Erstellt am: 18. 5. 2010 - 18:03 Uhr
Fußball-Journal '10-18.
Siehe auch:
- Fußball-Journal '10-17: Preiswürdig - Awards zum Saisonausklang
- Fußball-Journal '10-16: Ein verlorenes Jahr
- Fußball-Journal '10-14: Bilanz vor Torschluss
Die aktuellen Schlagzeilen sind grauenhaft, beschämend und alarmierend - und, zugegebenermaßen, nicht total repräsentativ für diese Saison.
Trotzdem, sie lauten so:
- Gestrandetes Talent stirbt mit 22.
- Österreichische Trainer im Ausland? Gibt's nicht!
- Leistungsträger ohne Not an die Türkei abgegeben.
- Islands Vulkan spuckt jetzt auch Kicker aus.
Auch super: 100 Jahre St.Pauli. Heute abend mit einem Spaß-Spiel gegen Celtic Glasgow, live auf N3 zu sehen.
Das kann die kleine Freude über die Meister-Anteile von Alaba, Arnautovic, Bahadir, Hoheneder oder Schimpelsberger nicht zudecken, das kann mir den Spaß an Scharner, Ertl, Prutsch, Pichlmann, Prödl, Ivanschitz, Christian Fuchs, Korkmaz, Ibertsberger, Knasmüllner, Harnik, Walch, Djuricin, Rotter, Bubalovic, Markus Berger, Dag, Gspurning, Olejnik und Co nicht verderben - bittere Realität ist es allemal.
Und zeigt die großen Problemzonen überdeutlich auf.
Tot mit 22
Hier die Tribut-Site von Swansea City, Besians aktuellem Verein, ein anschauliches Beispiel von angewandter Fußball-Kultur.
Und da noch die Tribut-Seite des FC Liverpool, Idrizajs Ex-Verein, sowie die dortige News-Meldung.
Und da zum Vergleich die wahrhaft kümmerlichen Alibi-Würdigungen seiner Ex-Vereine LASK und Wacker Innsbruck.
Vor dem Mittwoch-Länderspiel soll es eine Trauerminute geben.
Besian Idrizajs Tod am Samstag war der große Dämpfer in der finalen Euphorie-Phase zwischen Meister/Cup-Entscheidungen national und international.
Weil dieser Herztod eines gestrandeten Supertalents nicht nur schockt, sondern den Finger auch in eine Wunde legt: ob die österreichische Mentalität alle Widerborstigen unbedingt geradebiegen/prügeln muss, wie man's hierzulande seit jeher macht (weil man's nicht besser weiß) und ob die Regel, dass Untertanengeist als Dogma gilt, wirklich so toll ist.
Mittlerweile kratzt Dietmar Constantini (der Mann mit dem besten Gespür für populistische Hakenschläge) gerade die Kurve und lobt Marko Arnautovic, für den er (ebenso wie die gleichgeschaltete Mainstream-Presse) bislang nur Hohn und Verachtung über hatte. Arnautovic ist/war ebenso wie Idrizaj ein Unangepasster, dessen Talent spezifisches Handling benötigt, wo selbstgefälliges Drüberfahren und Glattbürsten nichts bewirkt und nur zerstört.
Constantinis Kippen (bewusst in einem Gespräch mit der Verlautbarungs-Partner Krone lanciert) bedeutet kein Umdenken, sondern ist Ausdruck des Gespürs, dass die öffentliche Meinung sich aktuell mehr Risiko und Frechheit wünscht. Das klingt zwar lässig, aber das ist auch schon der einzige Zweck - Folgen wird's keine geben, Lippenbekenntnisse bringen keine Besserung.
Weshalb die Flucht ins Ausland, wo die Uhren nicht mehr nach der Trainings-Steinzeit gestellt sind, weiter nötig ist.
Weshalb sich auch Idrizaj nicht in der Heimat, sondern in Ellenburg bei Leipzig (beim dortigen FC, der auf seiner Website auch mehr Herzenswärme verströmt als LASK und Wacker zusammen) und dann in Wales bei Swansea (wo der große "goldene" Paolo Sousa das City FC-Team auf Platz 7 der Premiership und somit fast ins Aufstiegs-Playoff für die Premier League führte) für die nächsten Karriereschritte aufbaute.
Was vielleicht ein Fehler war, nach zwei diffusen Zusammenbrüchen, die nicht so recht als Herzattacken (was auch mit der schlechten medizinischen Abteilung in Linz zu tun hat - die wurde ja erst nach diesem Vorfall aufgebaut) konstatiert werden konnten, aber da steht uns, finde ich, kein Urteil zu - wer Fußballspielen will, der soll es tun. Und die bestmögliche Unterstützung bekommen. Am besten zu Lebzeiten.
