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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 5. 2010 - 17:19

Eishockey-WM-Journal 10.

Rütteln an alten Hierarchien.

Die Eishockey-WM in Deutschland, alles zum dramatischen Finale.

Mein Zweitlieblings-Sport, das wunderschön anzusehende und mir immerzu zu Geräuschen und Schreien der Verzückung und Bewunderung über Schnelligkeit, Körperbeherrschung und spezifischer Technik Anlaß gebende Spiel Eishockey hat bei der eben zu Ende gegangenen Weltmeisterschaft in Deutschland eine neue Stufe gezündet.
Und zwar was die Verbreiterung der Spitze betrifft.
Da ich seit Jahren immer wieder WM-, Olympia-Turniere und sonstiges zum Ausgangspunkt von kurzen (oder auch längeren) Beiträgen hier nehme, mag ich diesen Punkt nicht einfach nur abnicken, sondern ein wenig beschreiben.

Final Ranking
(in Klammer die Platzierung in der Weltrangliste vor dem WM-Turnier):
1 Tschechien (6)
2 Russland (2)
3 Schweden (4)
4 Deutschland (12)
5 Schweiz (8)
6 Finnland (3)
7 Canada (1)
8 Dänemark (13)
9 Norwegen (11)
10 Belarus (9)
11 Lettland (10)
12 Slowakei (7)
13 USA (5)
14 Frankreich (16)
15 Italien (15)
16 Kazachstan (19)

die beiden letzten steigen ab, 2011 kommen Österreich (14) und Slowenien (18) dazu.

Kurz gesagt: jahrelang war Spitzen-Eishockey ein exklusiver Club, in dem nur wenige Nationen ernsthaften Zutritt erhielten. Kanadier und US-Amerikaner, Russen (vormals Sowjets) und Tschecho-Slowaken (die seit zehn Jahren getrennt agieren), Schweden und Finnen.
Der Rest: geduldet, aber als Mitbewerber nie ernst genommen. Zurecht nie ernstgenommen.

A-Klasse und B-Zug

An diese fixe Nomenklatura der Großen 7 (vormal der Top 6) hat sich in den letzten Jahren die Schweiz als Nummer 8 dazugesellt, weil man für Viertelfinals acht Teilnehmer braucht, war das ganz praktisch. Dazu schnuppern ehemalige Sowjet-Republiken mit Hockey-Tradition (Lettland und Belarus mehr, Kazachstan und die Ukraine weniger, erstaunlicherweise) ran. Gemeinsam mit europäischen Nationen mit kommerziell halbwegs gut funktionierenden Ligen (Deutschland, Italien, Frankreich...) und dem skandinavischem Rest (Norwegen, Dänemark) bildete sich so etwas wie ein Mittelfeld, in das auch Außenseiter wie Österreich oder Nachbar Slowenien einbrechen.
Hinter diesem Mittelfeld tat sich dann wieder ein neuerlicher Qualtitäs-Graben zur C-Klasse auf.

Weil das Treffen der besten Eishockey-Nationalmannschaften ein kommerziell gut gelungenes Spektakel ist, hat sich die IIHF (der Dachverband, das Äquivalent zur FIFA) seit einiger Zeit zu einer 16er-WM durchgerungen, wo dann im Wesentlichen die 7 A-Nationen und 9 der 12 B-Nationen gegeneinander spielen. Wobei: die Niveau-Kluft zwischen diesen beiden Gruppen immer unüberwindbar war. Einer der Großen mußte schon sehr stark abkacken, einer der Kleinen mußte schon alle Macht des Schicksals aufwinden um eine Sensation zu bringen.

Kölsch-Mannheimer Regel

In den letzten Wochen, in den Arenen von Köln und Mannheim waren diese Sensationen nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Norwegen besiegte das tschechische Team, den späteren Weltmeister.
Dänemark besiegte die Finnen, zweifachen Gruppensieger.
Die Schweiz demütigte Kanada, den Olympiasieger.
Deutschland schlug die USA (in einem denkwürdigem Spiel auf Schalke, mit fast 80.000 Zuschauern.
Und praktisch jeder besiegte die Slowakei, trotz Hilfe vom Satan persönlich.

Plötzlich waren die genannten Teams, die beiden bislang als sympathische Zwerge bekannten Skandinavischen Hinterherhinker (denn gegen die geballte Macht der Schweden und Finnen sahen Norweger und Dänen seit Generationen ganz arm aus), die Schweizer und vor allem auch die deutschen Ausrichter, mittendrin.
Und auch Letten und Weißrussen spielten auf Augenhöhe mit - jeder konnte jeden schlagen; und das passierte auch.

Jeder kann jeden schlagen

Die USA kann sich mit beiden Titeln in den Jugend-Kategorien trösten: man wurde sowohl bei der U20 als auch bei der U18 Weltmeister. Gut auch Schweden (3. und 2.), Finnen (5. und 3.) oder Canada (2. und 7.). Matt die Russen (6. und 4.), Tschechen (7. und 6. ) gar nur zweimal 8. die Slowakei. Mittendrin als 4. und 5.: die Schweiz.

So verpaßten die USA (die gegen Dänen und Deutsche scheiterten) und die Slowakei das Viertelfinale - und erstmals standen da drei aus der B-Kategorie. Deutschland schaffte es, in einer nationalen Anstrengung, die durchaus kurz an die Fußball-Heim-WM erinnerte, auf Platz 4.

Nun kann man gerne einwenden, dass viele der starken Nationen nicht mit den allerbesten Teams am Start waren - schließlich spielt die NHL, wo nun einmal die Besten der Besten ihr Geld verdienen, gerade die Play-Offs. Und Kanada oder die USA litten (nach den vortrefflichen Anstrengungen, die man dort in das olympische Turnier Anfang des Jahres setzte) unter vielen Absagen.

