Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Die alte Liebe brodelt"

Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

28. 5. 2010 - 17:37

Die alte Liebe brodelt

Unkle meldet sich mit "Where did the night fall" zurück und nimmt uns mit auf Ausflüge in die Nacht.

In den letzten zehn Jahren hyperventilierten keine Hipster mehr, wenn der Name James Lavelle, Unkle oder Mo Wax fiel. Unkle-Alben und -Touren zogen relativ unbeachtet ins Land. An den musikalischen Lebenszeichen von Unkle klebte der schnöde Geruch der Mittelmäßigkeit.

Dabei ging alles so vielversprechend und revolutionär los: James Lavelle war das Wunderkind der 90er Jahre. 1992, im zarten Alter von 18 Jahren, gründete Lavelle das Label Mo Wax. Mo Wax propagierte einen, damals ungekannten, eklektischen Zugang zu Hip Hop und elektronischer Musik. Man hörte neue Musik, die man nicht einordnen konnte. Ist es Ambient, Electronica, Hip Hop?

mo wax

DJ Shadow, DJ Krush, Luke Vibert, Air, Dr. Octagon, Attica Blues, Money Mark, Blackalicious veröffentlichten auf Mo Wax. Lavelle brachte Welten zusammen und schuf dadurch etwas Neues. Blöderweise fiel dann irgendwem das Wort Trip Hop ein, das dann im Laufe der Zeit ein Synonym für belangloses Hintergrundgeplänkel wurde. Das sind aber Mo Wax Veröffentlichungen ganz und gar nicht gewesen. Sie hatten Substanz, musikalisch und inhaltlich. Sie sprengten Genre-Grenzen und waren auch visuell Kunstwerke.

mo wax

Das Artwork, die Cover und die gesamte visuelle Repräsentation - von Pressefotos bis zu den Party-Flyern - war wichtiger Bestandteil des Gesamtkunstwerks Mo Wax.

Deshalb verpflichtete Lavelle befreundete Künstler, Graffiti Artist, Designer und Regisseure, für das Gesicht seines Labels zu sorgen, das die musikalische Seele komplettierte.





Der japanische Musiker und Designer Nigo, dem das ehemals superhippe Kleidungslabel "A Bathing Ape" gehörte, gestaltete nicht nur Cover, sondern veröffentlichte auch als Musiker auf Mo Wax.

nigo

Futura 2000, Graffiti-Maler der ersten Stunde, der das Crossover in die Welt der Kunstgalerien geschafft hat, war auch für sehr viele Cover zuständig. Ebenso 3D von Massive Attack. Die Mo Wax Vinyl-Veröffentlichungen wurden sehr schnell zu vergriffenen Sammlerstücken.

Lavelles eigene Band Unkle brachte die Mo Wax Essenz zu Vinyl. Lavelle orchestriert die Unkle Releases wie ein Regisseur, schrieb damals das britische Magazin "The Face". Er holt sich aus allen Bereichen die Besten: Musiker, Produzenten, Grafiker und Regisseure. Und die baut er in sein Unkle-Universum ein.

unkle

Shadow und Unkle

"Psyence Fiction" erscheint 1998. Diese Platte bringt immer noch die Essenz von dem, was in den 90er Jahren spannend war, auf den Punkt. Es ist eine große Platte, die sehr schön die Freude über neue Technologien, aber auch die Melancholie und Düsterheit des ausgehenden Jahrtausends verbindet. Deshalb ist die Freude groß, dass Unkle nach Jahren der mehr oder weniger belanglosen Platten zurück sind.

James Lavelle ist die einzige Konstante, die sich durch die Geschichte von Unkle zieht. Auf "Psyence Fiction" stand ihm DJ Shadow als musikalischer Partner zur Seite. DJ Shadows Gefühl für Beats und für Emotionen, Stimmungen und wie sie durch Instrumental-Kompositionen ausgedrückt werden können, ist einmalig. Ian Brown, Badly Drawn Boy, Mike D, Kool G Rap, Richard Ashcroft konnte Lavelle als Gastsänger für seine Band, die durch Comicfiguren von Futura 2000 repräsentiert wurde, gewinnen. Und nur zur Erinnerung: Wir schreiben das Jahr 3 vor den Gorillaz.

Schimpft mich ignorant, aber die einzige der vielen Unkle-Inkarnationen für die ich mich begeistert habe, ist das Doppel Lavelle/DJ Shadow. Alles was danach kam war für mich ein fahler Abklatsch von "Psyence Fiction". Sie schafften es immer noch in den Soundtracks von Filmen und Computerspielen, aber das große Staunen, die große Faszination über das düster melancholische Unkle-Universum war vorbei. Bis mir vor ein paar Tagen der Song "Natural Selection" vom neuen Album "Where Did The Night Fall" begegnete.

Die alte Liebe brodelt

"Natural Selection" hat alles, was ich an Unkle liebe, in zeitgemäßer Form. Die an Shadow erinnernde Orgel und die wuchtigen Beats, die in sich zusammen zu stürzen scheinen. Den traurigen aber nicht hoffungslosen Gesang, der nach Ekstase im Zustand völliger Desillusioniertheit klingt. Unkle hat mich wieder, die alte Liebe brodelt.

Unkle sind gut und brauchen den ganzen, heutzutage sowieso inflationären, Design- und Limited Edition-Firlefanz nicht. Das Album "Where Did The Night Fall" hat musikalische Substanz, die nicht von einer visuellen Repräsentation abhängig ist. James Lavelle ist diesmal alleine. Richard File, der nach dem Abgang von Shadow die letzten zehn Jahre Lavelles Partner war, hat sich von Unkle verabschiedet, um sich auf seine neue Band zu konzentrieren.

unkle

Ende des letzten Jahrtausends trafen Unkle musikalisch und ästhetisch den Nerv der Zeit. Dann kam der Abrutsch in die Belanglosigkeit (man munkelt, dass Lavelle auch mit privaten und Drogenproblemen zu kämpfen hatte). Und nun sind Unkle zurück.

"Where Did The Night Fall“ ist verhalten, sinister verhangene Pop Elektronik, die von großer „Come Down“ Traurigkeit und Melancholie geprägt ist. Eine Stimmung, die man von Unkle kennt. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Alben "Never Land" und "War Stories" glaubt man Unkle das, was man hört. Bei der ersten Begegnung mit "Where Did The Night Fall" dachte mich mir - ohne auf die Tracklist zu achten - das klingt irgendwie nach Runterkommen von schweren Substanzen, nicht am Sonntag, sondern am Dienstagmorgen.

Titel wie "Heavy Drug", ein Liebeslied, das schwer nach Spiritualized klingt, werte ich als subtiles Zeichen, dass meine These stimmen könnte. Nummern wie "Autolux" geben eine Ahnung vom Gefühl, wie dunkel es in Nachtclubs und in den Seelen der Geschöpfe, die dort verkehren, manchmal werden kann.

Auf "Where Did The Night Fall" gibt es keinen Himmel, keine Erlösung und auch keine Stars. Die Leute die als Gastvocalisten zu hören sind tragen keine klingenden Namen wie Ian Brown oder Thom York, machen ihre Arbeit aber verdammt gut. Die Black Angels sind eine psychedelic Rock Band aus Texas und Gavin Clark ist von der britischen Folk Band Clayhill und mit Elle J schließe ich auch zum ersten Mal Bekanntschaft. Die große Ausnahme: Mark Lanegan, ehemals von den Screaming Trees, führt uns mit gebrochener Stimme auf "Another Night Out" in eine orchestrale Dunkelheit. "Where Did The Night Fall" ist dort ein guter Begleiter.