Österreichische Trainer im Ausland? Fehlanzeige.
Co-Trainer/Betreuer sind Rene Pauritsch in Liechtenstein (U21), Marinko Koljanin in Rijeka, Günther Gorenzel-Simonitsch bei Rubin Kazan. Jugend-Coaches sind Harald Cerny bei Bayern und Michael Kopf als Chef der "Préformation" bei GC Zürich.
Dazu kommen noch neuerdings Attila Sekerlioglu als Scout für Bayern München, Reinhold Hintermaier für Nicht-Absteiger Nürnberg, Heinz Schilcher für Ajax und Nik Neururer für Celtic. Und Ausnahme-Globetrotter Alfred Riedl wechselt gerade von Laos (wo er entgegen hiesiger Annahmen "nur" U23-Coach war) nach Indonesien.
Das führt direkt zum nächsten Punkt: nach der Suspendierung von Kurt Garger in der Slowakei, der Entlassung von Ralph Hasenhüttl in Haching und der Abdankung von Josef Hickersberger in Abu Dhabi (Auch Co-Trainer Klaus Schmidt, länger als Kurzzeit-As Klaus Lindenberger mit Hicke in der Wüste bei Al Wahda FC Abu Dhabi, kehrt zurück) gibt es genau keinen einzigen verantwortlichen österreichischen Cheftrainer mehr im Ausland (reine Pass-Österreicher wie Rolf Fringer bei Luzern oder Micha Petrovic bei Sanfrecce in Japan außen vor).
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: außerhalb von Österreich legt kein Mensch wert auf heimische Trainerkost.
Warum wohl?
Weil niemand neugierig auf Weisheiten von vorgestern ist? Weil das Hinterwäldlertum außerhalb von Österreich wenig Strahlkraft hat?
Und: wen wundert's, dass sich die Trainer-Gilde in der Schutzzone der heimischen Liga zunehmend benimmt wie der Gorilla im Zoo? Das ist reines Pfeifen im Walde - schließlich ist den Austro-Coaches eine internationale Karriere verwehrt, als so schwach und nichtig werden sie eingestuft.
Selbst im kleinen Grenzverkehr klappt nichts.
Eric Orie beim FC Vaduz ist zwar viel in Österreich gewesen, er bleibt aber Holländer. Und dass Matjaž Kek, WM-Coach von Slowenien und mit einer GAK-Vergangenheit gesegnet, womöglich auch einen österreichischen Paß hat, hilft auch nicht viel.
Dunajska Streda im ungarisch-österreichisch-slowakischen Grenzgebiet ist das Herz der ungarischen Minderheit in der Slowakei. Abgesehen von den massiven Finanzproblemen des DAC, von denen Heimkehrer wie Richard Wemmer ein Lied (Monate ohne Gehalt) singen können, kommen da auch politische Wirrnisse, die sich nach dem Wahlsieg der ungarischen Proto-Faschisten Jobbik noch verschlimmert haben, hinzu.
Und im Osten ist nach der Pioniertat von Kurt Garger, der sich die extrem mühselige Situation in Dunajska Streda angetan hat, wohl wieder für Jahre tote Hose.
Ob aktuelle Initiativen der Liga das Trainer-Loch im Ausland füllen können, wird noch zu beweisen sein.
Constantini schenkt Türkei Bahadir
Turgay Bahadir ist Österreicher. In Wien aufgewachsen, bei Rapid das Kicken gelernt, dann mit 22 nach Lustenau und später nach Schwanenstadt abgegeben. Auch so ein Unangepasster, den seine jeweiligen Coaches immer glaubten, treten und brechen zu müssen, zuletzt etwa Andreas Heraf.
2003, als Spieler von Austria Lustenau, kam er zu einem U21-Teameinsatz, in einem EM-Quali-Spiel gegen die Tschechen. Danach hatte er kein Leiberl mehr und verließ im Sommer 2007 Österreich in Richtung Türkei, der Heimat der Eltern des Doppelstaatsbürgers.
Von da an ging's bergauf. Zuerst setzt sich Bahadir bei KayseriSpor im oberen Mittelfeld der SüperLig fest, wird ein bekannter Name. Teamchef-Legende Fatih Terim will ihn im Oktober 2008 in den Teamkader berufen, man entdeckt das U21-Spiel, die FIFA sagt nein, Bahadir sagt, das macht nix, er hofft eh auf eine Einberufung aus seiner Heimat. Die er sich in seiner zweiten Saison in Kayseri, allerspätestens aber in dieser Saison bei BursaSpor verdient hätte.
