Erstellt am: 20. 5. 2010 - 20:07 Uhr
Einen Streifen Unikat zum Mitnehmen bitte
Die stinknormalen Passfotos - wie langweilig
Rechtzeitig zur diesjährigen Bundespräsidentenwahl lief die Gültigkeit meines Reisepasses ab. Ein gelungener Coup, den ich auf meine tadellose Weitsichtigkeit vor zehn Jahren zurückführen kann. Ich konnte schon immer gut mit Deadlines umgehen. Doch nun habe ich den Salat und muss den Reisepass nachmachen. Klar: Ein neues Passfoto muss her.
Christoph Musik ist Wissenschafts- und Technikforscher und am ÖAW Doc-Team Projekt "Verdaten.Klassifizieren. Archivieren. Identifizierungstechniken zwischen Praxis und Vision" beteiligt. www.identifizierung.org
Im letzten Jahrzehnt hat sich in Sachen Ausweis freilich viel geändert. Seit Juni 2006 gibt es gesetzliche Vorschriften, wie man im Reisepass auszusehen hat. Am 30. März 2009 kamen biometrische Daten, die per Chip in den Umschlag geschweißt werden, hinzu. Der Identifikationsforscher Christoph Musik verweist unter anderem auf den Druck der USA auf de facto alle anderen Staaten, diese neuen Pässe für ihre BürgerInnen zu übernehmen, da sie nach 9/11 "im Grunde niemanden mehr ohne bioemtrischen Reisepass einreisen lassen". Die Verordnung (EG) Nr. 2252 des Europarat vom 13.12.2004 setzt diese Normen für Sicherheitsmerkmale und biometrische Daten auch fest.
Zwar konnte man auch vor zehn Jahren nicht mit Sonnenbrille grimassenschneidend vom Dokument kreischen, trotzdem blieb genug Platz für Individualität. In diesem Fall hieß Individualität: blöd aus der Wäsch' schauen. Verschreckt und überrascht, mit halboffenen Mundwinkeln und bestürzten Augenbrauen - dem Zufall waren keine Grenzen gesetzt. Heute jedoch gibt es besagte Richtlinien. Ein Do's & Don'ts von oberster Stelle. Der Staat akzeptiert nur noch Konterfei mit Gütesiegel akkredierter FotografInnen.
passbildkriterien.at
Nun ging ich also zu einer Filiale einer großen Elektrowarenkette, sicher ist sicher. Oder einfach ist einfach. Der Verkäufer war ein junger Mann ohne Schnörksel und einführendes, erklärendes Gefasel. "Ich brauche ein Passfoto“. „Kommen Sie mit". Ca. 3 Minuten später sagte er: "Gehen Sie wieder weg". Also sinngemäßt halt. Das Foto sieht dementsprechend kühl und verbrecherisch aus. Ich möchte es nicht herzeigen.
Analog ist besser
Daniel Eberharter
Tja, früher war alles anders. Es gab schon mal charmantere Passfotos, auch wenn ein Roboter auf den Auslöser drückte. Es waren kleine Kabinen. meistens in Bahnhofsnähe, die vier Bilder des (oder mehreren) Insassen machten und diese in hochkantigen Zellulosefilmstreifen nach einer Wartezeit von ca. vier Minuten ausspuckten. Diese wurden dann an BrieffreundInnen in alle Welt geschickt, erfreuten als Souvenir einer Reise noch Jahre später, oder dienten ganz einfach als Momentaufnahme.
Von 0 auf 2
Mit dem Einzug der digitalen Fotografie verschwanden diese Fotoautomaten sukzessive aus den Städten. Der letzte mir bekannte reguläre analoge Automat in Wien verschwand etwa um die Jahrtausendwende aus dem Kassabereich einer Großhandelskette an der Mariahilferstraße. So long.
Doch wie beim Vinyl und dem MP3 verhält es sich auch mit dem Film und dem JPG. Das originale, das echte, ist nicht totzukriegen. Auch ist es auf einen gewissen Hipsterchic zurückzuführen, dass der ästhetische Charme von Kerouac über Warhol bis zu Sonic Youth immerwährende Anerkennung genießt.
Und noch ein Tipp: Am 16.06.2010 gibt es im Rahmen des 10Festivals for Fashion and Photography eine Ausstellung mit Arbeiten, die nur mit dem Passfotoautomaten in der Pratersauna entstanden. Mehr Infos zu Photomaton gibt es hier.
Schlossers Automaten haben übrigens ebenfalls eine Website: www.fotoautomatwien.com.
Georg Schlosser ist Fotograf und ist dafür verantwortlich, dass es Österreich wieder analoge Fotoautomaten gibt. Sogar gleich zwei, um genau zu sein: Den ersten stellte er in der Pratersauna auf. Sein ursprüngliches Zuhause war ein Einkaufszentrum (mall heißt das dort) in Neufundland.
Ein Unikat für 2 Euro
Der zweite von Schlossers Automaten steht im Museumsquartier, in geschützter Atmosphäre im Eingangsbereich eines Fotografie-Shops bei der Kunsthalle. Georg Schlosser hat im Zuge der Fotografenausbildung vor Jahren mit dem Schwarz-Weiß-Verfahren begonnen und hat große Freude daran, sich wieder mit dem Entwickeln, der Chemie und dem Film auseinanderzusetzen. Für ihn ist es vor allem interessant, dass es sich bei den Streifen um echte Unikate handelt; es entstehen keine Negative.
Daniel Eberharter
Die Qualität der Streifen ist auf eine Vielzahl an Faktoren zurück zu führen, so Schlosser. Im Photomaton (so der generische Ausdruck dafür in Frankreich) sind insgesamt 12 Bäder für die Entwicklung der Streifen zuständig, vier davon mit Chemie, also Entwickler und Fixierer. Die Temperatur spielt mit, sowohl jene der Bäder als auch des Automaten selber. Man sollte ihm Zeit zum Aufwärmen geben. Schlosser und seine Kollegen kümmern sich übrigens selber um die Kontrolle der Automaten. Auch die Blende musste immer wieder justiert werden, bis das bestmögliche Resultat im Streifen erreicht wurde. Andere Standorte gibt es in Österreich noch nicht – noch.
Die Vernissage des ganz neuen Automaten
Doch bis dahin gibt es eben noch einen zweiten Fotoautomaten in unmittelbarer Nähe. Eine Berliner Vertriebsfirma hat ihn nach Wien geschickt; er steht ebenfalls im Museumsquartier, gleich beim ersten Tor an der Mariahilferstraße. Das Tolle daran: er steht im Freien und kann somit zu jeder Zeit benutzt werden. Nach der Arbeit, vor der Schule - oder umgekehrt. Auch um 2 Uhr früh. Ihr wisst Bescheid.
Am Freitag, dem 21.05.2010 wird dieser willkommene dritte Automat auch offiziell vorgestellt – eine Vernissage für einen Automaten also. Und das Beste: Ab 19 Uhr ist die Benutzung an diesem Abend sogar gratis.