Erstellt am: 14. 6. 2010 - 14:35 Uhr
Facebook: Das Problem mit dem Problem?
Um das zu erklären, versuche ich, das Datenschutzproblem in zwei Unterprobleme aufzudröseln.
Zum einen geht es um die kommerzielle, zum anderen quasi um die gesellschaftliche Verwendung der sogenannten persönlichen Daten, die Mitglieder freiwillig, aber nicht immer sonderlich bewusst von sich preisgeben.
Problem 1 ist die Würde des Menschen. Wer eines Menschen Verhalten vorhersagen, es so ausnutzen und damit gegen seinen Willen beeinflussen kann, setzt diesen Menschen in seiner Würde herab. Das ist der ideologische Kritikpunkt etwa an maßgeschneiderter Onlinewerbung, die sich aus dem Surfverhalten eines Menschen ergibt, dem sogenannten behavioral targeting. Facebook wird vorgeworfen, mit der Freizügigkeit, mit der derart relevante Daten erhoben und an (Werbe/nde)Unternehmen weitergeleitet werden, solchen potentiell entwürdigenden Werbeformen Vorschub zu leisten. Wer viel bei Facebook preisgibt, so die Befürchtung, kann manipuliert werden und ist so nicht mehr Souverän seiner/ihrer Entscheidungen.
Problem 2 ist die soziale Kontrolle, die durch die Offenlegung der eigenen Person verschärft werden soll. Wer sich offenbart, macht sich angreifbar, ermöglicht Diskriminierung und - siehe Problem 1 - ermöglicht die Vorhersage von künftigem oder eine Erklärung für vergangenes Verhalten. Vielleicht befürchten einige Kritiker auch, dass sich durch die großmassige Offenlegung und Entblößung nicht etwa eine zunehmende Individualisierung auf der einen, und eine weitreichende gesellschaftliche Integration auf der anderen Seite ergibt - das ist für mich das aufklärerische Potential solcher Netze - sondern vielmehr eine Verflachung und Vermassung. Diese Kritik ist ja bereits Standard für andere Bereiche der Welt, wurde aber explizit, soweit ich weiß, noch nicht auf Phänomene wie Facebook angewandt.
@facebook_knoke
Bei Problem 2 bin ich relativ zuhause, richtig stört mich aber Problem 1 - weil es, meiner Ansicht nach, die Wirkung von Werbung krass über und die Souveränität der Menschen krass unterschätzt. Ohne es belegen zu können - vielleicht ist es ja eine Sache des Menschenbildes? - gehe ich davon aus, dass Menschen viel stabiler sind, als es die Werbetreibenden gerne hätten und die Kritiker gerne befürchten. Und wenn vielleicht viele den Erfolg von Profiling-Firmen wie Zynga (FarmVille, Mafia Wars) bemängeln: für mich sagt das weniger über die Verführbarkeit von Menschen aus, und viel mehr über ihre Langeweile.
Ich gehe gerne soweit, zu sagen, dass nur sehr wenige Menschen durch eine Offenbarung der in den Netzwerken beliebten Daten jemals Schaden nehmen könnten: Was diese Menschen ausmacht, zeigt sich eben nicht in den Filmen, den Bands, den Büchern - also den Produkten, die sie (angeblich) lieben. Wer den Konsum auf ein Ich-Will zurückführt und daraus ein Ich-Bin macht, reduziert den Menschen. Wer so denkt, denkt zynisch, reduziert die vielen Menschen auf Erfüllungsroboter einer wirtschaftlich dominierten Welt (das veraltete Weltbild, dass anstelle einer politischen Spitze eine wirtschaftliche Spitze die Gesellschaft leitet).
Ich glaube viel mehr, dass viele Menschen in sozialen Netzwerken eine gewisse Orientierung suchen: was gesellschaftlich gerade opportun ist, wie sie dazu im Verhältnis stehen (Dissens ist ja erlaubt/gewünscht). Sie
versichern sich so ihres Verhaltens und können darstellen: ich gehöre so und so dazu, ich bin souverän.
