Erstellt am: 17. 5. 2010 - 07:45 Uhr
Nur fast der neue Sonntag
- springten: 12.-15. Mai 2010, Graz
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Der Freitag ist gewohnheitsmäßig der beste Tag. Wie schon im vergangenen Jahr kann der Samstag beim Springfestival nicht mehr gar so kribbelig machen im Vergleich mit dem Programm der Vortage. Freitag war dauernde Geschmacksexplosion an allen Nervenenden, Samstag ist in Watte gehüllte Bescheidenheit, nahezu schon Gedenktag an eine bessere Vergangenheit, und ein halbes Auge lugt schon auf die Abreise. Freilich ist das Programm auch am Samstag wieder dick und dicht, besonders herausragende oder halbwegs spektakulär gebuchte Acts wird man aber nur wenige finden. Solide Tanzarbeit ist angesagt an diesem Tage, und, obwohl ein naßer Wind durch die Gassen geht, ist die Nacht voll mit feierlustigen Menschen. Mitunter zu voll, wie man von nicht wenigen Seiten zugetragen bekommt. Die Warteschlange vor dem Dom im Berg gehört schon zum Stadtbild, am Samstag aber ist auch in anderen Clubs - insofern man nicht durch windige Machenschaften ("Wir Nennen Es Arbeit") in den Besitz eines speziellen Spezial-Passes gekommen ist - teilweise kein Reinkommen mehr möglich. Auch wenn anderswo auf der Welt mitunter ewiges Anstehen und dann Draußenbleibenmüssen vor Clubs zum Tagesprogramm gehören, wird sich die Festivalleitung hinsichtlich der Türpolitik eventuell etwas überlegen müssen, um nicht weiter Sympathie-Punkte zu verspielen - nicht zuletzt ist die Möglichkeit zum vergleichsweise raschen freien Flottieren zwischen den Spielstätten einer der großen Reize des Springfestivals.
Philipp L'heritier
In den also vollen Dom hat man das aus den drei Labels Kitsuné/Ed Banger/Boys Noize relativ unspannend geschnürte Sicherheitspaket gebucht, das in der einen oder anderen Variation seit gefühlten fünf Jahren jede Party rockt. Die gute alte Distortion-Orgie und fette Bratz-Elektronik, zerstört immer noch jeden Dancefloor. Man will da freilich nicht alles über den Nu-Rave-Kamm scheren, immer wieder tut sich der eine oder andere Act durch subtile Verschiebungen im neonfarbenen Indieballermann-Spektrum hervor. Das englische Duo AutoKratz beispielsweise, auf Platte relativ unspektakulär, geriert sich live als sympathisch zwischen Synthie-Pop und Rockband oszillierende Gruppe, die von Erasure und Yazoo ebenso zehrt wie von Depeche Mode und Joy Divison. Einen Drummer hat man auch mitgebracht, was der Live-Darbietung von im weitesten Sinne elektronischer Musik ja nur selten abträglich ist. Bei AutoKratz geht's nicht nur um Sounds und die Abrufung von Speichelinstinkten im Publikum, sondern auch um Songs.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Auch der aus dem Ed-Banger-Camp eingeflogene Krazy Baldhead entfaltet sein Set überraschend behutsam, und der darauffolgende (hier leider versäumte) Breakbot darf durchaus als Hoffnungsträger für einen jetzt wirklich schon derb überstrapazierten Sound gelten. Hinter all dem Geböllere und Gepolter ist bei dem französischen Produzenten dann doch noch dann und wann Platz für Anflüge von feingliedrigem Kunsthandwerk.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Im FM4 Depot haben sich der junge Grazer Act Favela Gold, der mit seiner One-Man-Show das Publikum schon veritabel gut bei Laune hält, und Spezialgast Erobique für eine Live-Performance eingefunden. Carsten Meyer, der als ein Drittel der Hamburger-Superboygroup International Pony und solo als Erobique, geil verbogene Musik an der Schnittstelle von Soul/Disko/House produziert, ist sichtlich und hörbar schlecht gelaunt. Er hat technische Probleme und teilt seine Weltsicht übers Mikrofon auch gerne dem Publikum mit: "Für Euch Hipster-Typen Musik Machen! Alles Scheiße Hier!" Der Party schadet das alles nicht, und wenn das dann doch noch hinhaut mit der Musik, geht ein Glühen durch den Raum. Erobique, großer Entertainer. Währenddessen kann man die Liverauftritte von Popof und dem minimalen M_Nus-Mann Gaiser im ppc versäumen, und darf sich dann mit einem okayen DJ-Set von Herren Martin Gretschmann aka Console aka Acid Pauli auf dem kleinen Floor begnügen. Guter Typ, keine Frage, er hat knackende und knisternde Indietronica miterfunden, als eben Acid Pauli durchaus ganz brauchbare Dance-Tracks produziert - als DJ ist er jetzt nicht unbedingt weltberühmt.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Ein später Höhepunkt findet sich dann doch noch - wenig überraschend - im Orpheum. Das Wiener Label G-Stone feiert mit seiner aktuellen, sehr feinen "16 f###ing Years Compilation" ein unrundes Jubiläum und hauptsächlich mit allem Recht der Welt sich selbst. Das Label, das wie kein anderes - im Guten wie im Schlechten - das Image vom "Sound of Vienna" geprägt hat, ist mit personenstarkem All-Star-Line-Up gelandet, Rodney Hunter, Makossa + Megablast, DSL, Kruder & Dorfmeister und Kollegen kennen auch in gehobenem Alter noch die Funktionsweisen einer sehr, sehr guten Party. Und Kruder & Dorfmeister, die zwei alten Conaisseure, die haben einen Wahnsinn an LED-Licht-Show mitgenommen - DAS, ja das, hat tatsächlich noch kein Mensch gesehen. Das Sequel zu "Tron" ist somit offziell obsolet, Daft Punk, ihr könnt schon mal mal die Pyramide wegpacken!
In der Postgarage kann auf der Party der Wiener Praterauna und des All-Female-DJ-Kollektivs ETEPETETE beispielweise noch zu den Sets von Punks Jump Up oder der Dirt Crew komplett vergessen werden, dass hier morgen Schluss ist. Wenn die Zigaretten ausgegangen sind und niemand mehr weiß, was ein Sonntag ist, dann dürfen die Menschen in den Tag hinausstolpern und trotz einiger Ungereimtheiten, Schwächen und einem fühlbaren Downgrading im Programm wissen, dass sie gerade wieder einmal auf einem der schönsten Festivals Österreichs gewesen sind. Und wenn dann nach vier herrlich verregneten Tagen einige wenige Sekunden die Sonne doch noch ihr Gesicht als wärmender Leuchtstoffball zeigt, dann wollen wir uns eben mal kurz - ganz kurz - vorstellen, wir glaubten an Zeichen.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
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