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Martina Bauer

Geschriebenes und zu Beschreibendes. Literatur und andere Formate.

27. 5. 2010 - 14:03

Schweigender Autor, sprechende Hauptperson

Harold und Melvin heißen die beiden Protagonisten im Roman von einzlkind. Letzerer entzieht sich im Pseudonym, Harold durfte dem Buch seinen Titel geben und Melvin kommuniziert mit der Journalistenschaft.

edition tiamat

Schon der Erhalt des Romans war nicht gewöhnlich. Beigelegt sind: ein Teesäckchen, eine Miniatur-Galgenschlinge sowie ein Schreiben, in dem sich ein gewisser Mel zu Wort meldet.

Quintessenz der Zeilen: die Geschenke hätten wohl einen Grund; er selbst, als einer der Helden des Romans, habe zwar keine Ahnung, warum nicht sein Name im Titel stünde, würde aber dennoch die Pressearbeit machen. Und: man solle froh sein, denn der Autor wäre eher unklug. Und so beginnt also der email-Verkehr mit Melvin.

Meine ersten Fragen: "Wie würdest du Harold beschreiben? Und ist er nur sozial inkompatibel, oder tatsächlich etwas autistisch?" Melvin darauf: Harold sei tapfer und ansonsten weder das eine noch das andere. Er neige lediglich zur Melancholie und habe ein Hobby, das gesellschaftlich wenig Akzeptanz findet.

Harold ist wie gesagt der titelgebende Held. Ein Eigenbrötler in eindruckslosen Buchhalterklamotten, dabei durchwegs verhaltensoriginell. Seit seine Mutter tot ist, lebt er alleine und in einer Parterrewohnung. Harold spricht eigentlich nie, aber wenn sich die Nachbarinnen zum Bridge treffen, kommt er auch. Er hält dann die Karten, denn wirklich spielen kann er nicht.

turner classic movies

"Harold und Maude"
Die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen dem ebenso todessehnsüchtigen wie stinkreichen, rund 20jährigen Harold und der 60 Jahre älteren „I'm always looking for the new experience“-Maude. Neben ihrer Zuneigung eint das ungleiche Paar die Vorliebe für Begräbnisse. Aus dem Jahre 1971, mit Filmmusik von Cat Stevens (als er wirklich noch so hieß).

Was Harold mag sind Regeln und sein "Hobby": er erhängt sich gerne ab und an im Treppenhaus (jedoch höchstens einmal im Monat, nie dienstags und immer vor neun Uhr abends). Auch andere Todesarten auszuprobieren, ist er nicht abgeneigt – ganz wie sein Filmnamensvetter aus Harold und Maude.
Mehr haben die beiden Harolds aber nicht gemein.

Manier

Die Ereignisse jedenfalls überstürzten sich, als Harold eines Tages seine Anstellung in der Fleischabteilung verliert – er war überschüttet mit Rinderblut an die Theke gekommen, weil er seine Pause nicht überziehen wollte – eine neue Nachbarin einzieht und ihm aus Jobgründen ihren Sohn Melvin, einen Savant, 11 Jahre, IQ von 183, sozusagen umhängt.
Wie findet Melvin das eigentlich? "Das ist absolut verantwortungslos. Ich habe eine schwere Kindheit", schreibt er.

„Harold“ besticht durch seine sprachliche Kunstfertigkeit. Der Stil ist ironisch, gebrochen durch ein prosaische Bildhaftigkeit, die sich in ungewöhnlichen Kombinationen von Adjek- und Substantiven zeigt. Andernorts werden Hauptworte einfach verbisiert – dann heißt es: „Melvin strohalmt Cola“. Eine zugleich flüssige wie gestelzte Sprache, die sich vielleicht am besten mit antiquierter Zeitgemäßheit beschreiben lässt.
Und verstärkt durch diese Schreibart taucht ein weiteres Aha-Erlebnis auf: Melvin erinnert ein bisschen an die hyperintelligenten Kinder der von J.D. Salinger erfundenen Glass-Family. Er selbst mailt dazu: "Nun, ich heiße weder Seymour noch umarme ich Bäume. Ich umarme gar nichts. (Und Salinger ist natürlich Gott.)"

Camouflage

edition tiamat

Am Klappentext lässt der Verleger die LeserInnen wissen, dass dies das erste, bei ihm unverlangt eingesandte Manuskript war, das tatsächlich veröffentlich wurde. Doch der Autor bleibt ein Rätsel. Der Buchumschlag verrät nur: Er lebe in England oder auch Deutschland, ist militanter Nichtraucher und schwer übergewichtig. Und scheinbar mag er Kaffee. Auch Melvins email-Auskünfte helfen gar nichts: "Zu den Gerüchten mit der Schauspielerin kann ich nichts sagen, da bin ich vertraglich gebunden, leider."

Nachdem Harold Melvin am Hals hat, beginnt vor allem für ersteren ein strapaziöser Kraftakt. Denn Melvin will nicht nur einiges ausprobieren, jetzt, da Mama aus dem Haus ist, sondern vor allem seinen, ihm unbekannten Vater finden. Von dem weiß er immerhin: er heißt Jeremiah Newsom, und es gibt fünf Männer dieses Namens in Großbritannien und Irland.

edition tiamat

"Harold" von einzlkind. Erschienen in der Edition TIAMAT.

Und nicht genug der Parallelen, könnte man noch einen weiteren Filmbezug ausmachen, denn das ungleiche Paar gemahnt in gewisser Weise an das Mann/Junge-Gefüge aus „About a boy“. Vielleicht einfach wegen der Skurrilität ihrer Beziehung. Melvin antwortet da nur: "Sicher, die Ähnlichkeiten zwischen Harold und Hugh Grant sind frappierend."

Die gemeinsame Zeit und Suche gestaltet sich jedenfalls durchwegs witzig: Harold lernt dank Melvin Pferderennen, üble Pub-Schläger oder Drogen kennen. Man landet inmitten eigenartiger Vater-Sohn-Tage der sehr gehobenen Gesellschaft, schwuler Kostümparties sowie im Bordell. Nur einmal driftet die Story ziemlich ins Unglaubwürdige ab, aber insgesamt ein Augenschmaus.

Und "ach" verrät Melvin am Ende des Buchs: Er hätte da noch ein Tante, von der er nur wisse, dass sie zuletzt in Wien gesehen wurde.