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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

31. 5. 2010 - 02:59

Fußball-Journal '10-23.

Österreichs U19-Nationalteam hat sich für die EM qualifiziert, trotz grober Patzer von Coach und Management. Für die Endrunde der europäischen Top 8 im Juli braucht es dringend eine Task Force.

Im letzten Gruppenspiel besiegen am Sonntag abend die jungen Österreicher Dänemark 4:3 (nach 2:3-Rückstand). Weil Serbien zeitgleich die Schweiz schlägt, wird die U19-Nationalmannschaft des ÖFB Gruppensieger und fährt zur EM-Endrunde.

Frankreich ist Ausrichter, Spanien, der vierfache Europameister ist dabei, Italien ist dabei, Portugal und die Niederlande und Kroatien sind dabei.
Am Montag entscheidet sich, ob Titelverteidiger Ukraine oder Big Player England der letzte Teilnehmer des 8er-Finales der U 19-Europameisterschaften sein wird. Deutschland wurde im übrigen von Jong Holland rausgeworfen.

Österreich ist auch dabei, in diesem Klassefeld der Top 8 aller europäischen Fußball-Nationen der U19, also aller Jahrgang 1991 (oder Jüngeren). Und das nach einer Vorqualifikation gegen ein Kaliber wie Serbien, die im Jugendbereich vorbildlichen Schweizer und Dänen.

England hat heute im Finale der U17-EM Spanien geschlagen. Frankreich und die Türkei waren im Halbfinale, Portugal, die Schweiz, Griechen und Tschechen komplettierten das 8er-Final-Turnier.

Das ist großartig.
Eine Sensation.
Und war nach der Qualifikationsrunde, als sich Österreich als einziger Gruppen-Dritter grade noch ums Arschlecken ins Eliterundenfeld schwindelte, wurde alles auch wieder im letzten Moment, bei Punktegleichheit erreicht. Das hat Gründe.

Klasse-Spieler schaffen es trotz amateurhaftem Management

Die Erfolgsgeschichte ist einem exzellenten Jahrgang 91/92 zu verdanken - und keinesfalls den Fähigkeiten der ÖFB-Coaches, weder sportlich noch organisatorisch.

Andreas Herafs montägliche Ausreden-Arie Wer das kritisiert, kennt sich nicht aus enthält weiteres offen präsentierte Nichtwissen, etwa im Fall Bevab und weitere Kostproben inexistenten Personal-Managements anhand des Beispiels Hierländer (der sich offenbar in der U21 besser aufgehoben fühlt).

Denn Österreichs bester Spieler mit 92er-Geburtsjahr, David Alaba, berief sich mehr oder weniger selber für dieses Qualifikationsturnier, das Sonntag abend in Tirol abgeschlossen wurde, ein. U19-Coach Heraf hatte erst gar nicht angefragt, weil er nicht mit einer Freigabe von Bayern München gerechnet hatte - die Bankrotterklärung eines Teamchefs, der dann auch die Fehler, die schon in der Vorquali-Runde gegen Rumänien und Schottland gemacht wurden, wiederholte.

Die U19 hat sich trotz dieser Prügel, die ihr ÖFB-seits (ich sage einmal: unabsichtlich, aus einer grotesken Mischung aus Patscherheit und Wurschtigkeit) zwischen die Beine geworfen wurde, durchgesetzt.

Die Endrunde muss professionell angegangen werden

Für die Endrunde braucht es eine Task Force, die alle Kräfte bündelt. Die muss sich in drei Stufen um Folgendes, bislang Unerledigtes, kümmern:

  • 1) Eine sinnhafte Einberufungs-Politik
  • 2) Eine erkennbare Spielstrategie
  • 3) Aus- und Aufbau der internationalen Kontakte

Das klingt recht selbstverständlich.
Ist es aber nicht.
Und hier sind wir schon mittendrin in der Crux des heimischen Fußballs.

So verabsäumte man es nicht nur, David Alaba zu rekrutieren (und wurde von dessen intelligenter Eigen-Initiative so überrascht, dass mein Ruf "Alaba soll U19-Coach werden!" auch ohne Ironie funktioniert), man "vergaß" auch - wieder einmal - auf den mit Abstand allerallerbesten Defensivspieler des Jahrgangs 91, auf Aleksander Dragovic.

Immerhin gibt es zum Thema Dragovic am Tag danach schon so etwas wie ein Bekenntnis, allerdings ist es herafisch-diffus formuliert anstatt hier in die Offensive zu gehen, und die Abstellung des Austrianers als nationale Pflicht zu fordern.
Stattdessen knieweiche Absichtserklärungen, deren Defensivität schon die Ausrede fürs Scheitern in sich tragen.

