Erstellt am: 22. 5. 2010 - 19:31 Uhr
Our Band Could Be Your Life
Endlich kann man so richtig leibhaftig verstehen, warum die Menschen nach all den Jahren, Jahrzehnten immer noch aufs Rolling-Stones-Konzert nach Wiener Neustadt fahren. Die Erweckung eines Kollektiv-Gefühls, die Wiedererlebung einer als immer besser als heute durchs Hirn spukenden Jugend. Doofe Sentimentalitäten, die man als 17-Jähriger im blau-roten Ski-Anorak den alten Männern in den Schlangenlederhosen zwar nachsehen wollte, sich selbst aber niemals ins Leben lassen hat wollen. Für immer Punk, für immer jung. Ein alter Hut, das Wichtigste ist nicht selten allein die Tatsache, dass man selbst auch dabei gewesen ist bei der Huldigung der gemeinsamen Sonnengottheiten von damals und ganz früher. Ein Konzert der nach zehn Jahren aus der Bandabstinenz zurückgekehrten Gruppe Pavement aber ist mehr als die Abholung der guten alten Dosis geborgter Nostalgie aus den nur vage in Erinnerung behaltenen 90ern, Pavement waren die beste und wichtigste Band dieses sonst eher trüben Jahrzehnts. Eine Band, die man auch heute noch als junger, junger Mensch komplett für sich begreifen kann. Auch, wenn man absolut gar keinen Schimmer davon hat, was Sänger Stephen Malkmus da gerade jetzt schon wieder zusammengereimt hat.

Alexandra Augustin
Am Freitag hängt eine Wolke der Aufgekratztheit über der Wiener Arena, längst schon ist das Konzert ausverkauft, draußen tobt bescheiden die Kartenmafia. Pavement aus ursprünglich Stockton, Kalifornien, sind wieder da, ohne jeglichen Grund, außer Geld und Lust, es gibt kein neues Album, bloß eine Welttournee, die schon bei deren bloßer Andeutung vor gut einem dreiviertel Jahr Wellen unmöglicher Begeisterung durch die Welt, die da "Indie" im weitesten Sinn heißt, gespült hat: Kurt Cobain ist gar nicht tot, Twix heißt wieder Raider, die Beatles jetzt wieder mit John Lennon, Pavement-Reunion.

Alexandra Augustin
Und die Band Pavement weiß, wer sie ist. Gleich zu Beginn lässt sich Stephen Malkmus mit gereckten Armen ausgiebigst feiern, die Menschen tun es gerne. Wir haben erwachsene Frauen und Männer gröhlen, kreischen und auch ein bisschen weinen gesehen.

Alexandra Augustin
Pavement haben in den 90ern fünf Alben verföffentlich, drei davon eigentlich perfekt, zwei bloß sehr, sehr gut, zwei sind mit Brief und Siegel kanonisierte Klassiker, die prinzipiell - seien wir uns ehrlich - jeder Mensch mit zwei Ohren braucht. Pavement haben definiert, was Indie-Rock bedeutet und bedeuten kann, Schrammelgitarre, Postpunk-Rückgriffe, Antimode und irgendein T-Shirt inklusive, Noise-Pop neben Country-Ballade, komplette Zerschossenheit und Verwirrung in den Stücken, mit Sicherheit vollkommen radiountaugliche Instrumentaljams mitten im Lied und der Generation X liebstes Mittel zur geilen Selbstdarstellung und mittlerweile zur lästigen Überholtheit überspannten Lebenseinstellung, die smartass Ironie - Stephen Malkmus hat sie in seinen Texten mit feinem Garn gesponnen, mit Charme durchsetzt, ertragbar gemacht, perfektioniert.

Alexandra Augustin
"Silence Kit"" von "Crooked Rain, Crooked Rain", dem gemeinhin als bestem geltenden, zweiten Album ist mit seinem langsam sich aufbauenden Intro ein großartiger Opener, über "In The Mouth A Desert" vom Debüt "Slanted & Enchanted" gelangen Pavement in "Stereo", den ersten Überhit im gut 25 Stücke starken Konzert.

