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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

4. 6. 2010 - 17:31

Der Niesenbär

Richtung Mittag durch die Nacht: in der Grazer Niesenbergergasse ist Elektronik zuhause. Mitgliedsausweise zücken, es geht in einen Club.

Um die Grazer Niesenbergergasse ranken sich Erzählungen wie der Efeu über das Gebäude am Nachbargrundstück zum jüngsten Club der Stadt. Stille Post bis über den Semmering: "Underground!".

Wer jetzt die Augen verdreht und ein Gähnen simuliert, ist schon einmal gefühlte dreißig Minuten an der Bar aus Bierbänken, Stoffbahnen und Gafferband für ein Getränk angestanden und über eine Treppe zur nächsten Party gelangt. Und vielleicht vor Fiago inmitten Tanzender zu stehen gekommen. Irgendwo endet jedes Labyrinth, doch zurück an den Anfang.

Ein winziges Kärtchen, das zu einer Labelnacht von Houseverbot lud, war der erste Flyer, den ich letzten Sommer entdeckt habe. Auf der Rückseite ein Lageplan: Von der Annenstraße in die Elisabethiner- und nochmal in die Niesenbergergasse einbiegen. Tagsüber hört man in der Gasse in unmittelbarer Nähe zum Elisabethinenspital die Vögel zwitschern.

An bestimmten Freitagabenden warten vor dem Schiebetor zum Garten der Niesenbergergasse 16 immer wieder kleine Freundesgruppen. Hinter dem Zaun liegt der "Niesenbär", wie ein Freund das "Kultur-Kompetenz-Zentrum Annenstraße" nennt. Das mannshohe Tor hat Metallspitzen: Der Niesenbär zeigt die Zähne, drei Securities kontrollieren den Eingang. Außen sieht es so aus, als ob er schlummert. Innen wummert's.

Außenansicht des Kulturkompetenzzentrums Niesenbergergasse in Graz.

Jörn Grocholl

Die DJs Bernstein und Japun legen ab und an bei Feinkost Mild auf, wo es köstlichen Wurstsalat gibt und Rose Mild ihren Gästen Gedichte rezitiert.

Neu in Graz ist das Lokal Chat Noir am Lendkai. Beim springten als "secret location" genützt, eröffnet das vormalige Bordell dieses Wochenende als Ausgehlokal. Mi-au.

Im Niesenbär werden Partys gefeiert. "Bis zehn, elf - vormittags!" wie Augen- und Ohrenzeugen mit lächelnder Genugtuung berichten. Hausgemacht ist meist auch die Musik und bevorzugt elektronisch. Die Labels Moonbootz Rec. und Houseverbot sind ebenso eingemietet wie disko404. Le TamTam proben in der Niesenberger, die DJs Bernstein und Japun von Same Elements teilen sich ein Studio, nebenan werken m.a.r.s., Bitz und Dustex. Die zehnköpfige Samba-Kombo Vento Sul, Stereoface oder Izen, die neue Band von Ex-Sans Secours-Gitarrist und DJ Cheever, haben hier ihre Proberäume wie vier weitere Bandprojekte. Jahrzehntepartys bleiben ausgesperrt, in der Tat wird in der Niesenberger im besten Sinne experimentiert und das gerne ausgiebig vor Publikum.

Hausgemacht

Die Initiatoren des Projekts "Kultur-Kompetenz-Zentrum Annenstraße", Jörn Grocholl und Matthias Maurer, haben den Standort vor einem Jahr per Mietvertrag gesichert und die einstige Montagehalle einer Aufzugsfirma als Clubraum eigenhändig adaptiert. Der sperrige Titel wird bald geändert, sagt Maurer. Bislang blieb dazu keine Zeit. „Man unterschätzt das so, es ist viel Arbeit", sagt Grocholl, der rundum mit dem 700 Quadratmeter großen Zentrum beschäftigt ist. "Die letzten zwei Tage waren wir wieder mit Ausmalarbeiten beschäftigt, und wir putzen alles selber.“

Betriebsanlagengenehmigung gibt es noch keine, sämtliche Veranstaltungen laufen auf Vereinsbasis. Die Kunde macht Mund zu Mund die Runde, Ankündigungen gibt es für Mitglieder via Facebook. Gibt es Flyer, liegen sie nur in der Location selbst auf. Die Kapazitäten sind beschränkt. "Wir möchten nicht, dass vor der Türe fünfzig Leute warten, aber wir niemanden mehr hereinlassen können", sagt Jörn Grocholl zur Einladungstaktik des Hauses.

