Erstellt am: 15. 5. 2010 - 18:04 Uhr
Die Mächte der Finsternis
- springten: 12.-15. Mai 2010, Graz
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Freitag ist gewohnheitsmäßig der beste Tag. Auch Tag Drei beim Grazer Springfestival stellt sich als einzige Verkettung optischer und akustischer Sensationen dar, mit einer Pinzette stehen wir vor einem Meer an Möglichkeiten. Wenn man wollte, könnte man den ganzen Abend, die Nacht und den Morgen einzig und allein in der "Melt! Klub" genannten Extravaganz verbringen, die da im Orpheum stattfindet. Schon sehr früh ist es gut gefüllt, das österreichische Duo Fiago bringt auch schon um Viertel vor Zehn Menschen zum Tanzen. Die wunderbare neue Band Baby Monster lässt das Publikum zunächst noch etwas ratlos im Raum stehen. Die zwei Herren aus Portland, Oregon basteln aus Elektronik, Gitarre und Gesang schimmernde Zaubermelodien für all jene Menschen, die den in Sirup getauchten Überpop des ersten MGMT-Albums heute so schmerzlich vermissen, und pimpen diese dann mit der den Flaming Lips eigenen Psychedelik. "She Comes Alive" ist ein Hit, ebenso "Ultra Violence And Beethoven": Auch wenn sie mit technischen Problemen zu kämpfen haben - wenn Baby Monster nicht demnächst relativ groß werden, dann müssen wir eben weiterhin "Congratulations" hören.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Und gut geht das Programm im Orpheum weiter: Zoot Woman, die Erfinder des 80er-Revivals, hätte man noch erleben können, die bookingtechnisch zwar sicher nicht die Speerspitze der Weltrevolution darstellen, aber eine feine Band, der man nicht allzu böse sein kann - das sind sie schon. Oder die sehr gute Band Slagsmålsklubben.
Kollege Robert Glashüttner hat sie gesehen und war begeistert:
"Es hätte keine bessere Brechung der schick-noblen Brit-Disco von Stuart Price geben können als sechs wahnsinnige Schweden, die auf ihrem Synthesizer-Park schrauben und hin und wieder schmackhaft auf die Hihat hauen. Die Unmittelbarkeit, mit der Slagsmålsklubben mit ihren pluckernden Melodieläufen, elastischen Bässen, 8-Bit-Sounds, digitalen Flächen und flirrenden Percussions innerhalb von Minuten das Grazer Orpheum in ein euphorisches, akustisches Videospiel-Wunderland verwandeln, ist magisch. Wie beim Tischtennis-Ringerlspielen wechseln die sechs Knöpfchendreher regelmäßig ihre Plätze und improvisieren mit maximaler Abwechslung ihre Tracks komplett live. Das Gejamme lockert den Grundsound der Band auf verblüffende Weise auf. In den besten Momenten glaubt man, Brian Eno ist aus der 70er-Zeitblase auf einen Sprung zu uns herüber gewunken worden und Dave Brubeck stehe hinter der Bühne und beobachtet zufrieden seine höchstpersönlich zusammengestellte Instrumentierung. Hier haben wir eine große Band vor uns, bei der gelebte Popmusikgeschichte und Computersubkultur nahtlos ineinander übergehen. Wen wundert’s, wenn die Mitglieder in drei unterschiedlichen Städten leben, ursprünglich eine Prog-Rock-Band waren und in Nebenprojekten die Chipmusik-Szene rocken? 'We rock, man, we rock!', sagt der glatzköpfige Narr ironisch-gebrochen in der Zwischenansage, obwohl man solche Witze vor allem in Schweden nicht machen dürfe, wie wir gleich anschließend erfahren. Der größte Coup kommt kurz vor Schluss, als der virale Videoportal-Hit 'Sponsored by Destiny' bei kreischender Euphorie seitens der Publikums abgefeiert wird. Es gibt nichts Schöneres als den Moment, wenn der Harmoniewechsel im Refrain das Glücksgefühl für kurze Zeit in unendliche Weiten schubst."
