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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

12. 5. 2010 - 16:57

Kleine Euphorieschübe

Ein bisschen Vorfreude für Rocker, Raver, Popper und Filmsüchtige.

Das Wetter ist seit geraumer Zeit wie das Leben, zumindest so wie das meiner Wenigkeit, ein ständiges Auf und Ab, eine einzige Achterbahnfahrt. Auf einen strahlenden Ausnahme-Sonnentag folgt Dauerregen, alles ändert sich ständig, es gibt keinerlei Sicherheiten.

Wie dabei als fragiles Menschlein über die Runden kommen, ohne wahlweise zum Nerverl zu mutieren oder zum abgebrühten Schulterzucker? Nun, glücklicherweise bin ich ja ein recht simpel gestrickter Charakter und freue mich über die kleinen Dinge.

Ich meine jetzt nicht so sehr blühende Blumen am Wegesrand oder die spontanen Momente, in denen dich ein Wildfremder anlächelt, beides kommt bei mir im fünfzehnten Bezirk eher selten vor. Aber es gibt neue Musik, neue Filme, neues triviales Popkulturgut, das Energie und Auftrieb verleiht, um wieder in die nächste Achterbahnfahrt einzusteigen.

Einige dieser kleinen persönlichen Euphorieschübe würde ich hier gerne mit euch teilen.

Das tote Wetter rockt wie der Wahnsinn

Weil wir gerade vom Wetter gesprochen haben, dem größten Feind des Erdenbürgers. Jack White hat auf dem kommenden Album seiner Drittband The Dead Weather einen noch schlimmeren Gegner aufgespürt. Das Internet steht wieder einmal im Fadenkreuz des Teilzeit-Waffennarrs aus Detroit.

"Sea Of Cowards" heißt das zweite Album der Allstar-Formation rund um Mr. White, die grandiose Alison Mosshart (wann kommt eine neues The Kills-Album, Madame?) und Mitglieder der Raconteurs. Der See der Feiglinge, sagt der Sänger, das sind die Legionen von Internet-Postern, die sich im Schutz der Anonymität verschanzen und aus ihrem geschützten Eck spotten, gifteln, geifern.

Als jemand, der a) irrationalen Hass á la Jack White schätzt, wenn er künstlerisch funky formuliert ist, der b) radikale Welt- und Gegenwartsverweigerung immer goutiert und c) selber nie auf die Idee käme, sich ein Alias im Netz zuzulegen, mag ich das. Ich hoffe, ihr seid jetzt nicht zu beleidigt da draußen.

Hinzukommt kommt, als nicht unbeträchtlicher Teil, die fantastische Musik. The Dead Weather verpacken ihre Faustwatschen gegen die Posting- und Download-Society in einen erotisch aufgeladenen Referenz-Rock'n'Roll, der von Heavy Blues hin zu RATM bis zu James Brown-Zitaten reicht. Inklusive erstmaligem Synthesizereinsatz und weirden Sounds galore. Ich war kein großer Fan des Debüts, gehöre auch nicht zum Kreis der Jack White-Jünger, aber du liebe Güte, das tote Wetter rockt wie der Wahnsinn.

Die Kristallgötter reisen mit dem Tranceschiff nach Ibiza

Bleiben wir beim Rock, aber eher nur bei der Idee davon. Die Crystal Castles mochte ich ja von Anfang an ziemlich gerne, weil sie das alte Atari Teenage Riot-Konzept vom digitalen Lärmterrorismus lässig aus den 90ern ins Blog-Zeitalter beamten.

Leider versaute mir dann ein Auftritt von Alice Glass und Ethan Kath beim letztjährigen Frequency-Festival ein bisserl den Spaß an der Sache. Die pure Reduktion auf die Pose (und nichts gegen Posen, damit wir uns nicht missverstehen!) hatte live, vor allem bei der jungen Sängerin und ihrer unhörbaren Stimme, nichts Emanzipatorisch-befreiendes mehr. Sondern kam all den sexistischen Kritikern entgegen, die Alice ohnehin nur aufs Äußere herabspielen.

Aber alles vergessen, wenn plötzlich ein Göttersong wie "Celestica" als Vorbote zum neuen Crystal Castles-Album auftaucht. Die Stärke des Duos war ja schon immer ein rücksichtsloses Bekenntnis zu einer schwülstigen Sentimentalität, die zum fixen Bestandteil von Landdiscos und Großraum-Techno-Tempeln gehört.