An anderer Stelle offenbart Heraf grobe Schwächen in der Basis-Kenntnis des Jahreskalenders. Im Kurier-Interview meint er Dragovic' Einsatz bei der U19-EM (die in der zweiten Juli-Hälfte stattfindet) stünde der Einsatz bei einem A-Team-Test entgegen - Das A-Team hat Priorität. Stutzig macht dabei die Tatsache, dass der Teamtest amm 11. August stattfindet.
Vielleicht sollte jemand dem guten Mann erklären, dass der August NACH und nicht gleichzeitig mit dem Juli abläuft.

Und das angesichts eines großen Problems in der Defensive. Der langjährige Kapitän des Jahrgangs, Michael Schimpelsberger, Innenverteidiger im Juniorenteam von Twente Enschede, war nämlich nicht wirklich fit - und außer ihm war von Trainer Heraf kein anderer echter Innenverteidiger einberufen worden.

Ein Kader mit nur einem Innenverteidiger...

Also wurden Mittelfeldspieler (Kainz, Dilaver, Teigl, Klem) oder Außenverteidiger (Rath, Farkas, Imamoglu) kurzfristig umgeschult, ein Unsinn, der bei allen anderen ÖFB-Teams auch unseliger Usus ist - anstatt sich einfach der Aufgabe zu besinnen, ordentlich zu beobachten und eine Selektion zu treffen, wird notdürftig herumgeflickt.

Als Innenverteidiger kommen auch Tauschmann von den Sturm Amateuren, Bubalovic von den Cottbus Amateuren oder der noch verletzte Janeczek von Gladbach in Frage. Außen wären noch Geiblinger (von St. Gallen) oder Ervin Bevab (den man so von seinen Bosnien-Plänen abhalten sollte; schließlich hat Heraf mit seinem Blackout im Fall Bahadir bereits genug Talent an andere Nationalteams "abgegeben") ein Thema.

Offensiv ist die U19 unglaublich gut besetzt: Alaba und Knasmüllner, die Supertalente von Bayern, Weimann von Aston Villa, Djuricin von Hertha, Holzhauser vom VfB Stuttgart, Kainz von Heerenveen und Klem von Sturm haben allesamt das Potential zu Ausnahmespielern, sind für ihr zartes Alter schon unglaublich weit, klopfen an der Europaspitze an.

Was auch für den nicht berücksichtigten Stefan Hierländer (noch Kärnten) gelten würde. Dazu gibt es mit Gucher, Sutter, Büchel, Ildiz, Offenbacher, Aschauer, Pink und einigen anderen noch genügend Back-Ups. Der ebenfalls exzellente 93er-Jahrgang (Prosenik, Vastic, Burusic, Ritzmaier, Petrovic...) hielte dann auch noch einiges bereit, Holzhauser darf eh schon bei den Älteren mitmachen.

Zeuge Hamsik und die taktische Organisation

Sachen zum Lachen im Schlußsatz derselben Kurier-Geschichte: "Normalerweise, sagt Heraf, sei er ein Taktikfuchs". Diese tolle Truppe könne er aber "einfach drauflosspielen lassen".

Eine aberwitzigere Verschleierung von taktischer Planlosigkeit ist seit Hans Krankl nicht mehr passiert.

Genau da zeigt sich Teil 2 der Qualitäten eines guten Teamchefs: einer talentierten Offensive das Wesentliche mit auf den Weg geben kann fast jeder - eine nicht so sichere Defensive festzumachen, ist hingegen wirklich schwierig. In drei Spielen hat man 6 Gegentore bekommen - da zwickt's. Aber zu einer solchen Verbesserung bräuchte es eine klare Philosophie, eine Strategie.
Da reicht auch ein Dragovic alleine nicht.
Da braucht es einen grundlegenden Turnaround in der gesamten Philosophie.

Ich würde da gern Marek Hamsik als Zeugen aufrufen. Hamsik ist das Supertalent der Slowakei, spielt bei Napoli und ist WM-Teilnehmer. Hamsik ist goschert, tätowiert, hat eine Spike-Frisur und tritt mit modischer Randlosbrille auf - in Österreich wäre er als Mischung aus Arnatovic und Scharner schon allein deshalb bei den ÖFB-Coaches unten durch und chancenlos, würde von einem gesellschaftlichen Konservativen wie Constantini permanent angeschossen werden.

Hamsik sagt (aus einem Interview einer Gratiszeitung von gestern) über das Geheimnis der slowakischen WM-Qualfikation: "Wir sind taktisch immer gut organisiert. Das ist der einzige Weg, wie kleine Nationen erfolgreich sein können."

