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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

2. 6. 2010 - 15:10

Digital Sunshine

Auftakt zur neuen DVD-Kolumne. Heute: wie die Sonne in das Kino kam und was sie dort macht.

Ich bin neu hier, jedenfalls in dieser Funktion. Ab heute öffnen sich einmal pro Woche die mit Goldbrokat verzierten, mit garantiert quietschfreien Messingscharnieren und Edelknaufs ausgestatteten Türen zu meinem Film-Schrein: wo die digitalen Katalogisierungsprogramme über ihre Algorithmen stolpern, wo meine schwedischen Regale durchhängen ob der niemals enden wollenden Sammelbemühungen. Geht es nur mir so, oder sind da draußen noch andere, die jeden Film den sie jemals mochten, mögen werden oder eventuell irgendwann mal mögen könnten zwecks karmischer Reinheit besitzen wollen? Insofern sehe ich diese ab jetzt einwöchig erscheinende Schreibleistung auch als Schuldschubumkehr an, mache mir vor mit der Kommunikation über mein „Problem“, mit dem Verwertbarmachen meiner Sammlung eben derselbigen Sinn und Vernunft zu verleihen, wo ich doch – stöhn – schon seit zehn Jahren weiß, dass es nur Chaos geben kann. Denn: je mehr man kennt, je mehr man kauft und je mehr man schaut, desto mehr kennt man nicht. Ganz einfach.

Diese Ecke hier, die wird sich gegebenenfalls, also je nach Lust und Laune des Schreibers an Themen orientieren, die entweder a) der Lauf der Welt vorgibt (zum Beispiel Geburts- oder Todestage, meteorologische, politische oder gesellschaftliche Phänomene) oder die b) gänzlich aus meinen Hirnwindungen und der erratischen Qualität meiner Sammlung heraus gewachsen sind. Diese erste Kolumne, also die Inaugurationsausgabe, die will ich der Sonne widmen.

Sonne

http://ah8892.bplaced.net/Astronomie%20Website/sonne.htm

Schön, oder? Nein: tödlich!

Draußen, dieser Tage auch bekannt, als der Ort, auf den die Sonne niemals scheint, erfüllt einen Herbstlichkeit, vom Frühsommer ist keine Spur. Mir kann das nur recht sein, nachdem ich mir üblicherweise ab Ende April eine ätzende, Juckreiz auslösende, nach Chloroform riechende durchsichtige Flüssigkeit auftrage, um die Schweißsturzbäche während Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Zentiliterbereich zu halten. Diesbezüglich halte ich es, wie mit allen Aspekten meines Lebens: will ich, als gefühlter Skandinavier, der unglücklicherweise in Mitteleuropa lebt, die Sonne spüren, dann sehe ich mir eine DVD an. Hier also jetzt meine Lieblingsauftritte der „gelben Sau“ in zufälliger Reihenfolge.

God damn you all to hell!

Affe

Fox

Die blechbüchsenartigen Astronauten-Notrucksäcke haben Charlton Hestons Schweißrücken sicherlich ordentlich aufgescheuert, als er mit ihnen bei brütender Hitze durch die Geröllwüste Utahs wandern musste: eigentlich aber ist Taylors Raumschiff auf dem Planet der Affen (1968) gelandet. Franklin J. Schaffners dystopischer Science-Fiction-Klassiker mit dem Augenöffnerende täuscht mit seinen desolaten Wüstenbildern selbst gefinkelten Zuschauern vor, dass man sich nicht mehr auf der Erde, sondern weit davon weg befindet. Der erste Akt mit all diesen scharf in den blauen Himmel stechenden Felsformationen, dem unnachgiebigen Beige bis Rostrot der Landschaft und Jerry Goldsmiths avantgardistischer Filmmusik etabliert eine Stimmung, durch die dann Gorillas auf Pferden reiten können, ohne dass man sich in einem LSD-Traum wähnt.

