Erstellt am: 1. 6. 2010 - 11:54 Uhr
Brandnew is retro
Remakes, Reboots, Re-Imagenings, viele verschiedene Begriffe für ein ähnliches Phänomen. Die Kino-Gegenwart nährt sich vampiristisch von der Vergangenheit. Vor allem im Horrorgenre wimmelt es vor Neuauflagen alter Klassiker.
Ist der Ideenstrom in Hollywood wirklich endgültig versiegt? Daran mag ich für meinen Teil einfach nicht glauben. Ich denke aber, dass viele ungewöhnliche und riskante neue Drehbücher in den Schreibtischschubladen der Produzenten liegen bleiben. Denn in ökonomischen Krisenzeiten geht die Filmindustrie erst recht auf Nummer Sicher.
Updates von Horrorklassikern drücken bei mehreren Generationen die richtigen Knöpfe. Eltern oder große Geschwister erinnern sich vage an die gruseligen Filmerlebnisse ihrer Jugend. Gleichzeitig zielen die aufgepimpten Remakes auf die Kinder ab, die durch ihre veränderten Sehgewohnheiten bereits Streifen aus den Achtzigern verständnislos gegenüberstehen.
Die Filmgeeks wiederum ergehen sich zwar vorhersehbar in Hasstiraden, wenn ihre heiß verehrten Klassiker zerfleddert werden. Auf der anderen Seite bieten moderne Adaptionen alter Stoffe auch die Möglichkeit, in unzähligen Foren auf die grandiosen und verkannten Originale hinzuweisen. Und die Online-Besserwisserei, das pingelige Posieren mit Information dürfte für viele Horrorfans fast genauso befriedigend sein wie der Filmkonsum selbst.
Warner
Michael Bay, der oberste Blockbuster-Feldherr, steckt als Produzent mit seiner Firma Platinum Dunes hinter vielen erfolgreichen Remakeschockern. Seine Spezialität ist es, die Originale von sämtlichen Subtilitäten und eventuellen Subtexten zu befreien und in sinnentleerte Splattervideoclips zu verwandeln. Siehe "The Texas Chainsaw Massacre", "The Hitcher" oder "Friday The 13th".
Vor "A Nightmare On Elm Street", dem neuesten Platinum-Dunes-Machwerk, hat mein Kollege Christian Stiegler hier schon zu Recht gewarnt.
Der Versuch, den legendären Kinokiller Freddy Krueger zu rebooten, darf als kapital gescheitert betrachtet werden. Denn schlummert man während der Vorführung ein, wie es dem Schreiber dieser Zeilen passierte, braucht man sich nicht vor einem schrecklichen Albtraum zu fürchten. Der "Nightmare" 2010 erweist sich eher als narkotisierendes Schlafmittel.
Neuauflagen müssen aber nicht zwangsläufig schlecht sein. Mir fällt auf Anhieb Alexandre Ajas "The Hills Have Eyes" (2006) ein, der in seinen besten Momenten eine Terrorstimmung verbreitet, die der trashigen Wes-Craven-Vorlage aus den Siebzigern fehlt.
Kinowelt
Auch die Coverversion des zu Recht heilig gesprochenen Zombie-Klassikers "Dawn Of The Dead" begeisterte mit eindringlicher Atmosphäre und bissigem Humor im wahrsten Sinn des Wortes. Nun recycelt Hollywood einen weiteren Schocker von George A. Romero.
1973 drehte der Untoten-Papst einen Low-Budget-Thriller, der auf übernatürliche Phänomene verzichtete, aber direkt an den Kulturpessimismus und die Gesellschaftskritik seiner Zombiestreifen anknüpfte. In "The Crazies" verursacht ein biologischer Kampfstoff der US-Army, der bei einem Flugzeugabsturz fatalerweise austritt, apokalyptische Ereignisse.
Ein idyllisches Provinzkaff verwandelt sich zum Krisengebiet, aus heiterem Himmel mutieren brave Landbewohner zu mörderischen, amoklaufenden Bestien.
Auf den Spuren seines Vorbilds George A. Romero macht uns nun der junge Regisseur Breck Eisner erneut klar, was wir schon lange ahnen. Dass nämlich nicht Vampire oder Werwölfe die gruseligsten Kinomonstren sind.
Nichts wirkt schrecklicher, als wenn die nette alte Dame von gegenüber Schaum vorm Mund hat oder der Nachbar von nebenan sich plötzlich in einen blutrünstigen Killer verwandelt. Oder im schlimmsten Fall die eigenen Familienmitglieder ohne Warnung zum Küchenmesser greifen.
Kinowelt
Im zugegeben etwas holprigen Original sind Bezüge zum Vietnam-Krieg und zur Nixon-Ära offensichtlich. Das Remake greift das Klima der Angst in der US-Gesellschaft der Post-9/11-Ära auf.
Die wirkliche Stärke der Neuauflage ist die Form. Keine krampfhaft verwackelte Handkamera verwirrt den Zuseher, keine plakative Ästhetik verstellt den Blick. "The Crazies" zeigt die Apokalypse in schlichten, rauen Bildern, die George Romero gefallen könnten. Mit einigen abgedroschenen Genreklischees und dramaturgischen Längen muss man dennoch rechnen.
Vielleicht sollte oder muss man zur Remake-(Un-)Kultur im Horrorgenre ein lockeres Verhältnis entwickeln, denn die Revivalmaschine in Hollywood läuft erst so richtig an. Beispiele gefällig? "Suspiria", "The Eyes Of Laura Mars", "Scanners", "Hellraiser", "Invasion Of The Body Snatchers", "The Thing", "Total Recall", "Children of the Corn" und sogar Hitchcocks "The Birds" und Ed Woods "Plan 9 From Outer Space" befinden sich gerade in der Vorproduktion.
Die "Scream"-Franchise erlebt unter Wes Cravens Regie ein komplettes Reboot, auch aktuelle internationale Filme wie "Martyrs", "The Host", "The Orphanage" und das Meisterwerk "Let The Right One In" werden für den US-Markt neu gedreht.
Wenn in der Hollywood-Hölle kein Platz mehr ist, kommen die Filmleichen auf die Erde zurück.
Kinowelt