Aus- und Aufbau, Management-Grundkurs

Auch so eine logische Erkenntnis, die sich im ÖFB einfach nicht durchsetzen kann. Für die U19-Euro wird aber ein taktisches Konzept wie das der U20-WM-Mannschaft unter Gludovatz dringend nötig sein. Jemand wie Andreas Heraf, das hat sich leidig gezeigt, kann das nicht leisten.

Für die EM-Endrunde zwischen 17. und 30. Juli gibt es zwei Ziele: das Semifinale (denn wozu spielt man ein Turnier, wenn man nicht weiterkommen will) oder zumindest der dritte Gruppenplatz (denn die Top 6-Teams kommen zur U20-Weltmeisterschaft, die 2011 in Kolumbien ausgetragen wird, auch wenn Dietmar Constantini hier so redet, als würde die in Frankreich stattfinden, aber man kann vom ÖFB-Teamchef ja nicht erwarten, dass er solche Unwichtigkeiten weiß, oder? Ich tu das zumindest nicht.).

Es geht also um einen Auftritt auf der Fußball-Weltbühne, auf FIFA-Ebene. Das sollte den sofortigen Einsatz einer Task Force rechtfertigen, die einen überforderten Einzel-Coach unterstützt.

Sprungbrett nach Kolumbien und die anderen Altersklassen

Dringend notwendig wäre es die seit etwa einem Jahr eingerissene, unglaublich kontraproduktive Konkurrenz-Politik der einzelnen Teamchefs hintanzuhalten. Klar, wäre ich U21-Verantwortlicher unter Constantini, ich würde an Andi Herzogs Stelle auch eine eigene Politik fahren - im Angesicht der Irrwitzes wird Widerstand zur Pflicht. Wenn dann aber auch noch Andreas Heraf in dieses tumbe Spiel eingreift und alle querbraten und die jüngeren Jahrgänge aus reiner Profilierungssucht ausplündern anstatt für Kontinuität zu sorgen, dann schreit das nach einer ordnenden Hand, die wieder auf das Wohl des Fußballs und der jungen Spieler achtet, und das Wohl der Trainer an die zweite Stelle setzt.

Hier ist Jugend-Koordinator Thomas Janeschitz und vor allem Sportdirektor Willy Ruttensteiner gefordert, der zwar immer wieder durch kluge Anmerkungen (wie auch hier im neuen Datum) auffällt, aber keinerlei Durchsetzungs-Kraft und Definitionsmacht zu haben scheint.

Der Aus- und Aufbau müsste sich aber auch auf andere Felder erstrecken: die U21-Qualifikations-Runde im Herbst braucht ebenso einen seriöseren Ansatz, anstatt wie bisher als Punching Ball der A-Teamtrainer zu fungieren (auch weil hinter der U21-Euro die Olympia-Teilnahme steht).

Und: die auch bei der U17 grassierende Unsitte Mittelfeldakteure kurzfristig zu Abwehrspielern zu machen (was deren EM-Quali gekostet hatte), muss flächendeckend abgestellt werden. Offenbar brauchen die Nachwuchs-Coaches ein Briefing, was effektive Beobachtung und sinnhafte Selektionierung betriftt.

Und: der Zwischen-Jahrgang der U18 braucht ein Testspiel-Turnier wie die U20, die sich dauerhaft mit Deutschland, Schweiz und Italien misst.

Außerdem muss es möglich sein, Einladungen für Classiques wie etwa für das alljährliche Jugend-Turnier in Toulon rauszuschlagen, das letzte Woche wieder (mit massiver TV-Präsenz, dank Eurosport-Kooperation) durchgeführt wurde. Die alte Idee der B-Teams, bei denen potentielle Teamspieler zwischen 20 und 23 internationale Erfahrung sammeln können, und in Frankreich, Italien, Holland gelebt wird, ist immer eine Option.

Nixtun als Prinzip

Es wäre also genug zu tun, um den Einsatz der U19 im Juli in Frankreich zu begleiten, zu verbessern, zu nutzen. Irgendwie werde ich aber bei der Formulierung solcher an sich selbstverständlichen Notwendigkeiten das Gefühl nicht los, dass sich der ÖFB mit dem zufällig, und nur aufgrund des guten Jahrgangs zustande gekommenen Erreichens dieser Endrunde begnügt und dieselben Fehler, die in den beiden Quali-Runden gemacht wurden, wiederholen wird.
Einfach, weil niemand drüber nachdenkt und sich niemand traut, zu handeln. Denn der, der in Österreich handelt, der, der sich bewegt, setzt sich der Kritik aus - und die macht vielen soviel Angst, dass sie dann einfach nix tun.

Nix tun (so wie bisher, auf den Zufall hoffen), ist das Gebot der Unbeweglichen, der Mittelmäßigen. Die U19-Endrunde wird zeigen, wo der ÖFB in dieser Hinsicht steht.