Ich rede von Sounds und Stimmungen, die den geschätzten Kollegen Einöder eventuell selig grinsen lassen, die in Ibiza für frühmorgendliche Verheerungen sorgen und die David Guetta garantiert auf der Festplatte hat. In einem anderen Kontext - und genialer Pop ist immer bloß Re-Kontextualisierung - nämlich in den Händen zweier ungewaschener, abgezahrter junger Ex-Drogendealer aus Kanada namens Crystal Castles, wird seichter Trance-Pop zur essentiellsten Musik des Augenblicks.

Der lustigste Film der Welt, mindestens

Zurück zum Rock-Rock, der ja genauso wie der Pop-Pop, immer auch etwas traumhaft Lächerliches hat. Merke: Die, die sich immer auf der vorsichtigen, abwägenden Seite des sogenannten guten Geschmacks bewegen, die alles außerhalb von Indie-Folk und der Viennale ignorieren, die verpassen meistens viel.

Russell Brand, in Großbritannien eine Comedy-Institution, weiß das und macht sich deshalb ausgiebig und bei jeder Gelegenheit zum Narren. Herr Brand ist ein Ex-Crackhead-Junkie-Gossenclown, der in seinen Stand Up-Shows die eigene Vergangenheit köstlich verramscht. Er hat damit viel Geld gemacht, eine Affäre mit Courtney Love gehabt und heiratet jetzt Katy Perry, wie die "Gala"-Leser unter euch wissen.

Alles zu Recht, wenn man Russell Bands neuen Film sieht, der uns elitären Kinokritikern vorab gezeigt wurde und im August anläuft. "Get Him To The Greek" wird im Sommer der lustigste Film der Welt sein, soviel ist sicher.

Regisseur Nicholas Stoller inszeniert diese Judd Apatow-Produktion als Spin-Off seines irrsinnig charmanten Erfolgs "Forgetting Sarah Marshall". Ein armer amerikanischer Plattenfirmen-Wastl (der große Jonah Hill) muss auf Druck seines strengen Chefs (die Entdeckung: P. Diddy!) einen britischen Rockstar aus der Versenkung holen.

Drei Tage hat der junge A&R-Manager Zeit, um das singende Drogenwrack aka Russell Brand zu einem Gig ins Greek-Theatre nach LA zu bringen. Es geht um Sex, Drogen und Plüschwände, um Monogamie versus Polygamie, das Ende des Musikbusiness, um Gründe am Leben zu bleiben und den Spirit des Röck'n'Röll. Ich habe durchgelacht und war am Schluß berührt, dieser Film ist so toll, der Trailer deutet das nicht einmal an.

Verletzt, melancholisch, vor Freude heulen

Noch ein paar Bonus-Euphorieschübe gefällig? Zum Beispiel darf man noch über ein Jahr dem nächsten Lars von Trier-Streifen entgegen fiebern. Der gute alte böse Schwede macht Roland Emmerich Konkurrenz und erzählt in "Melancholia" von einem Thema, das uns alle betrifft: das Ende der Welt.

Und jetzt bitte die Besetzung dieses hoffentlich so richtig kulturpessimistischen Arthouse-Katastrophen-Blockbusters auf der Zunge zergehen lassen: Stellan und Alexander Skarsgård, Kirsten Dunst, Charlotte Rampling, Charlotte Gainsbourg, Udo Kier. Die Hauptrolle spielt aber niemand geringerer als Kiefer Sutherland. Jack Bauer in einem Lars von Trier-Schocker, wie spitze ist das denn?

Weniger lang warten muss man auf neue Staffeln von "Californication", "Dexter", "True Blood" und "Mad Men", auch sehr lässig. Schon Ende Mai endet "Lost" und fast alle düsteren Geheimnisse der modernen Welt werden gelöst sein. Spooky.

Zum Abschied noch ein bisschen Pop, der diesem gerade wieder mal vieldiskutierten Begriff endlich gerecht wird. Das Londoner Duo Hurts kommt wie ein gemeinsamer Fiebertraum der Pet Shop Boys und Depeche Mode daher, hüllt sich in edles Tuch und bespielt gerne Kathedralen. Hinter all der Hype-Fassade stecken aber Songs wie "Wonderful Life", in denen Melancholie so mit Pop-Wahnwitz kollidiert, dass es zum Weinen vor Freude ist.

Schöne Euphorieschübe wünsche ich.