Erstellt am: 25. 5. 2010 - 13:08 Uhr
Die Revitalisierung der Revitalisierung
Am östlichen Rande Wiens, in Simmering, stehen vier runde,
ziegelsteinrote Türme – jeder von ihnen so groß, dass in seinem Inneren das Riesenrad Platz hätte.
Laut den jüngsten Medienberichten gleichen die Gasometer allerdings weniger einem Vergnügungspark als einer Geisterstadt: leere Geschäfte und kriminelle Jugendliche.
Wir haben uns angesehen, wie es um den Standort wirklich steht.

Thomas Preiss
1896-1899 Bau des Gaswerks Simmering
1978 werden die Gasometer unter Denkmalschutz gestellt, 1984 stillgelegt.
Bis zur Eröffnung der neuen Gasometer 2001 werden sie kulturell genutzt.
Die Gasometer speichern ab Ende des 19. Jahrhunderts riesige Mengen Kohlegas, mit dem die WienerInnen ihre Straßen beleuchten, kochen und heizen. Mit der Umstellung auf Erdgas, das hauptsächlich unterirdisch gelagert wird, werden die Riesenzylinder überflüssig.
Wie viele aufgelassene Industriestandorte in europäischen Städten, werden die Gasometer in der Folge als kulturelle Location genutzt. Es finden Ausstellungen statt, 1987 hebt der James-Bond-Bösewicht in "Ein Hauch des Todes" mit einem Senkrechtstarter durch eines der Kuppeldächer ab, und zuletzt hallen die Techno-Beats der Gazometer-Raves durch die hohen Türme.
Mitte der Neunziger werden schließlich Ideen für eine neue Nutzung gesucht. Man entscheidet sich für eine Kombination aus Wohnen, Arbeiten, Shopping und Entertainment.
Revitalisierung I
Im Zuge des Umbaus von 1999 bis 2001 werden die ehemaligen Gasbehälter regelrecht ausgehöhlt und von renommierten Architekten mit viel Glas, Stahl und Beton hergerichtet und mit Brücken verbunden.

Thomas Preiss
Die neuen Gasometer beherbergen mehr als 20.000m2 Verkaufsfläche, 615 Wohnungen, 247 Zimmer im StudentInnenheim, das Wiener Stadt- und Landesarchiv, eine Veranstaltungshalle für 4.000 Personen und etliche Büros.
Weitere Büros sowie die 2006 errichtete Erweiterung des Studentenheims sind in den Hochhäusern im unmittelbaren Umfeld der Gasometer untergebracht.
Hinter den denkmalgeschützten Ziegelsteinfassaden zieht eine Shopping Mall ein, Wohnungen und Zimmer eines Studentenheims schlingen sich im Kreis um die Innenhöfe und im Untergeschoß des Gasometer B leistet sich die BA-CA eine Konzerthalle. Megaplexx und Bierlokale werden in einem eigens errichteten Entertainment-Center an den Komplex angehängt.

Barbara Köppel
ArchitekturkritikerInnen sind vom Ergebnis wenig begeistert. Die Wohnungen seien miserabel, schlauchartig, finster und unangenehm, heißt es. Auch wenn die BewohnerInnen diesen Eindruck oft nicht nachvollziehen können. Die privaten Bauträger und die Stadt Wien, die das Projekt mit 22,5 von insgesamt rund 174 Millionen Euro in Form von Wohnbauförderungen unterstützt hat, müssen sich ein Scheitern vorwerfen lassen.
Die revitalisierten Gasometer sind zu einem abgekapselten Universum aus Durchschnittsläden, seelenloser Gastronomie und kunststoffglatten Oberflächen geworden. Ihr alter Charme und auch der mitunter sehenswerte Kontrast der Ziegelsteinmauer zu den Neukonstruktionen verschwinden, sobald man einen Fuß ins Innere setzt.
Vitus Weh hat das quartier21 im Wiener Museumsquartier konzipiert und ist 2003 an der Umgestaltung des Foyers der BA-CA-Veranstaltungshalle beteiligt.
Das Shopping-Center ist als lange Einkaufsstraße auf mehreren Etagen durch alle vier Gasometer angelegt. "Wie ein Fließband", findet Kulturwissenschaftler und Raumgestalter Vitus Weh. "Die Leute sollen direkt aus der U-Bahn wie magnetisch durch die Mall gezogen werden."
Mit der U3 ist man zwar in zehn Minuten in der Innenstadt, gefühlsmäßig hat der Anschluss jedoch nie stattgefunden. Die 15- bis 20-Jährigen, für die die Mall konzipiert worden ist, sehen keinen Grund an den Stadtrand zu fahren. Sie finden die gleichen Shops auf der Mariahilfer Straße, in der Lugner City oder im Donauzentrum. Der gewünschte urbane Lifestyle, der die Umgebung beleben soll, bleibt der Peripherie fern.
Von Jugendgangs...
Anfang 2010 häufen sich zudem Berichte von Jugendgangs. Es soll zu Schlägereien und Messerstechereien gekommen sein. Im Bereich des Entertainment-Centers sei offen gedealt worden, schreibt die Presse. Schuld daran sei der lange, kalte Winter gewesen, der "von ihren Eltern vernachlässigte Kinder" in die Shopping Mall getrieben habe, sagt Peter Schaller, Geschäftsführer der Gasometer. Gemeinsam mit Polizei und Streetworkern hat er bereits im Jänner "Maßnahmen ergriffen, um die Jugendlichen aufzufangen". Seit März habe es keine Vorfälle mehr gegeben.
Sozialarbeiter Cafer Zilci vom Simmeringer Jugendtreff Eleven spricht von Ausrutschern.
Tatsächlich scheint die Angelegenheit unverhältnismäßig aufgebauscht worden zu sein.
Der 25-jährige Publizistikstudent Toumaj Khakpour wohnt seit zweieinhalb Jahren im Gasometer-StudentInnenheim. Angesprochen auf die Jugendkriminalität, muss er schmunzeln: "In den Medien habe ich viel davon gehört und gelesen, vor Ort habe ich aber kaum etwas davon gesehen. Einmal wurde der Lift wegen Vandalismus gesperrt. Da war Klopapier drin verteilt. Und zwei, drei mal habe ich erlebt, dass ein paar Jugendliche absichtlich Mist machen. Ich würde das Wort Kriminalität aber in einen anderen Zusammenhang setzen. Wenn jemand seinen Cheeseburger auf den Boden fallen lässt, ist das für mich nicht kriminell."
Unsicher oder bedroht habe er sich nie gefühlt. Die Sicherheitskräfte, die seit ein paar Wochen im Einkaufszentrum und teilweise auch in den Gängen vor den Zimmern der Studierenden unterwegs sind, stören Toumaj viel mehr. "Es provoziert doch nur, wenn vier, fünf Securities mit ihren Walkie Talkies auf- und abmarschieren. Einmal habe ich gesehen, wie sie die Taschen von ein paar Migranten kontrolliert haben, die vom Fitnesscenter gekommen sind. Dabei haben sich die überhaupt nicht auffällig verhalten."
...und Schiffsinterieur
Auch das StudentInnenheim wurde von Coop
Himmelb(l)au entworfen. Zwei bis fünf Studierende teilen sich jeweils eine Wohnung.
In Toumadjs Zimmer behelligen ihn die Securities nicht. Viel Zeit verbringt er hier trotzdem nicht.

Barbara Köppel
Seine Möbel - Stahlschrank, Holzbett, verschiebbares Wandregal und Schreibtisch - stammen von einer Firma, die sonst Kabinen auf Kreuzfahrtschiffen und Flugzeugen einrichtet. Den Gemeinschaftsbereich haben sich die BewohnerInnen nie wirklich angeeignet. Innerhalb der strengen Fensterfronten, schrägen Wände und grauen Böden will sich kein Leben einstellen. Die Räume wirken gleichzeitig steril und vernachlässigt. Fitnessraum und Sauna betreten alle mit Straßenschuhen, aus dem Proberaum, der für die MusikerInnen unter den Studierenden gedacht ist, tönt nur die Lüftung oder das Echo von den kahlen Wänden. Die Gaso-Bar ist klein und stickig.
Toumaj hat alle seine Freunde aus dem StudentInnenheim außerhalb, zufällig beim Fortgehen oder auf der Uni, getroffen. "Vor Ort sieht man sich höchstens in der Waschküche oder im Lift", sagt er. Clubraum und Gemeinschaftsküche, also Plätze, die ideal zum Networking wären, sind verschlossen. Sein Schlüssel, der sonst alle Räume öffnet, funktioniert ausgerechnet bei diesen Türen nicht. Vielleicht stimmt damit etwas nicht. Trotzdem macht es keinen guten Eindruck. Man könnte glauben, die Studierenden sollen lieber in den Lokalen der Shopping Mall essen gehen. Immerhin haben die Kundschaft bitter nötig.
Revitalisierung II
Denn noch im März dieses Jahres lagen mehr als ein Drittel der Verkaufsfläche brach. Aktuell sind es nur mehr 17 Prozent. Geschäftsführer Peter Schaller plant und realisiert zur Zeit eine Neukonzeption der Shopping Mall.
Jeder Gasometer erhält ein eigenes Profil, und soll mit Geschäften und Waren gefüllt werden, die man sonst nirgends findet: Gasometer A bleibt mit Supermarkt, Apotheke und Modeläden Nahversorger-Einkaufszentrum, B setzt einen Schwerpunkt auf Technik, C auf Kinder und in Gasometer D ist vor drei Wochen das Musikfachgeschäft Klangfarbe eingezogen.

Barbara Köppel
Sie ist das Zugpferd der gesamten Revitalisierung und soll die Gasometer-City - vormals G-Town - aus der wirtschaftlichen Misere ziehen.
Mit beiderseitigem Erfolg: Seit Anfang Mai kommen täglich bis zu 4.000 BesucherInnen mehr ins Einkaufszentrum und das Musikfachgeschäft konnte seinen Umsatz bereits um 30 Prozent zum Vergleichszeitraum des Vorjahres steigern.
"Letztens hat mich der Italiener um's Eck gefragt, ob wir am Pfingstmontag offen haben. Nein, habe ich gesagt, das ist ein Feiertag. Dann sperrt er auch nicht auf, denn wenn wir geschlossen haben, macht er kaum Geschäft. Aber seit wir da sind, hat er den dreifachen Umsatz", erzählt Klangfarbe-Gründer Rudolf Schauer stolz.

Barbara Köppel
Ob die Win-win-Situation anhält, hängt davon ab, ob die Geschäftsführung ihre Strategie konsequent fortsetzt und die Klangfarbe in eine passende Umgebung einbettet. "Wenn man schon eine Konzerthalle und die Klangfarbe an einem Ort hat, könnte man quasi einen Hotspot für die Wiener Musikszene schaffen", erwägt Vitus Weh. Es funktioniere meistens gut, zusammenhängende Bereiche auch zusammen zu lokalisieren.
Mehr zum Schauplatz Gasometer heute in FM4-Connected und in der Homebase.
Angeblich ist Schaller schon in Verhandlung mit musikaffinen Partnern. Welche es sind, will er noch nicht verraten. Gerüchte kreisen um einen weiteren DJ-Shop und ein Betrieb für LED-Lichtsysteme ist schon eingezogen.
Ein fundamentaler Imagewechsel wird aber Zeit brauchen.