Alexandra Augustin
Stephen Malkmus gibt "ironisch" Rockstarposen und schwingt die Gitarre, während Rassel- und Geräuschemann Bob Nastanovich als höflicher Conferencier mit dem Publikum in Kontakt tritt. Drummer Steve West ist zu Recht für seine stage antics bekannt, Bassist Mark Ibold, der freundlich grinsende und auch rockende Ruhepol im Geschehen und Co-Songwriter Scott "Spiral Stairs" weiß, dass er immer auch nur ein bisschen der andere Typ neben Malkmus ist. Auch von den Charakteren her ein perfekt besetztes Bandgefüge. Insgesamt ist das Set stark auf die ersten drei Alben gebaut, wobei vor allem das Debüt "Slanted & Chanted" überraschend eindringlich bemüht wird, das zwar in kaum einer "Best-Of-The-90s"-Liste fehlt und als Blaupause für all things indie gilt, in Europa aber wohl weniger bekannt sein dürfte als die beiden letzten, von frühen Fans ein wenig ungeliebten, weil pop-polierten Alben "Brighten The Corners" und "Terror Twillight". "Terror Twillight" kommt eindeutig zu kurz. Man wird immer ein Lieblingsstück vermissen, aber - hey!, "Major Leagues" nicht zu spielen, das könnte man fast schon als Boshaftigkeit deuten. Bei den ewigen Hits "Range Life", "Gold Soundz", "Stop Breathing" und "Spit On A Stranger" wähnt man sich feuerzeugschwenkend fast in der Aura eines wundervollen Cold-Play-Konzerts, und dann wird wieder eine dieser an allen Ecken und Enden auseinanderfallenden Nummern wie "Fight This Generation" eingeschoben.

Alexandra Augustin
Pavement haben für die aktuelle Tour gut 30 Stücke eingeprobt, verändern jeden Abend die Setlist ein wenig, rütteln durch und stellen um, um das Publikum und sich selbst ein bisschen zu überraschen. Leicht machen es Pavement nicht allen, die nicht ausgwiesene hardcore Pavement-Nerds sind. Aber wir wollten doch nur Hits hören! Das eine oder andere weniger bekannte Stück könnte da durchaus als Länge aufgefasst werden. Aber darum geht es auch bei Pavement. Dass nicht alles zusammenpasst, perfekt aufgeht. Nach dem "Crooked Rain, Crooked Rain" mit relativ chartstauglichen Singles und dem Überhit "Cut Your Hair", der seinerzeit gar die Top Ten geknackt hat, ein moderater kommerzieller Erfolg war, haben Pavement danach natürlich "Wowee Zowee" veröffentlichen müssen. Etwas ganz anderes. "Wowee Zowee", dieser magische Haufen Schrott, alles zusammengewürfelt, Punk-Kracher, Schabernack, Quatsch, Lagerfeuerballade, David Bowie, komplett anstrengend, das "Weiße Album" von Pavement, ihre beste Platte, auch vielen Menschen, so sagt Malkmus, im engeren Freundeskreis der Band, die liebste. Und so hat auch das Konzert nicht die Dramaturgie eines Greatest-Hits-Konzerts, sondern gar keine, und der frühe Hit "Summer Babe", einer der besten Songs von Pavement - der wird ein bisschen unter Wert in den Matsch gespielt. "Cut Your Hair" ist zwar als Abschluss für das Hauptset relativ logisch, und die erste Zugabe mit der Spiral-Stairs-Nummer "Date w/ Ikea" und dem übermächtigen "Here" ebenso großartig, mit dem gleißenden Moment von "Here" hätte man es aber auch schon gut sein lassen können. Pavement aber beenden den Abend lieber mit "Debris Slide", einer - im Pavement-Kosmos - mittelmäßigen Nummer von der EP-Collection "Westing (By Musket And Sextant)", die möglicherweise nicht gar so viele Menschen kennen. Es ist ein verwirrendes, ein wundervolles Leben. Alles glüht, haben wir das jetzt also auch noch erlebt. Pavement, eine never ending Tour. In 20 Jahren dann neben Yo La Tengo, Built To Spill und Sonic Youth beim Lovely Days Festival, die jungen Leute werden mittlerweile in Labors von gentechnisch hochgepimpten Kakerlaken fabrizierte Geräusche als "Musik" bezeichen. Hoffentlich erscheint nie, niemals, nie eine neue Platte von Pavement, unser Tempel soll nicht fallen.