Mann, Affen

Fox

Taylor trifft auf die Affen

Das Drehbuch stammt im Übrigen aus der Feder des großen Rod Serling, seines Zeichens Erfinder der stilbildenden Fernsehserie The Twilight Zone (da droht noch mal ein Spezialartikel!), die ab 1959 sechs Staffeln lang den ironischen Twist in den Köpfen der Arglos-Amerikaner salonfähig gemacht hat.

Planet der Affen
Jahr: 1968
Regie: Franklin J. Schaffner
Darsteller: Charlton Heston, Linda Harrison, Kin Hunter, James Daly

Fassung: Ich selbst bin noch im Besitz der okay-artigen 2000er-DVD des Films, aber schon am Bestellen der Jubiläumskiste zum 40. Geburtstag der Reihe. Darin enthalten sind nicht nur alle fünf Filme, die trotz ihres schlechten Rufs allesamt sehenswert sind, sondern auch ein 200-seitiges Booklet mit vielen bisher unveröffentlichten Bildern und einer Überfülle an altem und neuem Dokumentationsmaterial – erhältlich ist die Sammlerbox auf Blu-ray.

Desert zum Dessert

DVD, Cover

Arthaus

Sonne und Wüste, keine innovative Kombination, dafür aber immer wieder ergiebig: etwa auch in Gus Van Sants Einöde-Irrgang Gerry ( Durchaus auslegbar als Parabel auf todessehnsüchtige Jugendliche (das Thema wiederholt oder spiegelt sich in den Folgefilmen des Regisseurs: „Elephant“, „Last Days“ und „Paranoid Park“) bleibt mir aber weniger der avantgardistische Versuch eines Sittenbilds in Erinnerung, als vielmehr die Schönheit der ausgezehrten Körper von Matt Damon und Casey Affleck (der seinem Superkinn-Bruder Ben glücklicherweise schon längst das Rampenlicht geraubt hat). In meinem Bemühen, jedwede Originalität zu vermeiden, sei hier auch noch eine Schlagseite geworfen auf DEN Klassiker des „Ich finde meine Identität in der Wüste“-Subgenres, nämlich David Leans Lawrence von Arabien. Freddie Youngs Dünenbilder, Peter O’Tooles leidenschaftliche Heldendarstellung und Maurice Jarres unvergleichliche Musik machen ihn zum essenziellen Requisit eines jeden Sonnenfilmsüchtigen.

Männer, Wüste, Kamele

Columbia Tristar

Gerry
Jahr: 2002
Regie: Gus Van Sant
Darsteller: Matt Damon, Casey Affleck
Fassung:
Die deutsche DVD ist noch recht preisgünstig zu haben, in good ol’ UK kostet sie mehr, vermutlich da dort die Sonne noch seltener scheint als bei uns.

Lawrence von Arabien
Jahr: 1962
Darsteller: Peter O'Toole, Alec Guiness, Anthony Quinn, Omar Sharif
Fassung: Ich warte ja immer noch geduldig auf die Bluray von Lawrence von Arabien. Die deutsche Doppel-DVD mit der rekonstruierten 216 Minuten langen des Films mit schönen Dokumentationen gibt's mittlerweile für weniger als 10 Euro!

Der Werner und die Sonne

Cover, DVD

Arthaus

Wo wir jetzt schon ganz nah an der Transzendenz vorbei schrammen, lasset uns doch vollkommen darin aufgehen. Werner Herzog führt uns an, der deutsche Edelregisseur und Vorzeigevisionär hat immerhin mit Fata Morgana einen Film über natürliche Sinnestäuschungsphänomene in der Sahara, verkleidet als Science-Fiction-Film gedreht. Kameramann Jörg Schmidt-Reitwein kreiert dazu Bilder, in denen man sich wälzen will: Panoramaeinstellungen von Menschen im Nichts, vom Nichts alleinig. Über ihnen der blaue Himmel und die weiße Sonne, die ungnädig herabzüngelt und den menschlichen Verstand zum Ausrinnen animiert. Den Soundtrack zur ekstatischen Wahrheit, den besorgt unter anderem Leonard Cohen, während Herzog-Freundin und Filmdenkerin Lotte Eisner den Maya-Schöpfungsmythos „Popol Vuh“ verliest. Irgendwann betet man nur mehr, dass die Sonne endlich unter geht, und mit ihr die ganze Welt.

