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1. 6. 2010 - 18:13

Ohne Geld kein Arzt

SVA-Versicherte müssen seit 1. Juni möglicherweise bar bezahlen – und haben eine erste Demo dagegen veranstaltet.

Heute beginnt der sogenannte "vertragslose Zustand" zwischen der Ärztekammer und der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft (SVA). Wer bei der SVA krankenversichert ist, muss den Arztbesuch höchstwahrscheinlich bar bezahlen. Das betrifft weit über 400.000 SVA-Versicherte. Die meisten von ihnen sind nicht Großunternehmer, sondern freiberuflich tätig. Die sogenannten "Neuen Selbständigen" leben oft am Existenzminimum, sie haben keine Arbeitslosenversicherung und keine Kündigungsfristen.

Christoph Weiss/Radio FM4

Neue Selbständige demonstrieren vor der SVA-Zentrale in Wien.

Günther Friesinger ist einer von ihnen: Er arbeitet als Künstler, Webdesigner, Kultur- und Projektmanager und fühlt sich schlecht informiert: "Ich weiß eines: Dass ich nämlich, wenn ich zum Arzt gehe, Geld eingesteckt haben muss und dass ich von der Krankenkassa vielleicht etwas zurück bekomme. Allerdings ist unklar, wie viel."
Bezahlte Arzthonorare müssen schriftlich bei der SVA eingereicht werden, die dann bis zu 80 Prozent der Kosten rückerstattet.

Wie lange dieser vertragslose Zustand dauern wird, hängt von den Verhandlungen zwischen Ärztekammer und SVA ab. Verhandlungen, die derzeit jedoch nicht stattfinden. Martin Gleitsmann, stellvertretender Obmann der SVA, kann nicht einschätzen, wann ein neuer Vertrag geschlossen wird: "Wir werden uns natürlich ab dem ersten neuen Verhandlungstag darum bemühen. Jetzt gilt unsere ganze Sorge den Versicherten, ihren Ängsten und ihren Nöten."

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60 Prozent der SVA-Versicherten verdienen weniger als 1.000 Euro im Monat. Besonders hart treffen könnte der vertragslose Zustand auch Pensionisten und Pensionistinnen mit SVA-Versicherung - oder Familien, in denen beide Ehepartner und somit auch die Kinder bei der SVA versichert sind. In letzterem Fall könnte auch ein Besuch beim Kinderarzt teuer werden. "Ich habe Lungenprobleme", sagt Günther Friesinger. "Ich habe viele Allergien, ich habe im Schnitt einmal in der Woche einen Arzttermin. Das heißt, ich kann mir jetzt überlegen, einen Kredit aufzunehmen oder alle Arzttermine zu streichen." Die Aufnahme eines Kredites zur Vorauszahlung einer medizinischen Behandlung sollte im österreichischen Sozialsystem eigentlich nicht notwendig sein. Aber abgesehen davon ist es gerade für Selbstständige, deren Verdienst stark schwanken kann, schwierig, überhaupt einen Kredit zu bekommen.

Die SVA hat unter der Nummer 05/08083000 eine Infohotline eingerichtet und beantwortet FAQs auf ihrer Homepage. Und die Ärztekammer hat unter sva-vertragsloser-zustand.at gleich eine eigene Website erstellt. Und natürlich empfiehlt es sich, den Arzt oder die Ärztin vor eurem Besuch anzurufen und zu fragen, ob die eCard nicht doch akzeptiert wird bzw. wie viel Geld ihr mitnehmen sollt. Der Protest von Betroffenen formiert sich hier auf Facebook.

Die von der SVA geleistete Rückerstattung des Honorars dauert üblicherweise mehrere Wochen. Martin Gleitsmann von der SVA will sich dafür einsetzen, dass es in Zukunft schneller geht: "Wir werden natürlich bemüht sein, das so rasch wie möglich erfolgen zu lassen und innerhalb weniger Wochen diese Überweisungen zu tätigen. Es hängt auch ein bisschen davon ab, wie viele Ärzte das Angebot von uns annehmen, weiter über die eCard und bargeldlos abzurechnen. Wir hoffen, dass es viele sind und sie sich nicht von ihrer Ärztekammer einschüchtern lassen, die es ihnen verbietet."

Die Ärztekammer empfiehlt in einem Brief allen Ärzten, bei SVA-PatientInnen die eCard nicht mehr zu akzeptieren. Johannes Steinhart, Vizepräsident der Ärztekammer Wien, ist überzeugt, dass sich alle Ärzte an die Boykottmaßnahme halten werden: "Der Sinn einer solchen Aktion ist, dass wir hier eine geschlossene Linie haben. Sonst wäre das ja so, wie wenn bei der Lufthansa so eine Diskussion ausbricht und dann startet unkoordiniert jeder fünfte Flieger – das kann's auch nicht sein."

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Für die SVA-Versicherten kommt ein weiterer Umstand erschwerend hinzu: Die Ärztekammer erhöht angesichts des vertragslosen Zustand die von ihre empfohlenen Mindesthonorare für SVA-Patienten. Johannes Steinhart von der Ärztekammer sieht darin kein Problem: "Es gibt einen Honorarvorschlag. Wenn ein Arzt massiv erhöht, wird sofort das Gesetz des Marktes eintreten. Also ich sehe da kein Problem."

Der Konflikt zwischen Ärztekammer und SVA existiert aus zwei Gründen. Erstens ist die SVA gegen eine Erhöhung der Arzt-Tarife und will diese sogar eher senken. Denn: Ärzte verrechnen der SVA Tarife, die um 50 Prozent höher sind als üblich, bei Laboren sind sie sogar um über 100 Prozent höher. Zweitens will die SVA ein sogenanntes "Vertrauensarzt-Modell" einführen, bei dem ein vor allem chronisch Kranke immer zum gleichen Arzt gehen. Vor allem dieses Modell lehnt die Ärztekammer vehement ab. Steinhart: "Bei den Honoraren gab es schon eine Einigung. Doch wir wollen die Möglichkeit haben, unsere SVA-Patienten genauso individuell, genauso persönlich versorgen zu können, wie die Patienten anderer Versicherungen. Das ist unsere Forderung, und da ist am Tisch derzeit keine Einigung zu erzielen gewesen."

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Einen vertragslosen Zustand zwischen SVA und Ärztekammer gab es schon einmal in den sechziger Jahren. Damals mussten die SVA-Versicherten ihre Arztrechnungen vier Monate lang bar bezahlen. Nachdem die Verhandlungen zwischen Ärztekammer und Versicherung schon vergangenen Herbst gescheitert sind und sich die jetzt eingetroffene Situation seit damals angekündigt hat, hat für Friesinger auch die Politik versagt: "Wir haben eine Bundesregierung, die 440.000 Menschen im Stich lässt."