Erstellt am: 4. 6. 2010 - 11:05 Uhr
Rehe, Füchse und Miezekatzen
Hörtipp
- Richard Eigner von Ritornell hat uns einen exclusiven Mix für Liquid Radio gebastelt, zu hören am kommenden Sonntag ab 24 Uhr.
Nach der letzten FM4 Soundpark Studio2 Session haben wir den armen TechnikerInnen im Studio2 des Wiener Funkhauses hoch und heilig versprochen, dass beim nächsten Mal Bands aufspielen werden, die nicht so viel technischen Aufwand benötigen werden. Also haben wir auf zwei Elektronik-Duos gesetzt, die wohl nicht mehr als ein Mikrofon und zwei Laptops mitbringen würden - so unsere Überlegung.
Falsch gedacht. So einen Kabelsalat wie bei der gestrigen Session hat das altehrwürdige Studio2 selten gesehen. Trotz gebrochenem Versprechen war uns aber niemand böse und die TechnikerInnen im Studio2 haben wie immer alles locker und mit der gewohnten Professionalität gemeistert. Nach meinen Zählungen standen elf (!) Mikros auf der Bühne herum, die sechs, die aufs Publikum gerichtet waren, um den Applaus aufzufangen, gar nicht mitgerechnet. Und dazwischen unzählige Instrumente, von riesigen Kontrabässen, über ein Saxophon, zur winzigen Kalimba. Verantwortlich dafür waren die beiden Bands: Ogris Debris und Ritornell, die den gestrigen Abend eröffnet haben.
Pamela Rußmann
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I want you to fall in love
Angefangen hat alles hier, wo wir euch aufgefordert haben, Spieluhren zur Studio2 Session mitzubringen. Und tatsächlich: mindestens zwanzig Spieluhren samt BesitzerInnen fanden sich im Halbstock zwischen Erdgeschoß und Keller des Funkhauses ein. Unter der Leitung von Richard Eigner - neben Sängerin Mimu eine Hälfte von Ritornell - wurde ein Halbkreis gebildet und an den Spieluhren gedreht. Schlicht und einfach "Musicbox" nennen Ritornell diesen Song, den ersten des Abends, der so manchem im Publikum Erinnerungen an vergangene Kindheitstage beschert hat.
Pamela Rußmann
Dann hat man sich an die Instrumente gesetzt. Einen Kontrabassisten, einen Pianisten und einen Herren für die Elektronik haben sich die beiden extra für heute ins Boot geholt. Richard Eigner bespielt das Schlagzeug, als wäre es ein zartes Röslein. Jeder Stupser, jeder Strich mit dem Beserl scheint geplant, scheint in diesem Moment das einzig Richtige zu sein und Sängerin Mimu verzaubert mit ihrer Stimme in Sekundenschnelle den ganzen Raum.
Fuchs und Reh verlieben sich
Das was sie singt, ist pure Lyrik, zusammengefügte Textschnipsel aus ihrer internen Festplatte, wie sie selbst sagt. So entstand auch der Song, über den nach dem Konzert im
Pamela Rußmann
Publikum am meisten geredet wurde: "Deer and Fox", in dem ein tierisches Liebespaar erst im Tod wirklich vereint wird, in Form eines Stücks Seife.
Fast wie nebenbei spielt Mimu das Akkordeon mit dem Rücken zum Publikum, weil Augenkontakt untereinander für Ritornell alles bedeutet. Für diese Session haben sie zum ersten Mal richtig intensiv geprobt, was sonst bei ihren Live-Auftritten passiert, ist oftmals reine Improvisation. Wie das - eben nur durch Blickkontakt - funktioniert, haben sie dann auch noch eindrucksvoll in einer Impro-Zugabe präsentiert. Verblüffend und fantastisch, wie aus dem Nichts heraus in wenigen Momenten ein wunderschöner Popsong entstehen kann.
Pamela Rußmann
Ritornell haben das Publikum in Begeisterungsstürme versetzt - völlig zu Recht. Dass der Synthesizer mit einem umfunktionierten Playstation-Controller bedient wurde und das Rauschen eines alten Radiogeräts über einen FM Transmitter abgespielt wurde, während allerlei Percussion im Umlauf waren, hat dem ganzen dann auch noch einen Touch kindlicher Spiellust verliehen, aber davon zu erzählen, würde hier wirklich den Rahmen sprengen.
Pamela Rußmann
Des Kaisers alte Kleider
Unter diesem Motto haben sich Ogris Debris, benannt nach einer seltenen Chamäleon-Art, in schicke schwarze Anzüge gekleidet, um dem viel geschätzten Studio2 die Ehre zu erweisen, die es verdient. "Ogris Debris und Big Band" nennen sie sich heute extra für diese FM4 Soundpark Studio2 Session. Denn die beiden Herren, die sonst in vollgestopften Clubs die Elektrofans zum Schwitzen bringen, haben sich Unterstützung in Form der vierköpfigen Band JSBL geholt, um ihre Songs erstmals mit Instrumenten einzuspielen.
Völliges Neuland also. In so einer Situation kann das Studio2, das schon so viele Künstler durch die spezielle Akustik etwas eingeschüchtert hat, wirklich bedrohlich wirken.
Pamela Rußmann
Aber nicht für Ogris Debris. Sie wenden einen Trick an, um der majestätischen Gefilde Herr zu werden. In der Umbaupause werden mit Hilfe des Publikums alle Sitzmöglichkeiten an den Rand geschoben. Die Zuschauer sollen stehen, ja sogar tanzen beim Konzert. Und es funktioniert tatsächlich: Schon beim ersten Song werden Beine und Köpfe geschüttelt - im richtigen Beat, versteht sich. Plötzlich hat das Studio2 nichts Einschüchterndes mehr an sich und eine Party ist im Gange. Immer wieder schön zu erleben, wie wandlungsfähig dieser Klangraum doch sein kann.
Pamela Rußmann
Pamela Rußmann
Bei Ogris Debris wird in die Hände geklatscht, zu sechst gesungen, der Kontrabass, der Flügel und ein Saxophon bespielt und alle sind sich einig: Das tut gut. Das tut auch den sonst rein elektronischen Tracks gut. Wie in einem Jazz-Club - mit passendem Hut - spielen Ogris Debris ihre Songs locker aus der Hüfte weg, als hätten sie sie immer schon so performt. Ein Elektroduo stand da gestern nicht auf der Bühne, sondern eine Herzblut-Band, ganz eindeutig.
We're free to be freaks.
Als dann auch noch das Publikum zum Chor umfunktioniert wird, ist die Ehrfurcht vor dem Studio2 ganz gebrochen. Alle singen mit und tanzen und fühlen sich pudelwohl. Schön war das, wirklich.
Dass am Ende noch ein als Katze verkleideter Richard Eigner von Ritornell die Bühne betrat und während dem Song "Miezekatze" leckere Schoko-Katzenzungen ausgeteilt wurden, behalte ich für mich, da das hier ebenfalls zu weit führen würde.
Ein Spektakel war das alles. Und zwar ein großartiges!
Pamela Rußmann
Ausgestrahlt wird die Session am Mittwoch in der FM4 Homebase. Das Video zur FM4 Soundpark Studio2 Session mit Ogris Debris und Ritornell gibt es dann hier an dieser Stelle zu begutachten.