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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

30. 5. 2010 - 15:20

Oh mein Gott, was für ein Abend!

Den ganzen Samstag war man schon aufgeregt und bereitete sich auf das Fernsehereignis des Jahres vor: der "Grand Prix D’ Eurovision de la Chanson"

Der "Eurovision Song Contest" wurde aus Oslo übertragen. Bei den englischen Buchmachern lag Lena mit "Satellite" ganz vorne. Sollte es wirklich möglich sein, den Ralph Siegel-Fluch zu brechen?

Es war dieses Jahr so spannend, weil mit Lena eine Sängerin für Deutschland antrat, für die man sich mal nicht schämen musste.

mooshammer

mooshammer

2001 kam es zum denkwürdigsten Vorentscheid aller Zeiten: "Teilt Freud und Leid", sang der Münchner Modezar Rudolf Moshammer, Gott hab ihn selig

Als langjähriger Grand Prix-Fan hat man schon viel Elend erlebt. Die Vorherrschaft Ralph Siegels, der 1982 mit Nicole und "Ein bisschen Frieden" den ersten und einzigen Platz 1 für Deutschland geholt hatte, wurde 1998 erstmals durch die Spaßfraktion mit Guildo Horn und Stefan Raab gebrochen. Sie erreichten recht passable Plätze, danach setzte man weiter auf Ulk und so ging der Vorentscheid 2001 mit Rudolf Mooshammer und Container-Slatko als der mit dem größtem Trashfaktor in die Geschichte ein.

slatko

slatko

"Einer für alle" hieß der Beitrag von Big- Brother-Star Slatko

Danach wurde es immer schlimmer, Corinna May kam trotz Blindenbonus nur auf Platz 21, die No Angels und andere Castingopfer erreichten verdienterweise die letzten und vorletzten Plätze, 2007 kam Roger Cicero mit seinem saudummen Lied "Frauen regieren die Welt" auf Platz 19. Letztes Jahr holte der schreckliche Alex Christensen Platz 20. Eigentlich hätte Deutschland gemäß des Regelwerks wegen Misserfolgs pausieren müssen, aber "The big Four" - die größten Geldgeber Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien, müssen sich nicht qualifizieren. Trotzdem wurde erwogen, aus dem Wettbewerb auszusteigen.

lena

lena

Und dann Lena ganz allein auf der großen Bühne, ohne Tänzer, Roboter, Geigen , gläserne Flügel, wallende Kostüme - ob das gut geht?

Beim ersten deutschen Fernsehen fragte man aus Verzweiflung Stefan Raab um Hilfe, der den Vorentscheid "Ein Lied für Oslo" übernahm- und den Lena gewann. Das Lied "Satellite" ist zwar nicht besonders toll, aber die 19jährige Sängerin überzeugte durch ihre eigenwillig-unangepasste Art, ihre unorthodoxe englische Aussprache und den joecockerhaften Tanzstil, der eine angetäuschte Rückenkrümmung mit einer unnachahmlichen Handbewegung kombiniert.

christiane rösinger und freunde

christiane rösinger

Schon bei der Startnummer 1 - Aserbaidschan - kam Grand Prix-Fieber auf.

Samstag abend kam schon bei der Startnummer 1 – einer Beyonce aus Aberbaidschan – Grand Prix-Fieber auf. Das europäische Bewusstsein stieg jäh an. "Wo liegt eigentlich Aserbaidschand", wurde diskutiert, "und warum machen Italien, Österreich und Monaco nicht mehr mit?".

Die bizarrste Show lieferte Armenien: Die Sängerin präsentierte ihr absurd stramm geschnürtes Dekolletée, dazu blies der älteste Grand-Prix Teilnehmer ever, ein 83jähriger Opa, die Duduk, die armenische Flöte, während die Tänzer einen meterhohen Aprikosenkern zuerst umtanzten und dann begossen,worauf Blüten aus ihm schlugen. Im rumänischen Beitrag wurde ein gläserner Doppelflügel - zum Refrain hin loderten Feuersäulen daraus empor - von einem Paar im Latex-Fetisch-Outfit bespielt. Eine große Rolle spielte bei den türkischen Emo-Rockern MaNga ein Roboter, der sich nach und nach selbst entzwei flexte, bis eine junge Frau der zerstörten Mensch-Maschine entstieg, die dann irgendwie mit dem Sänger zusammen kam - was ja auch schon durch den Titel "We could be the same" angedeutet wurde. Serbien wiederum schickte ein bezauberndes androgynes Wesen, Spitzname "das Pony", ins Rennen, das mit seinem Loblied auf den Balkan bei den osteuropäischen Ländern sicher punkten würde.

christiane rösingers freunde

christiane rösinger

Am spannendsten war die Auszählung der Punkte, auch wenn zeitweise geschwächelt wurde.

Je bizarrer die Shows wurden, je emotionaler die Balladen und wallender die Kostüme der irischen, isländischen und portugiesischen Sängerinnen, desto mehr zweifelte man an Lenas Chancen. "Wir müssen ja nicht gleich gewinnen, aber wenigstens mal unter die ersten 10 kommen", lauteten inzwischen die Stoßgebete.

Dann aber, beim spannendsten Teil der Auszählung, fielen immer wieder die Sätze, die man seit 28 Jahren nicht mehr gehört hatte: "Germany twelfe Points!", "Allemagne Douze Points!", "Twelfe points for Lovely Lena!". Mit 76 Punkten Vorsprung gewann Lena den Song Contest! Auf Platz zwei kam immerhin der türkische Roboter - auf Platz drei landete der flammenspeiende Doppelflügel aus Rumänien.

Der Rest war Freudentaumel.