Denn: Bahadir, offensive, versatil einsetzbare Mittelfeldkraft, wird Stammspieler in Bursa, der Millionenstadt südlich von Istanbul, und geleitet BursaSpor zum ersten Meistertitel des Vereins. Das ist überhaupt erst das zweite Mal, dass der Titel nicht nach Istanbul, sondern in die Provinz, noch dazu an eine Mannschaft ohne große Stars geht, eine Sensation also.
Eine Sensation, die die ganze Saison über zumindest abzusehen war.
Dazu Turgay Bahadir im Wortlaut, in einem Sportnet-Interview.
Allerdings hat nicht nur niemand Bahadir einberufen, es hat auch nicht einmal jemand vom ÖFB mit ihm Kontakt aufgenommen. Null, nix, nada. Auch Andreas Heraf, der sich im Nachhinein als großer Förderer ausgab redete nur in Interviews herum, unternahm aber genau nichts.
Jetzt hat ein richtiger Coach, Guus Hiddink, ja, der große Guus Hiddink, Terims Nachfolger als Nationalcoach, Turgay Bahadir in seinen Kader für eine USA-Tournee berufen, mit drei anderen Bursa-Spielern. Weil die FIFA-Bestimmungen zwischenzeitlich geändert wurden und das eine U21-Spiel wurscht ist.
Apropos U21 - die aktuelle Österreichische testet heute in Parndorf gegen Wales für die im Herbst anstehende EM-Quali.
Coach Andreas Herzog setzt dabei ein paar neue Leute ein: Jürgen Prutsch von Livorno, Heinz Lindner von der Austria, Dani Alar vom KSV, Markus Hammerer von Ried, Lukas Kragl (ja, der) vom LASK oder Leo Kaufmann von Kärnten.
Nun brauche ich nicht das obige Kapitel über Ö-Trainer im Ausland zu kennen um zu wissen, dass der gezielte Innenblick von Terim und die gezielte Außensicht von Hiddink die gemeinsame Selektions-Kompetenz von Constantini und seinem Team um das etwa hundertfache übersteigen.
Das ist wohl klar.
Wie der ÖFB es aber zulassen konnte, dass die Türkei, in der ab Oktober anstehenden EM-Qualifikation einer der Gegner Österreichs, ihm einen Spieler unter der Nase wegschnappt, erklärt die leidige Ignoranz und Beobachtungsfaulheit der ÖFB-Trainer nur unzureichend.
Selbst wenn nämlich Bahadir allen komplett wurscht sein sollte: eine rein strategische Einberufung und ein Kurzeinsatz hätten genügt, um ihn dem Gegner wegzuschnappen. Constantini und Co sind ja sonst beim Verarschen ihrer Spieler (einberufen und dann schmoren lassen) auch nicht so zimperlich.
Aber selbst für diese ganz einfache taktische Lektion, dieses Anfänger-Kapitel im Strategie-Handbuch, ist der ÖFB zu lahm.
Nicht nur, dass sie ein seit Jahren schimmerndes Juwel nicht erkennen, auch wenn man sie von vielen Seiten mit der Nase drauf hinweist - sie lassen auch noch zu, dass es ein Bewerbsgegner einkassiert.
Islands Vulkan spuckt Kastner aus!
Weil viele ja glauben, Fußball wäre ein Terrain, das nicht mit der wirklichen Welt in Kontakt stünde - hier kommt ein schönes Gegenbeispiel.
Euro-Bummler Daniel Kastner, zuletzt bei Liepajas Metalurgs Meister in Lettland, hatte sich eigentlich schon mit dem isländischen Verein UMF Grindavik geeinigt und hätte bei der eben losgestarteten Meisterschaft der 1. Deild (jetzt Pepsideild) mitkicken sollen.
Es scheiterte nicht an vulkanischen Aschewolken oder björkischem Elfenzauber, sondern an den wirtschaftlichen Gegebenheiten: weil die Isländer ja durchgängig pleite sind, wollte man Kastner in Kronen bezahlen, wo eigentlich harte Dollar ausgemacht waren.
Nun ist das für Menschen auf der Insel kein Problem - der Wert der isländischen Krone ist jedoch aktuell nicht gerade exportfähig. Was Kastner dann von einer weiteren exotischen Station abhielt und ihn ins heimatliche Salzburg schielen lässt.
Kein Wunder, dass Island jetzt doch ganz gerne bei der EU und in der Euro-Zone wäre, nicht jetzt einzig um Daniel Kastner zu halten, aber so insgesamt und überhaupt.