Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Story of a prince"

Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

24. 5. 2010 - 20:58

Story of a prince

Vom Bettler zum Helden. Vom Ein-Mann-Game nach Hollywood. "Prince of Persia" erlebt die Geschichte, die es erzählt, selbst.

Es ist so eine Sache mit dem Tagebuch schreiben. Eine gute Balance zwischen der Dokumentation des eigenen Lebens und dem tatsächlichen Erleben und Erfahren ist nicht immer leicht aufrecht zu erhalten. Die wichtigste Regel: Bloß nicht jeden Tag einen Eintrag machen. Jordan Mechner scheint für sich einen guten Rhythmus gefunden zu haben - immerhin bloggt er schon seit Mitte der 1980er Jahre.

April 1, 1987
"In the past three weeks I’ve put in the equivalent of maybe one full eight-hour day on Baghdad. I’m starting to feel guilty about it. My reluctance to actually sit down in the new office and work on the damn game is so strong, I’ve been procrastinating by doing everything else under the sun I’ve been putting off since 1986. Even my taxes."

Zu diesem Zeitpunkt hat Mechner bereits ein Computerspiel in seinem Portfolio. "Karateka", 1984 veröffentlicht, hat besonderen Wert auf hübsche Grafik und flüssige Animationen gelegt. Tugenden, die zu dieser Zeit nicht nur ungewöhnlich, sondern technisch höchst herausfordernd bis unmöglich sind. Für "Baghdad", so der Arbeitstitel jenes Spiels, das 1989 als "Prince of Persia" veröffentlicht werden sollte, schaltet Jordan Mechner nochmal zwei Gänge nach oben. Er kauft und borgt sich Camcorder und filmt seinen Bruder David mehrfach beim Klettern, Laufen und Springen. So wird die Grundlage für die Bewegung der Spielfigur geschaffen.




Doch der Weg zum fertigen Spiel ist noch weit und steinig. Mechners Perfektionismus in Präsentation und Game Design bringt ihn selbst oft an den Rand der Verzweiflung. Die Geldgeber vom Vertrieb beäugen den Fortschritt ihres jungen Spieleentwicklers streng. Es wird ein Kampf um Vertrauen und Zuversicht, doch der hohe Wert der Produktion ist immer ein bisschen stärker als die aufkeimenden Unsicherheiten.

November 17, 1988
"Ann and Sophie, who hadn’t seen it before, gasped over the animation. Gene grudgingly admitted it might be pretty good, 'if it ever becomes a game.' [...] I’ve got to learn to get more pumped up for these things. I was so blasé, I really brought the energy down in the room. I think they’d have been more excited if I hadn’t been there to demo it."

Bildschirmfoto vom Apple II aus dem Computerspiel "Prince of Persia" aus dem Jahr 1989.

Broderbund / Jordan Mechner

Knapp ein Jahr später, am 3. Oktober 1989, erscheint "Prince of Persia" endlich, zunächst nur für den damals bereits hoffnungslos veralteten Apple II. Aber auch das kann den Siegeszug des Lebenswerks des damals gerade mal 25-Jährigen nichts anhaben. Das interaktive Märchen um den Habenichts, der sich durch finstere Verliese mit lethalen Fallen ins Gemach und Herz der Prinzessin vorkämpft, wird bald für alle nur erdenklichen Computer- und Spielkonsolensysteme umgesetzt. Das Game bleibt so über Jahre hinweg relevant und erlebt neben technischen Änderungen auch diverse Adaptionen in Bezug auf das Level Design. So hat Jordan Mechner bis ins Jahr 1994 Zeit, an einem Nachfolger zu basteln, dem nach der Veröffentlichung schnell eine ähnliche Euphorie zuteil wird.

Zeit des Sandes

Mitte der 1990er Jahre gesteht sich Jordan Mechner ein, dass er lieber Schreiber und Geschichtenerzähler als Game Designer ist. Auch das Wort screen writer, also Drehbuchautor, kommt bereits in frühen Tagebucheinträgen vor. "Prince of Persia" hat für ihn vorübergehend ausgedient. 1999 wird unter Mechners Absenz der dritte, erstmals in 3D entwickelte Teil veröffentlicht und stellt sich bald als Flop heraus.

Als der französische Games-Riese Ubisoft zwei Jahre später die Marke wiederbeleben will, ist an eine Verfilmung des arabischen Computerspielmärchens nicht ansatzweise zu denken. Mechner scheint zu dieser Zeit planlos. Videospiele machen will er keine mehr und fürs Drehbuchschreiben fehlen Aufträge und Vorzeigeprojekte. Er wird zunächst nur als Berater ins Team von Ubisoft geholt, lebt sich dort aber schnell ein und wird zu einem Vollzeitmitglied.

2003 erscheint "Prince of Persia: The Sands of Time", der erste Teil einer Trilogie, der jubilierend aufgenommen wird. Ähnlich der Wirkung eines Shigeru Miyamoto hat Jordan Mechners kreative Kraft und das Wissen über gutes Game-Design eine magische Wirkung auf das Endergebnis. Das Spiel präsentiert das innovative Prinzip des individuell steuerbaren Zeitzurückdrehens. Es ist eine schlaue Antwort auf den herkömmlichen Bildschirmtod, auf das ewig endgültige Game Over einer Spielesession. Turning back time wird ab sofort nicht mehr nur mit Marty McFly und Doc Brown in Verbindung gebracht.




"The Sands of Time" schafft den Wechsel in die moderne, dreidimensionale Videospielära. Die immer schon vorhandenen Tugenden der Serie werden durch die aufwändige 3D-Präsentation erstmals manifest: die akrobatischen Bewegungen des Protagonisten und die Eroberung der Architektur. Archaische, mysteriöse Gebäude wie alte Ruinen, verwunschene Paläste, verfallene Tempel und tiefe Dungeons sind ein wesentlicher Bestandteil des Spieles und der Spielmechanik. Die Gestaltung des Raums bekommt hier einen ebenso großen Stellenwert wie in einem First Person Shooter - mit dem Unterschied, dass der Prinz dank seiner virtuell-physischen Fähigkeiten den Raum tatsächlich erlebt und ihn nicht bloß als strategische Infrastruktur begreift.

Mechner packt die Gelegenheit beim Schopf. Noch bevor die Entwicklung der weiteren Teile der Spiele-Trilogie beginnt, erstellt er einen "Sands of Time"-Trailer und schickt ihn an Filmstudios.

Erfüllung eines Traums

Nach Abschluss der Sand-Trilogie ist die Zukunft von "Prince of Persia" zunächst ungewiss. 2008 erscheint ein neu konzipiertes Spiel, das hinter den Erwartungen zurückbleibt - unter anderem wegen der Entscheidung, das Game im übertriebenen Maße zugänglich zu gestalten. Sterben wird verunmöglicht, die akrobatischen Bewegungen fordern keine Leistung vom Spieler. Statt Spannung herrscht ein Gefühl der Belanglosigkeit vor. Auch dieses Mal ist Jordan Mechner nicht im Team mit dabei, denn der erfüllt sich während dieser Zeit bereits seinen Jugendtraum. Er ist gerade als Drehbuchautor und Produzent von "Prince of Persia", dem Film, im Einsatz.

Filmstill aus "Prince of Persia: The Motion Picture".

Disney

Wie bei der Entwicklung seiner Computerspiele gibt sich Mechner nun erst recht nicht nicht mit halben Sachen zufrieden. Die Verfilmung seiner arabischen Aufstiegsgeschichte soll kein trashiger Action-Streifen à la Uwe Boll werden, ebenso wenig wie ein halbherziges B-Movie mit wenig Budget und fehlendem Glanz. Stattdessen werden Jerry Bruckheimer und der Disney-Konzern von der Idee überzeugt, ein "Pirates of the Caribbean" für den antiken Orient zu produzieren. Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal (Prinz) schwitzen gemeinsam mit Ben Kingsley (Prinzens Onkel) und Gemma Arterton (Prinzessin vom Königreich nebenan) bei den Dreharbeiten in Marokko um die Wette.

Das Endergebnis ist eine Offenbarung für Gamer und Fans der Spieleserie. Das Wissen, dass ein ehemals kleines, unbekanntes Spieleprojekt von der Westküste 25 Jahre später Hollywood inspiriert, macht einen insgeheim ein bisschen stolz, denn man wusste es ja schon immer. Der Prinz springt und schwingt wie ihm geheißen auf und über Häuser, Marktplätze und Paläste, macht eine herausragende Figur im Schwertkampf und hat, der eigenen Herkunft von der Straße sei Dank, neben einer großen Portion Tapferkeit natürlich auch ein gutes Herz.

Schaler Sand

Cover zu "Prince of Persia: The Graphic Novel".

First Second / Jordan Mechner

Wenn der dagger of time zum ersten Mal die Zeit zurückdreht, ist die Begeisterung noch immer vorhanden. Doch irgendwann wird die konventionell abgespulte Fantasy-Geschichte auch für wissende SpielerInnen schal und belanglos. Leider kann die uninspirierte Erzählung nicht durch interaktive Erlebnisse aus der Mittelmäßigkeit gehoben werden, denn Gameplay gibt es hier eben keines.

Paradoxerweise reagiert die Spieleserie, die weiterhin von Ubisoft entwickelt wird, bloß auf das verfilmte Game anstatt eigenständige Akzente zu setzen - und nur das wäre der Serie gerade in so einer Situation würdig gewesen. "Prince of Persia" geht als Videospiel zurück zur Zeitsand-Ära und lässt mit "The Forgotten Sands" ein über fünf Jahre altes Spiel wieder aufleben, das von Beginn an zu familiär wirkt. Auch hier stimmt die Qualität der Produktion, doch aufgrund fehlender Innovation sowohl von spielerischer als auch narrativer Seite kann man dem Titel bloß eine solide Performance konstatieren. Ohne den Film als Anlass würde das Game weitaus schlechter rezipiert werden.

"Prince of Persia: The Forgotten Sands" ist bereits für PS3, Wii, Xbox 360, Nintendo DS und PlayStation Portable erschienen. Die Windows-Version folgt Anfang Juni.

Es gibt wenig Indizien, die darauf hindeuten, dass "Prince of Persia" den Höhepunkt seines Glanzes nicht schon längst überschritten hat. Immerhin gibt es innerhalb der Serie noch einen weiteren Medienwechsel zu bekunden, der vielleicht für neuen Aufwind sorgt: Jordan Mechner hat sich mit dem Schreiben von Comics nämlich einen weiteren Jugendtraum verwirklicht. Das inspiriert nun sogar seine Tagebucheinträge.