Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Hack the System!"

Roland Gratzer

Links und Likes

29. 5. 2010 - 21:51

Hack the System!

Auf der SIGINT diskutieren Hacker, ob sie die Weltherrschaft übernehmen sollen. Vorher müssen sie aber aufhören, Bilder von nackten Frauen aufzuhängen.

Wer an gesundheitliche Folgen von elektromagnetischen Strahlen glaubt, hat hier nichts verloren. In jeder Ecke lauert ein WLAN-Router, Datenpakete verstopfen den virtuellen Luftraum und sogar manche T-Shirts leuchten dank bunter LED-Technologie.

Das Logo der SIGINT

CCC

Die SIGINT 2010 fand zwischen 22. und 24. Mai in Köln statt. Auch ersichtlich auf dem Plakat über dem Text.

In Kürze erscheinen alle Vorträge als Video auf der SIGINT-Website erscheinen.

Der CCC hat heuer übrigens den Prix Ars Electronica in der Kategorie "Digital Communities" gewonnen. Wir gratulieren dazu.

Auf der SIGINT in Köln versammeln sich jedes Jahr Hacker, Aktivisten und Netzbewohner, um über die brennendsten Themen ihrer Zunft zu reden. Im großen Saal erklärt einer, was uns in der Gesellschaft 3.0 erwartet, im Konferenzraum läuft die Aktionsplanung gegen die nächste Volkszählung. Andere Besucher gehen auf die Suche nach den Fnords, andere unternehmen eine Rundreise durch die Welt der Zensur. Kollege Grenzfurthner erklärt, warum Guerilla Communication nicht immer super ist und, dass failing mehr ist als ein lustiger Tag für youtube-Videos. In den Pausen wird diskutiert, gebloggt, getwittert und Netzwerke aller Art gepflegt.

Seit den 80er Jahren ruft der CCC, der deutsche Chaos Computer Club zu Kongressen dieser Art. Während am großen Kongress in Berlin vermehrt technische Themen behandelt werden, lehnt sich das Themenspektrum in Köln weit raus Richtung Politik und Gesellschaft.

Sigint in Köln

http://www.flickr.com/photos/maha-online/

Im spätkapitalistischen Ambiente des Kölner Mediaparks hat sich über das Pfingstwochenende der CCC eingenistet. Erkennbar an den stolzen Fahnen.

Geek Feminism

Mittlerweile stoßen immer mehr Frauen in die männlich dominierte Hacker-Zunft vor. "In den 80ern haben Mädchen noch freien Eintritt gehabt. Sie sind manchmal mit ihrem Freund mitgekommen und haben sich gelangweilt", erzählt Sigint-Mitorganisator Jens Ohlig. Er ärgert sich über das Ungleichgewicht und analysiert das Problem so pragmatisch, wie es sich für einen System-Analytiker gehört: "Es ist einfach dumm, auf das Wissen von 50 Prozent der Menschheit keinen Zugriff zu haben."

Um dieses Thema grundlegend zu analysieren, lädt die Sigint diesmal zum Panel "Women and Geek Culture", bei dem fünf Hackerinnen über Selbst- und Fremdbild von Frauen in der Technikszene diskutieren. Eine davon ist die US-amerikanische Game Designerin Heather Kelley. Feminismus und Hacking haben für sie das selbe Ziel: Das Aufbrechen und Konfigurieren von fehlerhaften Systemen. "Feminismus ist für mich Social Hacking. Deshalb passt es perfekt in die Geek Kultur." Die hinteren Reihen im Saal sehen das anders. Bei einem Foto auf der Leinwand wird es kurz ungemütlich. Der Agent Provocateur ist das Bild einer nackten Frau, das aus der Ecke stammt, wo mit uralten Druckern gespielt wird. "That's not nice", kommt vom Podium. "That's Computer Art!", schreit einer im Publikum.

Hello Kitty Darth Vader

http://i186.photobucket.com/

Die Google-Bildersuche "female nerd" bietet neben allerlei Softporno echte Schätze.

Ansonsten läuft die Kritik an der Diskussion nur auf Twitter ab. "Geht es auf der Sigint nur um Gender oder auch um ernsthafte Hack-Themen", schreibt dort einer. Ein anderer hat seine endgültige Analyse des Vortrags so zusammengefasst: "Zehn Brüste, die über Femininismus reden."

Nachdenklich verlassen die Besucher den Saal. Einige vergraben sich tief in ihren schwarzen Kapuzen-Pullis. "Es geht einfach um Respekt", erklärt Kelley abschließend. Die nackte ASCII-Frau ist jedenfalls gleich einem männlichen Pendant gewichen.

Raus aus dem Keller!

Manche sind überhaupt nicht an den Vorträgen interessiert. Sie sitzen mit ihren Computern in der großen Lobby, die das Wochenende über Hackcenter heißt. Dort ist auch die Bar. Die unangefochtenen Marktführer sind Club Mate, Club Mate mit Cola und Chunk. ein Cocktail mit den Hauptzutaten Rum und Club Mate.

Auch viele andere Merkmale entsprechen dem Vorurteil, das die "Internetausdrucker" von der Hack-Kultur haben: viele Brillenträger, Wörter, die ohne Insider-Wissen niemand versteht, schwarze Hoodies und das eine oder andere Hautproblem. Sie haben immer noch einen unaufhaltsamen Drang, sich in Untergeschoßen aufzuhalten und eine sehr schlechte Sitzhaltung. Trotzdem hat die einst belächelte Subkultur ein neues Level erreicht: "Nerds sind ein ökonomischer Faktor geworden. Fast kein Unternehmen kommt mehr ohne sie aus", erklärt Jens Ohlig. Die neue Sexyness tragen viele mit Stolz. Sie sitzen immer öfter in TV-Diskussionen und werden nicht mehr nur dann gebraucht, wenn das WLAN in der neuen Wohnung nicht funktionieren will. Auf der Sigint ist dieses neue Selbstbewusstsein omnipräsent. Kein Wunder also, dass die Keynote am zweiten Tag von der möglichen Weltherrschaft der Hacker handelt.

Hacker an die Macht!

"Yes we could: Hackers in Government" lautet der unschuldige Vortrag vom US-amerikanischen Aktivisten und Buchhalter Nick Farr. Seine provokante These: Hacker sind die besseren Politiker und würden Regierungen viel besser leiten als das bisherige Personal. "Politiker haben das oberste Ziel, ihren Job zu behalten. Mit der Wahrheit gehen sie sehr sparsam um", so Farr. Ganz anders die Hacker: "Sie sind es gewohnt, fehlerhafte Systeme zu reparieren und die ungeschönte Wahrheit zu sagen. Das macht sie zu den perfekten Verantwortlichen für unsere Regierungen."

Nick Farr am Schreibtisch

Nick Farr

Nick Farr ist Buchhalter, die deutschsprachigen Medien nennen ihn aber meistens einen "Aktivisten". Ich darf auch. Ich hab gefragt.

Das ist viel zu kurz gegriffen, wenn nicht sogar gefährlich, entgegnet Jens Ohlig. "Als System-Analytiker bin ich bin es gewohnt, Unregelmäßigkeiten auszumerzen. Wenn ich das auf gesellschaftliche Systeme ausweite,..."

Trotzdem ist er froh, dass die Hacker das Thema endlich klar strukturiert diskutieren. "Bis jetzt ist dieses Elite-Denken nur unterschwellig da gewesen, jetzt gibt es konkrete Thesen, die wir diskutieren können."

Als ich den Text gerade fertig geschrieben habe, bin ich auf einen Artikel von heise gestoßen, der die genau gleichen Themen behandelt. Aber abgeschrieben habe ich nicht.

Farrs Vision vom Hacker-Staat dreht sich ausschließlich um den Begriff "Wahrheit". Natürlich seien die meisten Bürger an angenehmen Themen interessiert, anstatt sich der meistens unangenehmen Wahrheit zu stellen. "Aber wenn sie keine andere Wahl haben, dann werden sie sich der Wahrheit stellen und die Probleme erkennen", bleibt er zwangsoptimistisch. Aber muss die Wahrheit nicht umso besser kommuniziert werden, damit sie jeder auch wirklich versteht? Und sind Hacker diesbezüglich vielleicht nicht unbedingt am besten geeignet? "Ja, Hacker sind anti-sozial, deshalb mag ich sie auch so gern. Aber ich muss auch zugeben, dass sie manchmal Probleme beim Kommunizieren haben."

Wer also angeblich alles weiß und begründen kann, sollte in erster Linie so reden, dass ihn auch jeder versteht. So lange bleibt die Weltherrschaft der Hacker eine keynote im geschützten Raum. Vielleicht auch besser so.