Erstellt am: 13. 5. 2010 - 16:53 Uhr
Was zäh beginnt, wird eh noch super
Dass eine Marke zum Zwecke der coolen Zielgruppenabschöpfung versucht, sich mit schicken Musikveranstaltungen als am Puls der Zeit zu branden, wird wohl niemand allzu ernsthaft böse finden wollen. Der Electronic-Beats-Reihe gelingt der Imagetransfer trotz des alljährlichen kunststoffartigen Charmes einer Baustoffmesse mit strengen Regeln meist brauchbar gut - nicht zuletzt, weil hier nicht selten nicht gerade kleine Acts aus dem Hut gezaubert werden, die man sonst anderswo vielleicht nicht allzu oft zu sehen bekommt. Die Überführung von freshen Zeichen der Subkultur in den elektronischen Tanz-Mainstream.
(c)T-Mobile/oreste.com
Es hängen graue Wolken über dem traditionellen Eröffnungs-Event auf der Grazer Kasematten. Bei aller Liebe, Freunde!, man muss es sagen dürfen: Das Line-Up beim Electronic Beats ist lau dieses Jahr, sehr. Man weiß nicht, ob Ahnungs- und/oder Ratlosigkeit blind das Programm zusammengewürfelt haben - in den vergangenen Jahren hat man an dieser Stelle beispielsweise The Streets, Roni Size, Gossip, Robyn, Roisin Murphy oder Fever Ray erleben dürfen, heuer gibt's Turboweekend, The Asteroids Galaxy Tour und, ja, okay, Moderat als Headliner. Die dänische Gruppe Turboweekend ist auf Platte relativ unanhörbar, live kann das Quartett bei seinem Auftritt nach den lokalen Openern seiner recht ungelenken Variante von Disco-Rock durchaus einige Momente abringen. Viele Leute sind noch nicht da, getanzt wird aber schon, wenn Turboweekend elastischen Bass, Synthesizer und Drums zu einem bemüht funky Dance-Hybriden verbinden, der in guten Sekunden durchaus ein bisschen an WhoMadeWho erinnern kann, oder in den elektronischen, von Pathos getragenen Augenblicken an frühe OMD. Kurz, sehr kurz. Meist aber meint es die Band zu ernst mit dem Rock, der Sänger bringt in seinem Gesang all das Leiden von Chris Martin und einem schwach hustenden Ville Vallo zum Ausdruck, elektronisch unterfütterter Bombast.
(c)T-Mobile/oreste.com
Die ebenfalls dänische Band The Asteroids Galaxy Tour hingegen ist relativ albern und also wunderbar. Die Band um Sängerin Mette Lindberg und Hauptsongwriter Lars Iversen wird aktuell immer noch vom sogenannten Feist-Phänomen getragen, will heißen, sie hat das Glück gehabt, dass einer ihre Songs in einer Apple-Werbung verbraten worden ist, und ist jetzt angeblich berühmt.
(c)T-Mobile/oreste.com
Die Band spielt fraglichen Song, "Around The Bend", gleich an zweiter Stelle im Set, was natürlich ein guter Move ist. "Around The Bend" ist das beste Stück von The Asteroids Galaxy Tour und schraubt den Stimmungspegel im Publikum gut nach oben. In der Musik von The Asteroids Galaxy Tour werden Soul- und Funk-Rückgriffe im Sinne von Amy Winehouse mit der Konsistenz von grüner Limonade gekoppelt, Easy-Listening-Quatsch und Bubblegum-Pop, B-52's light im Autodrom mit bläserlastigem 60s-Schwulst. Auch wenn der Fun-Faktor von The Asteroids Galaxy Tour einen Tick zu überbelichtet daherkommt, ist die Band - live immerhin - eine sehr, sehr, well, nette Band. Und auch wenn wir nicht gar so streng sein wollen, will man aber in den zuständigen Büros vielleicht dennoch einmal darüber nachdenken, den Namen "Electronic Beats" eventuell zu ändern. Vorschlag: "So Irgendwie Music."
(c)T-Mobile/oreste.com
Moderat sind ein vollkommen herrlicher Headliner und machen der Losung "Electronic Beats" dann - gerade noch - doch noch beste Ehre. Im weiten, weiten Feld der elektronischen Musik, eigentlich im noch weiteren Feld "Musik überhaupt" kann man momentan wenig schönere Live-Shows als die von Moderat erleben. Was nicht zuletzt an den immer wieder verblüffenden Visuals der Pfandfinderei, wo die Ideen nur so im Sekundentakt verjubelt werden, liegen mag. Moderat selbst machen nicht viel, außer Musik. In der Mini-Supergroup Moderat treffen sich die beiden äußeren Pole des Berliner Labels Bpitch Control. Die ständig nervös strampelnde, aus HipHop, Techno und Dubstep zusammenverkabelte Krawall-Elektronik von Modeselektor kracht in das von Shoegazing getragene Emo-Geknister von Apparat. Aus diesen Reibungen entsteht naturgemäß Spannung und die glanzvolle Dämonie von Moderat. Die drei Herren geben hinter ihren blinkenden Pults die beste Kraftwerk-Gedächtnis-Boygroup ever und entwerfen ein Spannungsfeld, in dem Elektro, Pop, Dancehall und Zartcore, Dub und Raschel-Experiment die innigsten Geschwister sind. Sascha Ring alias Apparat spielt da und oder dort dezent Gitarre und singt, die Kasematten ist längst voll und glüht vor dem Gefühl, in diesem Moment wirklich alles komplett begriffen zu haben. Es geht ja doch.
(c)T-Mobile/oreste.com
(c)T-Mobile/oreste.com
Der Grund aber, warum man eigentlich jedes Jahr nach Graz kommt - wenn man nicht schon da ist - ist das pralle Clubangebot des Springfestivals, das Gewusel der Nacht. Das gute Gefühl, immer etwas zu verpassen, in der Postgarage ist Formatik Label Night, im FM4 Festivalhauptquartier im Wiesler Depot müsste man auch noch einmal vorbei und im ppc steht heute Legenden-Watching in der Agenda: Der Berliner Moritz von Oswald hat mit seinem Partner Mark Ernestus als Basic Channel quasi Minimal erfunden, und als Rhythm and Sound Dub-Techno. Im großen Raum des ppc sitzt er hinter seinem Powerbook während MC Tikiman die Rhymes droppt. Mächtige, dickbassige, große Musik, die aber nicht gar so ganz der Party zuarbeiten will. Zur gleichen Zeit im wie immer vor Menschen fast berstenden Dom wissen die Japanese Popstars, die englische Band mit der französisch klingenden Musik, wie man die Feierlaune optimiert. Bratz-, Bolz- und Holzelektronik der Schule Ed Banger. Simpel, stumpf, gut. Hauptsache, es spritzt. Gute Idee auch, dass man Detroit-Legende Theo Parrish auf den kleinen Floor des ppc gebucht hat. Näher dran komm man nicht mehr an den Mann, der ein großartiges, überraschend Funk- und Disco-lastiges Set spielt. So, als ob Grandmaster Flash zum Plattenauflegen zu dir nach Hause ins Billardzimmer kommt. Bloß besser.
FM4
FM4
FM4