Philipp L'heritier
Bei der La Boum Deluxe Party im FM4 Depot haben sich derweil zwei Drittel des Münchner Spezialeinsatzkommandos Schlachthofbronx zum Plattenverlegen angesagt, sie werden später - viel später - noch das Orpheum zerlegen. Im Dom im Berg warten unterdessen zwei am Rande der menschlichen Fassbarkeit flackernde Höhepunkte des gesamten Wochenendes. Dass Pantha Du Prince ein ganz ein Großartiger ist, das hat sich mittlerweile hoffentlich auch in der hintersten staubigen Ecke herumgesprochen. Mit "Black Noise" hat der romantische Prinz der Finsternis ein Album des Jahres aufgenommen, der Vorgänger "This Bliss" war eigentlich noch besser, ein Jahrhundertalbum. Über die Live-Qualitäten von Hendrik Weber war bislang Zweifelhaftes und Widersprüchliches zu hören und erfahren gewesen, am Freitag sind alle bangen Gefühle verblasen. Im glockenklingenden Eiskristall-Techno von Pantha Du Prince begegnen sich U- und E-Musik. Unter dreihundert Schichten Geröll begräbt der Großkünstler die klarsten Melodien und bezauberndsten Bässe.
Obwohl man im Dom zumeist eher unsubtil bis zum Anschlag geschraubte Haudrauf-Elektronik gewohnt ist, kann Pantha Du Prince mit seiner vergleichsweise unknalligen Musik die Menschen bewegen. Auf alle jegliche Sinne, die Gefühle und die Motorik gleichzeitig liebkosende Arten und Weisen. Und "Saturn Strobe", der Hit für jeden melancholischen Tänzer, wird auch in hundert Jahren noch Eiswasser und Feuer durch die Wirbelsäule schicken. Dass es bei den Übergängen da und dort ein wenig rumpelt, kann der geisterhaften Brillanz dieser Musik nichts anhaben. Raven mit Hochkultur, was soll jetzt noch kommen?
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Nicht erschrecken: Was kommt, ist Drums Of Death, und man muss es gleich vorwegschicken: Die Großartigkeit seines Konzerts spielt sich an der Grenze zur Geisteskrankheit ab. Der schottische Musiker Colin Bailey ist mit einem dunklen Voodoo-Fluch belegt, sein Herz hat man herausgeschnitten und ihm stattdessen eine kaputte Drummachine eingesetzt. Drums Of Death ist so ziemlich die beste Ein-Mann-Entertainment-Show, die man erleben kann. Nach dem wunderbaren Streicher-Intro des Kronos Quartetts aus Darren Aronofskys "Requiem For A Dream" öffnet der Musiker mit der Halloween-Schminke im Gesicht die Pforten in ein flammendes Inferno, alle, alle, alle werden wir in der Hölle brennen! Wir wissen es: Die Hölle, das ist der Dom.
Philipp L'heritier
Drums Of Death verschweißt Maximal-Rave, Baller-Elektronik, Dubstep und schon auch mal Metal-Gitarren und Eurodance-Anleihen zur wirrsten und irrsten Party-Mischung. Der Mann singt, croont Glenn Danzig aus der Seele und geht ins Publikum. Stillstehen, what? "Let's Go!!!" ist der Lieblingssatz von Drums Of Death, genauso klingt die Musik. Gegen Ende wird ein Remix/Cover von Hot Chips "One Life Stand" entfacht und eine neue, gemeinsam mit Pianoking Gonzales geschriebene Nummer im Wortsinne in die Menge getragen. Das Debüt-Album von Drums Of Death erscheint demnächt auf Greco-Roman, dem Label, das von Hot Chips Joe Goddard mitbetrieben wird. Beängstigend. Dagegen kann Superstar-DJ Erol Alkan, der Erfinder des Trash Clubs und vermutlich auch von Nu Rave und Indie-Disco überhaupt, der quasi fünf Sekunden vor seinem Auftritt in den Dom eingeflogen wird, mit einem uninspiriert bolzenden Set nur verlieren.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Alternativen? Drums Of Death. Der hat sich komplett in Schweiß und verlaufener Schminke im FM4 Depot eingefunden und spielt zum Beispiel "Hyph Mngo" von Joy Orbison. Immer sehr gut. Man soll seine Lippen formen und es sagen: Drums Of Death. Was den Party-Faktor anbelangt, sind auch Schlachthofbronx die Könige. Zwei der eigentlich drei Münchner, erschüttern mit ihrem Munich Bass, ihrem Gebräu aus Booty Bass, Elektro und Baile Funk, irreversibel das Orpheum. Mikrofon-Durchsagen, Sirenen, Fanfaren und das Anteasen von "Kabinen-Party" inklusive. Hü-hott und Hauruck, das Ende naht. Es soll Menschen geben, die DANACH noch zur Flex Records Night in der Postgarage gehen wollen. Hier schweigt die Geschichtsschreibung.
Heute: G-Stone, Erobique live bei Davidecks im FM4 Depot, Radauelektronik von - wait for it - Ed Banger, Minimalismus mit Gaiser.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier