbeitet.
... weil - Otto Rehhagel.

Derlei Genörgel ist nun aber, um ein Otto-Wort aufzugreifen (von dem er wohl denkt, es wäre griechischen Ursprungs...) alles Kokolores. Reiner Schwachsinn.

Ich wünsche mir eine Auferstehung, eine Rehabilitation für bereits zu viele peinliche Turnier-Auftritte.
Und knüpfe meine Hoffnung an den Einsatz von Sotiris Ninis. Der ist 22 (außer ihm gibt es noch genau einen U25jährigen im Kader...), ehemals bester Spieler des U19 EM-Turniers von 2007, und ein offensiver Schlachtenlenker, ein wahrer Hektor unter vielen Mitläufern.

Nutzloses Wissen am Rande: mit Konstantinis Mitroglou fehlt der einzige türkischstammige (wiewohl sich da schon ein griechisches O vors U gemengt hat) Kandidat.

Da Griechenland ein Reservoir von durchaus brauchbaren Stürmern (Salpingidis, Samaras) hat, die aus den wenigen Chancen was machen können, wäre das eine Option für ein schnelles Konterspiel, mit dem sich man auf gutklassigem Niveau anständig aus der Affäre ziehen kann.
Was anderes bleibt dem Team auch nicht übrig: Denn im Gegensatz zur Qualifikation haben die Griechen in Südafrika kein Losglück. Und mit der statischen epischen Fadesse, die ihr Spiel in den letzten Jahren, äh, antiausgezeichnet hat, wird diesmal kein Blumentopf zu gewinnen sein.

Zudem sind ein paar Überbleibsel wie Dellas und Basina verschwunden, mit den verbliebenen Haudegen, mit Seitaridis und Vyntra, mit Karagounis und Katsouranis lässt sich proper arbeiten.
Die ein wenig überschätze Deutschland-Connection hat sich auf Charisteas (zuletzt auf der Bank bei Nürnberg) und Gekas (mit Hertha abgestiegen) reduziert: Amanatidis ist nicht fit, Liberopoulos, der andere Frankfurter nicht dabei.

Es wird wieder ein 4-3-3 werden, das scheint klar. Das kann man aber so interpretieren wie 2004, wo das einmal eher zufällig aufgegangen ist oder so wie Italien 2006, eine Marke die bis heute steht.

Kim-Lee-Cha, hoppauf Südkorea!

Das ist eine recht neue Mannschaft, die ich nur über TV-Ausschnitte, Resultate und Hörensagen kenne.
Den Lee-Tormann, den Lee-Abwehrchef, den Du-Ri Cha (Bum-Kuns Sohn), einen Mittelfeld-Kim, Superstar Park von ManU, den heuer sehr aufgefallenen Lee von Bolton und den heldenhaften Ahn (der Italien-Killer von '02) hab' ich noch im Gedächtnis.

Sonst?
Chu-Young Park, der bei Monaco spielt, soll ein schlauer Kopf sein, hängende Spitze in einem 4-4-2.
Recht wenige Legionäre bietet Jong-Moo Huh, der heimische Teamchef auf, auf ein paar "Japaner" (Kwak und einen Lee) hat er verzichtet. Sung-Young Ki hatte bei Celtic seine Einsätze, Young-Pyo Lee spielt jetzt bei den Saudis, auch kein echter Aufstieg.

Die Qualifikation hat das Team schnörkellos bestritten, zweimal kam man da per Los gegen den Klassenfeind aus Nordkorea - drei Unentschieden und ein Sieg. Und auch sonst: immer das Notwendige zur problemlosen Qualifikation.

Vielleicht ist das Feuer, die Originalität, mit der Südkorea bei den letzten WM-Auftritten durchaus überzeugen konnte, eh vorhanden - und wartet auf den Vorhang. Ich weiß es schlicht und einfach nicht.

Gruppen-Fazit

Die Papierform sagt: Argentinien macht das, Nigeria stellt sich gleich dahinter an, Koreaner und Griechen verabschieden sich höflich.
Aber: so richtig sicher und selbstbewusst geht keines der vier Teams ins Turnier. Maradona pfeift im Wald - auch weil er weiß, dass er bei einem schwachen Abschneiden sofort selber weggeschnitten wird. Und die anderen ducken sich hinter dem Medien-Magneten ab, recht froh, dass ihnen keiner so recht Beachtung schenkt.