Flugzeug, Sonne, Wüste

Arthaus

Bruchlandung in der Wüste: eine Fata Morgana?

Fata Morgana
Jahr: 1971
Regie: Werner Herzog
Darsteller: Lotte Eisner, Eugen des Montagnes, die Sahara-Wüste
Fassung: Fata Morgana ist in Deutschland auf DVD erschienen, inklusive Herzogs Kurzfilm "Die große Ekstase des Bildschnitzers Steiner". Auf der britischen Scheibe findet sich hingegen ein Audiokommentar von Gott Werner und Halbgott Crispin Glover

Fleischerhaken im Sonnenuntergang

Cover

Turbine Medien

Cover

Anchor

Cover

Alamode Film

Wie man an des Werners Sonnenstich eindrucksvoll ablesen kann, wird dem heißen Gestirn nicht zuletzt im fantastischen Kino ein Nahverhältnis zu Sinnestäuschungen, extremen Gefühlslagen und dem Wahnsinn angedichtet. Stilbildend für all die negativen Zuschreibungen war zweifellos das Terrorkino der Siebziger Jahre, im Besonderen dessen nach wie vor bekanntester Proponent: Tobe Hoopers The Texas Chainsaw Massacre (1974) eröffnet auf einer einsamen, aufgeheizten Landstraße und schließt mit dem Bild eines Mehrfachmörders, der vor dem Hintergrund eines dreckigroten Sonnenuntergangs mit seiner Kettensäge tanzt. Dazwischen liegt ein hintersinniger Leidensparcours, während dem drei von vier reisenden Hippie-Jungmenschen auf Fleischerhaken im Heim einer arbeitslosen Schlachterfamilie zum Abhängen kommen. Nicht weniger präsent ist die Sonne in Wes Cravens The Hills Have Eyes: eine amerikanische Kernfamilie biegt auf dem Weg in den kalifornischen Sonnenstaat einmal falsch ab und wird von einer verrohten Sippschaft zwischen Hügelformationen gefoltert und ermordet. Die „gelbe Sau“ ist hier, eine Deutung, die ich nur unterschreiben kann, gleichbedeutend mit dem Ende der Zivilisation, ein Sinnbild für Abgeschiedenheit und individuellen Wahnsinn. Steig’ an einem Hundstag in die Wiener U-Bahn und du bist in derselben Situation. Apropos: Ulrich Seidls Österreicher-Chronik Hundstage sei allen ans Herz gelegt, die jetzt schon vehement 35 Grad-heiße Tage einfordern.

Mann, Kettensäge

http://media.avclub.com

Sonnenstich?

The Texas Chainsaw Massacre
Jahr: 1974
Regie: Tobe Hooper
Darsteller: Marilyn Burns, Allen Danziger, Gunnar Hansen, John Dugan
Fassung: Die in Österreich erhältliche Edition des Films beinhaltet 2 DVDs, eine Bluray und Unmengen an Bonusmaterial

The Hills Have Eyes
Jahr: 1977
Regie: Wes Craven
Darsteller: Dee Wallace, Robert Houston, Michael Berryman, Janus Blythe
Fassung: Empfehlenswert: die britische Edition des Films mit zwei DVDs!

Hundstage
Jahr: 2001
Regie: Ulrich Seidl
Darsteller: Maria Hofstätter, Alfred Mrva, Franziska Weisz, Erich Finsches
Fassung: Für weniger als zehn Euro lassen sich die sehr österreichischen "Hundstage" mittlerweile auf DVD genießen. Außerdem im Paket enthalten: Seidls hervorragender Mittellangfilm "Der Ball"! Zugreifen, wer's nicht schon getan hat!

