Erstellt am: 11. 5. 2010 - 14:59 Uhr
Euro-Angst und Leistungsträger-Mentalität
Die Wertvorstellungen der Leistungsträger-Mentalität erhielten am Wochenende zum wiederholten Mal einen heftigen Schlag. Die gleichen PolitikerInnen, die sich zuvor als Fürsprecher- und VorkämpferInnen dieses Weltbilds inszeniert hatten, stellten die unfassbare Summe von 500 Milliarden zur Verfügung – um schwer verschuldete Staaten abzusichern! Eine unpopulärere Entscheidung ließ sich kaum denken. Wertet man die Foren der Nachrichtenseiten als Indikator, ist die Stimmung eindeutig: Kein gutes Wort findet sich für dieses Paket, ungeachtet aller Bemühungen der Politik, die Sache als „Kampf gegen Spekulation“ und „Sicherung des Euro“ zu verkaufen: Die Leistungsträger-Mentalität sitzt als Selbstverständnis in den Köpfen. Und die ist nun vor den Kopf gestoßen, auf den Kopf gestellt, geköpft …. die Superlativen der Empörung überschlagen sich in einem Überbietungswettbewerb.
Denn: Die Leistungsträger-Mentalität ruht auf der Vorstellung des autonomen Individuums, das auf sich allein gestellt und für sich selbst verantwortlich ist, wie ein Selbstversorger-Bauer auf freiem Land seinen eigenen Acker bewirtschaftet (=arbeitet) und erntet (=verdient), was es gesät (=gearbeitet) hat. In dieser Welt haben alle ihr Schicksal in der eigenen Hand. Wer fleissig ist, hat am Ende viel, und wer nicht so fleissig ist, bleibt arm. Und alle, die in Schwierigkeiten geraten, sind selbst daran schuld. Mit ausreichend Kaltschnäuzigkeit ausgestattet, kann man diese Leute untergehen lassen, ohne dass das Konsequenzen für andere hat.
Grenzen des Leistungsträger-Denkens
flickr
Seit Ausbruch der Krise wird diese Mentalität mit jeder Eskalation aufs Neue damit konfrontiert, dass wir in einer anderen Welt leben: Einer Welt der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit. In dieser Welt ist unser Reichtum und Erfolg nur zum Teil von uns selbst, dafür zu einem großen Teil von anderen abhängig, und von manchen sogar so sehr, dass wir ihr Scheitern unbedingt verhindern müssen, um nicht selbst zu straucheln. Das aktuelle Hilfspaket für hochverschuldete Euro-Mitgliedstaaten ist dafür ein gutes Beispiel, in zwei Dimensionen:
1. Der Banken-Rückschlag
Banken aus Frankreich, Deutschland, Österreich und anderen Staaten haben den nun gefährdeten Staaten in der Vergangenheit Geld geborgt (zu guten Zinsen wohlgemerkt). Tut man nichts, um die Zahlungsfähigkeit dieser Staaten zu sichern, sind die Banken mit hohen Verlusten konfrontiert. Dann würde das Spiel vom Herbst 2008 von neuem beginnen: Heimische SteuerzahlerInnen wären wieder mit dem Dilemma konfrontiert, entweder die Banken zu retten oder eine Bankenkrise mit all den damit verbundenen Risiken (Krediteinschränkung, Teilverlust oder eingeschränkte Verfügbarkeit von Guthaben) zu erleben.
2. Der Export-Rückschlag
Italien und Spanien zählen zu den Top 10 Exportländern der österreichischen Wirtschaft, Griechenland immerhin noch zu den Top 25.
Es wird dorthin mehr exportiert als importiert. Das geht schon seit Jahren so, und für Deutschland ist das gleiche Verhältnis zu diesen Staaten noch viel stärker ausgeprägt. Diese Staaten werden als Abnehmer für heimische Exporte gern gesehen – aber wie sollen sie das finanzieren, wenn sie selbst weniger exportieren können als importieren? Zu dem wachsenden Schuldenstand der Importländer im Süden haben politische Fehler, Korruption, interne Problem und andere „hausgemachte“ Faktoren durchaus ihren Beitrag geleistet, aber ein wichtiger Faktor ist diese „Leistungsbilanzlücke“: Um deutsche, österreichische und andere Waren zu kaufen, wurden Schulden aufgenommen. Um die Konsumfähigkeit abgehängter Konkurrenten für die eigenen Exporte auf Dauer aufrechtzuerhalten, ist es für Überschussländer wie Deutschland (und in seinem Windschatten Österreich) irgendwann notwendig, jahrelang angehäufte Gewinne mit diesen zu teilen, wenigstens in Form von Krediten, oder auch nur Garantieerklärungen für Kredite. Dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen. Dass die Gewinne im Inland auf Kosten stagnierender Löhne und anderem Unbill entstanden sind, sie also sehr ungleich verteilt wurden, ist ein gutes Argument für die Diskussion um die Frage, wer die Krisenkosten zahlen soll, aber nicht gegen die Hilfspakete.
Gläubiger-Freibrief?
Diese gegenseitigen Abhängigkeiten passen nicht so recht ins Weltbild der Leistungsträger-Mentalität, und kommen deshalb in deren Debatten für gewöhnlich nicht vor. Nun drängen sie in den Vordergrund. Sie zwingen aber nicht zu stummer Akzeptanz der „oben“ gefällten Beschlüsse: Die Frage zum Beispiel, ob es nicht auch eine Form gibt, die Gläubiger mit einem Teilverzicht auf ihre Forderungen zu einem Beitrag zur Lösung der Überschuldungsproblematik zu bringen, ohne damit gleich Chaos und Zusammenbruch auszulösen, darf nicht unter den Tisch gekehrt werden.