Der Außenmauer entlang ums Eck geht es hinein in den Club, kurzer Halt bei weiteren Türstehern. Wer eine Mitgliedskarte hat, zückt sie, sonst kann man sich mit Name, Adresse, Unterschrift in eine Liste eintragen. Das ist auch noch beim zweiten Besuch ein bisschen aufregend. Vom Ende des Ganges dringen Beats und Stimmengewirr.

DJs und tanzende Mädchen.

Daniel Pucher

Mit einem Dutzend Diaprojektoren ist der Clubraum im Erdgeschoss ein 360-Grad-Spielball für VJs. Der Niesenbär war Zebra, Dschungel, Weltall, das VJ-Duo OchoResotto hat die Technik installiert und bespielt sie mit Begeisterung. Der zweite, kleinere Clubraum im Keller wurde vor kurzem vergrößert, jetzt gibt es eine Bühne und noch im Juni soll eine Sommerkonzertschiene starten. Der Niesenbär hat einen wilden Charakter, der macht aber auch seinen Charme aus. Doch es gibt eine Garderobe und Fluchtwegleuchten.

Lüftungsrohre an der Decke und Wartezimmersessel im Clubraum der Niesenbergergasse

Daniel Pucher

Abwechselnd zu den Jam Sessions im Sub lädt man in den kommenden Wochen erstmals zu einer Elektrolounge und zeitgleich zu einer klassischen Gitarre-Schlagzeug-Bass-Jam Session. Alle vierzehn Tage wird mittwochs improvisiert werden.

Für Rundgangerl im Freien stehen zwei Tischtennistische bereit. Rosensträuche wuchern vor dem Büro des Elevate-Teams, das zu den ersten Untermietern der Niesenbergergasse zählt. Zu mehr als Rasenmähen kamen die eingemieteten Vereine und Bands jedoch noch nicht.

Hobbygärtner ohne Garten und Balkonkisterl können mit dem Botanik-Studenten Sascha Vanicek die Gemüsebeete betreuen, die er im Hof wiederbelebt hat. Vor fünfzehn Jahren wurde der "urbane Garten" bereits genützt, innerhalb der alten Beetgrenzen sprießen jetzt Pflänzchen von Tomaten, Kircherbsen, Linsen, Bohnen und Salate. Wie das Kultur-Kompetenz-Zentrum wird der Garten nicht als temporäre Aktion, sondern als längerfristiges Betätigungsfeld aufgefasst.

Besucher in den Clubräumen in der Niesenbergergasse

Jörn Grocholl

Ein Jahr Niesenberger

Dem Ruf, eine lässige After-Hour-Location zu sein, können die Niesenberger-Betreiber wenig abgewinnen. An Clubabenden soll zukünftig früher Schluss sein.

Grafik ein Jahr Niesenberger, Schriftzug rund wie eine Platte

Kultur-Kompetenz-Zentrum Annenstraße

Am 4. Juni feiert sich das
Kulturzentrum selbst. Es macht ja sonst auch fast alles selber.

Eine Ausnahme gibt es allerdings bestimmt noch. Das Fest zum einjährigen Bestehen findet heute, Freitag, 4. Juni, statt und beginnt um neun Uhr - abends wohlgemerkt, es wird ja kein Frühschoppen (wobei: wer weiß..) mit Konzerten.

Das Elektroprojekt Ear Mob und das Elektroduo The Tweakers, zu dem sich Bitz und Martin Riegelnegg zusammentun, werden live spielen.
Und Liisun wird ihr zweites Konzert überhaupt geben. Beim Lendwirbel haben sich die Zuhörer reihum verliebt. Keine Warnung, vielmehr eine herzliche Empfehlung.

Danach folgen DJ-Sausen samt tanzender Wände von OchoResotto und Rhythmus 42. Nächste Woche dreht sich dann zum dritten Mal das Karussell in der Niesenbergergasse.