Dass diese Oberfläche die einzige Dimension dieser Menschen sein soll, bezweifle ich stark. Ich glaube auch nicht, dass dieser Orientierungswunsch von Werbung missbraucht werden kann. Denn: bei Werbung geht es darum, die Absatzchancen für ein Produkt im Vergleich zu einem anderen Produkt der selben Nische zu verbessern.
Jedenfalls ist für alle traditionellen, "sauberen" Werbeformen keine Normverletzung nötig - aber natürlich möglich, etwa wenn durch ethisch vertretbare, moralisch verachtenswerte Methoden eine Konkurrenz verdrängt wird, wenn unwahre Angaben über die Qualität des Produkts gemacht werden.
Ich weiß: es gibt einen großen Graubereich zwischen Abzocke, Werbelüge (etwa Gesundheitsversprechungen), Betrug und den ganzen ethisch guten, moralisch miesen Formen von unlauterem Wettbewerb. Auch geht es hier nicht um Marketing, also in Wirklichkeit die Beeinflussung von Einkäufern, die Verkaufsflächen ideal füllen wollen - und an die sich vermutlich etwa Fernsehwerbung eher richtet, als an den Käufer. Quasi als Versicherung: dieses Produkt einzukaufen lohnt sich, dafür wird auch ordentlich Werbung gemacht.
@facebook_knoke
Wenn nun aber eine wie auch immer geartete, geschickte Werbung oder ein aktuelles gesellschaftliches Wetter die Menschen dazu bringt, ein Produkt dem anderen vorzuziehen, dann berührt das in meinem Menschenbild nicht die Würde dieser Menschen, da die Produktwahl keine weitere Dimension hat als die Versicherung: ich bin souverän. Und eben auch nicht die Dimension: "ich merke nicht, wie unsouverän ich eigentlich bin, wenn ich Souveränität zeigen will."
Denn die Durchsichtigkeit dieses Zuges ist den Menschen ja bekannt, ihre eigene Argumentation fadenscheinig - weil sie nicht dichter sein muss. Es geht um Entspannung, nicht um Aufregung. Und dass solche zynischen Vorwürfe gerne von einer angeblichen Intelligenzia, von links als verkürzte Kapitalismuskritik, von rechts als Industrieverschwörung gebracht werden, zeigt für mich eher den Profilierungswillen und enthüllt die Selbstlegitimationsversuche dieser Gruppen, die sich damit über das Subjekt ihrer angeblichen menschenfreundlichen Kritik erheben wollen, indem sie (sie!) den Menschen vor dem Menschen schützen.
Das alles schwingt für mich mit, wenn es um die Kritik des Datenschutzes bei Facebook geht. Natürlich steht über all dem noch die Kritik an Facebook, einfach zu sammeln, was zu sammeln ist um irgendwann irgendwas aus dem Datenschatz zu heben - und seien es nur Marketingleute beeindruckende, als spannende Zusammenhänge zusammenfabulierte statistische Artefakte und Pseudoerkenntnisse.
Aber was man auch nicht vergessen darf: Selbst wenn Facebook richtig böse sein sollte (wie gesagt: Cyberkriminalität außen vor gelassen): Sie müssten das ja auch erstmal können. Schaut man sich aktuelle Versuche von zielgerichteter Werbung an, braucht man sich keine Sorgen zu machen. Die sind vor allem: saudoof. Bikiniwerbung zu D-Day-Postings ... (wahrscheinlich funktionieren die eh viel simpler als man denkt, als bessere Verklick-Fallen).
Ich fasse meine Position lieber nochmal zusammen: Menschen sind stabil. Sie sind keine formbare Masse und sie sind nicht ständig gefährdet. Konsum ist keine Verführung, sondern eine gegenseitige Vergewisserung: Wir sind noch da. Werbung ist auch nur so eine Vergewisserung. Die Firmen zeigen sich selbst, den Einzelhandelseinkäufern, den Anzeigenverkäufern: wir sind relevant. Bei Facebook verschmilzt das: Facebook ist die Selbstversicherungsmaschine, die aus sich zieht, was sie antreibt.