Urlaub in Spanien

Cover

Bildstörung

Aus einem Land, das für gewöhnlich einen höheren Anteil an Hitzewellen hat als Österreich, kommt auch jener Film, der den Mythos Sonne am überzeugendsten auseinander nimmt. Almanzora, eine kleine, verschlafene Insel vor der spanischen Küste, ist der Ort, an dem das britische Ehepaar Tom und Evelyn ein paar ruhige Tage zubringen will. Anfänglich empfinden sie die Menschenleere als angenehm, idyllisch gar: das ändert sich, nachdem die werdenden Eltern einem Mädchen dabei zusehen, wie es einen alten Mann mit seinem Gehstock zu Tode prügelt, seinen Leichnam später zu einer makabren Piñata arrangiert. Soll heißen: dutzende kreischende Bälger versuchen den Körper des Alten, der unter dem Dach einer Scheune baumelt, mit Sensen aufzureißen. Narciso Ibáñez Serradors Ein Kind zu töten ... (1976) ist ein stilistisch virtuoser, psychologisch stimmiger Horrorfilm, der bis auf einige Sequenzen zum Ende hin ausschließlich in der prallen Sonne, vor einer wunderschönen Naturkulisse angesiedelt ist.

Ein Kind zu töten ...
Jahr: 1976
Regie: Narciso Ibáñez Serrador
Darsteller: Lewis Fiander, Prunella Ransome
Fassung: das kleine, aber überaus feine Label Bildstörung hat diesen beinahe vergessenen Klassiker des europäischen Genrefilms in perfekter Bild- und Tonqualität inklusive Interview mit Regisseur Serrador auf eine DVD gepackt. Eine CD mit der Filmmusik von Waldo de los Rios liegt ebenfalls bei. Unbedingte Kaufempfehlung!

Sonnentod

Cover

Fox

Schließlich noch der Hinweis auf einen von zwei Filmen von Danny Boyle, die mir gefallen: „Sunshine“ beinhaltet zwar immer noch genug von den eitlen Bildschärfe- und Rückblendenspielereien, die ich im Gegensatz zu vielen anderen weder visionär noch unterhaltsam, sondern einfach nur eitel und nervtötend finde, unterfüttert die visuelle Opulenz aber immerhin mit einer altmodisch anmutenden „Astronautengruppe, im All verloren“-Geschichte und starken Figuren. Die letzte bemannte Raumfahrt findet an Bord der Icarus II statt: das Schiff ist umspannt mit einem gigantischen Sonnensegel, ausgestattet mit einer Atombombe von der Masse Manhattans, die im Kern des sterbenden Gestirns (somit krepiert auch unser Planet) gezündet und denselbigen zum Weiterstrahlen animieren soll. Es kommt, wie es kommen muss, und das ist anders: unterwegs empfangen sie ein Notsignal der Icarus I, die vor vielen Jahren während der ersten Sonnenneustartmission verschwunden ist. Die Crew entscheidet demokratisch nach Überlebenden zu suchen und mit der zweiten, nicht gezündeten Bombe die Chance auf die Abkehr des Weltuntergangs zu vergrößern. Was sie noch nicht wissen: längst regiert die Sonne auf dem toten Schiff, der Kapitän ist in die Transzendenz entschwebt, gehorcht dem Gestirn wie einem zürnenden Gott aus der Antike.

Sonne

Fox

Schon Lust auf den Sommer bekommen?

Sunshine
Jahr: 2007
Regie: Danny Boyle
Darsteller: Cillian Murphy, Chris Evans, Michelle Yeoh, Mark Strong
Fassung: Die deutsche DVD von "Sunshine" beinhaltet einige nette Produktionstagebücher und ist üblicherweise für unter 10 Euro zu haben.

Damit geht für diese Woche die Sonne unter: vielleicht scheint sie bald tatsächlich wieder regelmäßig, zwingt mich, mein ätzendes Antitranspirant aufzulegen, während ich mir von Dutzenden Badehosenträgern anhören muss, dass der Sommer die schönste Zeit des Jahres ist. Ist er nicht, wie uns das Kino immer wieder beweist.