Erstellt am: 10. 5. 2010 - 17:29 Uhr
"No Healing Here"
von Thomas Haunschmid und Clemens Foschi
name*it
Kaptransmissions ist ein Projekt der Agentur name*it, bestehend aus den JournalistInnen Thomas Haunschmid, Christian Lerch, Monika Kalcsics und Peter Waldenberger (v.l.n.r.) und dem Ökonomen Clemens Foschi (hinten).
Central Business District Johannesburg. Hochhäuser aus verschiedenen Epochen liegen rund um den Platz vor dem Höchstgericht, einem der vielen Gebäude, die derzeit einer Generalsanierung unterzogen werden.
Gleich daneben steht eine Kirche aus den 1960er Jahren, die Methodistenkirche, die seit vielen Jahren für Aufregung sorgt.
Das nüchterne Gebäude ist erste Anlaufstelle für Flüchtlinge aus dem gesamten Kontinent. Bis zu fünftausend Migranten, vor allem aus Simbabwe, leben hier vorübergehend. Auf sechs Stockwerken verteilt gibt es Räume für Frauen, Männer, Jugendliche und Paare. Mangelnde hygienische Verhältnisse und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Bewohnern liefern den Hausbesitzern der Umgebung und kommunalen Politikern immer wieder einen Anlass zur Räumung der Kirche. Ein Flüchtling aus Simbabwe schildert im Blog "This is Simbabwe" ihren Eindruck von der Kirche: "It was nothing like I expected. It was much much worse: the squalor, the misery, the deprivation is like nothing I have ever experienced, and I have been in some sad places in my time." Doch der streitbare Bischof Paul Verryn führt seinen Kampf für die Flüchtlinge aus Simbabwe gegen alle Widerstände weiter.
Harald Hund © name*it
Ärzte ohne Grenzen
In einem Seiteneingang der Kirche befindet sich eine von Ärzte ohne Grenzen betriebene Klinik. Am Gehsteig davor wartet eine Schlange von rund 50 Leuten auf einen Termin. Auch sie sind Migranten aus verschiedenen Ländern Afrikas. Human Rights Watch kritisiert in seinem Bericht "No Healing Here: Violence, Dis crimination and Barriers to Health for Migrants in South Africa", wie Schikanen, fehlende Dokumente und die begründete Angst vor einer Abschiebung viele Migranten davon abhält, medizinische Dienste in Anspruch zu nehmen, obwohl nach südafrikanischem Recht Asylsuchende, Flüchtlinge und Migranten eigentlich einen Anspruch auf Gesundheitsversorgung haben. "Ärzte ohne Grenzen" hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, Flüchtlingen eine erste Anlaufstelle zu bieten und kleinere medizinische Behandlungen durchzuführen. Bei schwerwiegenden Krankheiten werden sie in umliegende Spitäler begleitet.
In der Klinik treffen wir Donald Zhou. Vor zwei Jahren selbst aus wirtschaftlichen Gründen aus Simbabwe geflohen, arbeitet er im Outreach-Team von "Ärzte ohne Grenzen". Zu seinen Aufgaben zählt es, die Kranken in eine Klinik zu führen, abzuholen oder Migranten, die im Zentrum Johannesburgs leben, zu betreuen. An diesem Tag wartet eine Familie aus dem Kongo vor der Klinik von "Ärzte ohne Grenzen". Esperance, eine junge Frau, ist mit ihren drei Kindern vor vier Monaten aus politischen Gründen nach Südafrika geflohen und lebt nun in einer Hütte im Township Alexander, wo es kaum medizinische Versorgung gibt. Das erst acht Monate alte Baby hat sehr hohes Fieber und muss zur Abklärung und Behandlung in ein besser ausgerüstetes Spital. Zu Fuß machen wir uns auf den Weg in das nächstgelegene, zehn Minuten entfernte Spital. Donald hilft bei der Anmeldung und übersetzt die Daten und Symptome der kleinen Patientin.
Squatter houses
Während die Familie auf ihre Behandlung wartet, gehen wir mit Donald zur nächsten Station seines heutigen Dienstes. In einem achtstöckigen heruntergekommenen Gebäude, ebenfalls im Zentrum der Stadt, leben mehrheitlich Migranten. Es ist ein squatter house, ein besetztes Haus in sehr schlechtem Zustand, in denen miserable Zimmer und verdreckte Betten an Flüchtlinge vermietet werden. Wer die Vermieter sind, die pro Bett umgerechnet zwischen 20 und 60 Euro im Monat verlangen, so der Gesundheitspromotor Donald Zhou, weiß man nicht genau.
Das Stiegenhaus macht einen verwahrlosten Eindruck. Die Wände sind verdreckt, am Boden liegt Müll. Kabel und Rohrleitungen ziehen sich quer über Wände und Decke. Im dritten Stock erreichen wir auf einem zum Innenhof offenen Gang die gesuchte Wohnung. Davor breitet sich übler Geruch von Müll und Kanal aus. Ein Blick in den Innenhof erklärt den bestialischen Gestank. Am Boden schwimmen allerlei Abfälle in einer grauschwarzen Brühe. Unbewusst halten wir uns die Nase zu, doch bittet uns Donald, dies zu unterlassen – aus Respekt vor den Bewohnern.