Aber: das passiert jedes Jahr, bei jeder WM. Und trotzdem sind die klassichen Nationen immer noch stark genug gewesen um dem Angriff der Kleinen zu trotzen.

Austrozentrierter Jammer-Blödsinn

Die Gruppeneinteilung für die WM 2011 ergibt sich automatisch auss der neuen Weltrangliste:

A Russland, Slowakei, Deutschland, Slowenien
B Kanada, Schweiz, Weißrussland, Frankreich
C Schweden, USA, Norwegen, Österreich
D Finnland, Tschechien, Lettland, Dänemark

Schlechter sieht es in der Jugend aus:
nach dem Abstieg aus der A-Gruppe bei der U20-WM (dort spielen allerdings nur zehn Nationen) spielen die jungen Österreicher in einer der zwei B-Staffeln um den Wiederaufstieg, und zwar in Bled gegen Slowenien, Dänemark, Kasachstan, Kroatien und Litauen. Wird schwer.
Auch hier zeigen die Teams der Schweiz (4!) und von Deutschland und Norwegen (Aufsteiger) auf

Ganz schlimm ist es in der U18 - dort ist Österreich in die C-Klasse abgesteigen (man war hinter Japan und Korea) und darf sich ikm nächsten Jahr gegen Rumänien, Kroatien, Serbien, Estland, Neuseeland abstramplen.
Gelinde gesagt: eine Katastrophe. Und ein übles Zeichen was die heimische Nachwuchs-Arbeit betrifft.

Auch hier war die Schweiz (5.) Top, Norwegen und Dänemark sind die Aufsteiger in die zehn Nationen umfassende A-Gruppe; kein Zufall.

Einziges aktuelles Austro-Positiva: die gemeinsame Liga mit Ungarn und Slowenien, die EBEL, ist von Hockey Europe, dem Interessenvertreter des europäischen Klubhockeys, als 7. Mitglied aufgenommen worden. Bislang waren die Ligen aus Schweden, Finnland, Deutschland, Schweiz, Tschechien und der Slowakei dabei.

Man muss es also akzeptieren: die zweite Reihe ist besser geworden.
Und anläßlich der geballten und kollektiven Qualitäts-Steigerung darf man getrost annehmen, dass es sich nicht um eine Eintagsfliege handelt, sondern eine "Here to stay"-Entwicklung darstellt.

Das ist das zentrale Fazit dieser außergewöhnlichen WM.
Und nicht der austrozentrierte Jammer-Blödsinn, der in den hiesigen Mainstream-Medien zu lesen war: dass die österreichische Mannschaft (die sich bereits vor Wochen bei der B-WM als Aufsteiger für das Turnier 2011 in der Slowakei qualifizierte) eigentlich dabei sein hätte müssen, weil sie bei der WM 09 ja besser als die Deutschen waren. Und dass man damals nur so knapp gegen Dänemark verloren hatte. Also eigentlich auch ursuper ist, wegen dieser indirekten Hättiwari-Vergleiche.

Fakt ist,
dass der DEB für die Heim-WM ungeheure Anstregungen in die Wege leitete. Fakt ist dass es bei den Dänen seit Jahren und ganz systematisch nach oben geht, wie auch bei Norwegern oder den sowieso musterknäblichen Schweizern.
Und Fakt ist, dass in Österreich von Reformen zwar viel und auch sinnhaft geredet wird, sich aber nix tut.

Weshalb dann eben die anderen, die mit den konkreten Akten, im entscheidenden Moment vorbeigezogen sind, während der OEHV, der mit dem langatmigen Gequatsche auf der Stelle tritt. Und das mit jammerlappigen Medien-Lancierungen über Pech und überhaupt und so überspielt.
Ganz wie im Fußball-Bereich ja auch.

Denn: beim großen Anschluß, beim Gerüttel an den alten Hierarchien, bei der Annäherung der zweiten Spielklasse an die erste, da war Österreich nicht dabei. Und: man wäre auch nicht dabeigewesen, wenn man vorort gewesen wäre.

Sonst...

... war es einfach wieder ein Traum zuzusehen, den Russen vor allem. Die hatten ja nur ein eher schwächeres Spiel, just im Finale. Und selbst da, die traumhafte Technik, die sie in den letzten drei Minuten, als sie fast noch den Ausgleich schafften, an den Tag legten - überirdisch.

Aber auch die Spiele der Tschechen gegen Finnen und Schweden, die beide in der Overtime und dann Penaltyschießen endeten: purer Genuß, tolles Tempo, hochwertige Akroatik und enormes strategisches und taktisches Verständnis.

Dem alten Jaromir Jagr dabei zuzusehen, wie er sich um seine Gegenspieler herum in Richtung Tor dreht - herrlich.
Die Fahrten von Owetschkin, Malkin oder Datsyuk nachzuvollziehen - phantastisch.
Die kreativen Abwehr-Künste von Petteri Nummelin bestaunen - toll.
Vladimir Ruzickas Vokuhila, Slawa Bykows steinerne Miene, köstlich, beides.
Und all die Tormänner, die mit etwa sieben Extremitäten gleichzeitig nach Pucks fischen - lange waren sie nicht mehr so gut, Vokoun, Rinne, Varlamov, Gustavsson...

Die Namen der einzelnen Spieler der "Neuen", der Deutschen und Dänen, der Schweizer und Norsker, für die brauche ich noch, diese WM hat dazu gedient die Teamleistungen dieser Mannschaften zu studieren. Und, ja, die Spiele der Deutschen etwa, gegen Amis und Russen, waren beide ausgesprochen gut anzusehen.
Das ist neu. Und gut so.
Denn das Ankratzen von Hierarchien hat noch nie geschadet.