Harald Hund © name*it
Majela, Donalds Patientin, kommt aus der Wohnung. Donald gibt ihr die benötigten Medikamente und sie zeigt uns ihre Wohnung. Auf zwei Zimmern lebt sie mit fünf Mitbewohnern auf rund 45 Quadratmetern. Die Wohnung ist in viel besserem Zustand, als das Stiegenhaus vermuten ließ, und auch vom üblen Geruch ist kaum etwas zu bemerken. Am meisten beeindruckt aber die Dimension der Musikanlage. Obwohl kaum Platz zwischen den Betten ist, stehen zwei riesige Boxen in Discoformat in der Mitte des Zimmers.
Auf dem Weg zurück in das Spital, um Espérance und ihre Kinder abzuholen, fragen wir Donald, wieso die Bewohner des Hauses nicht bemüht sind, ihre unmittelbare Umgebung lebenswerter zu gestalten. Manchmal seien die Leute selbst überwältigt vom Ausmaß an Dreck, sagt er. Es gebe nicht immer Wasser, was die Hygiene verkompliziert. "Wir versuchen die Leute zu mehr Hygiene zu ermuntern. Wir erklären ihnen, wie die Krankheiten und Seuchen wie Hepatitis, Durchfall und TBC damit zusammenhängen. Viele sind tagsüber arbeiten, Gesundheits- und Hygienebelange werden nicht als so wichtig erachtet. Etwas zu essen zu organisieren hat Priorität. Das geht soweit, dass viele erst zu einem Arzt gehen, wenn sie total krank sind. Denn ein Tag in der Ambulanz ist ein Tag ohne Verdienst, ohne Essen auf dem Tisch. Der Magen geht für viele also vor."
Patienten ohne Hoffnung
Espérance erwartet uns bereits vor dem Spital. Ihre jüngste Tochter ist an Tuberkulose erkrankt. Donald erklärt Espérance, worauf bei der Behandlung zu achten ist. Er spricht sachlich mit der Patientin, ohne ihr falsche Hoffnungen zu machen. In diesem Moment wird uns klar, warum "Ärzte ohne Grenzen" für diese Tätigkeit andere Flüchtlinge rekrutiert. Da sie mit der Problematik und den Lebensverhältnissen dieser Menschen vertraut sind, agieren sie auch in den für uns schockierenden Situationen abgeklärt und mit der notwendigen Distanz. Espérance fährt nun in ihre Hütte nach Alexander, und wir kehren zur Methodistenkirche zurück.
Evans Kuntonda, ebenfalls aus Simbabwe, will uns durch die Kirche führen. Der Flüchtlingsbetreuer zeigt uns zunächst einen Raum für Frauen. In einer Ecke stapeln sich Matratzen und Decken, und quer durch den Raum sind Leinen mit Wäsche gespannt. Im vorderen Teil kocht eine Frau auf einer Gasflamme am Boden in einem riesigen Topf Pap, den traditioneller Maibrei. Sie schwitzt, das Umrühren der zähen Breimasse wirkt sehr kräfteraubend. Daneben formt eine andere Bewohnerin Kugeln aus der Masse und frittiert sie in heißem Öl. Die hier gekochten Mahlzeiten werden vor der Kirche verkauft oder von den Mitbewohnerinnen verzehrt. Einen Stock höher befindet sich der Raum für Paare. Mit Matratzen und Decken in viele kleine Miniräume aufgeteilt sieht es wie in einem japanischen Stundenhotel aus.
Harald Hund © name*it
Auffallend wenige Menschen befinden sich in den vielen Räumen der Kirche. "Die meisten Menschen, die hier leben, versuchen untertags Arbeit oder eine Wohnung zu finden, um einen Schritt weiterzukommen in Südafrika. Keiner will lang hier in der Kirche bleiben", erklärt Evans Kuntonda. Im nächsten Halbstock ist der 800 Sitzplätze zählende Messraum, dessen Bänke bei Platzmangel nachts als Betten dienen. Im vorletzten Geschoß ist die Kinderkrippe untergebracht. Auf engstem Raum krabbeln, spielen, schreien und schlafen 20 bis 30 Kinder, die von zwei stattlichen Betreuerinnen beaufsichtigt werden. Durch dunkle Gänge und Stiegen gehen wir weiter ins Dachgeschoß, wo jugendliche Flüchtlinge untergebracht sind. Einige liegen auf ihren Matratzen vor dem Fernseher, andere sitzen und lesen.
Frustration, Angst, ja Verzweiflung mache sich manchmal unter den Leuten breit, sagt Evans Kuntonda. Deshalb wollen sie auch nicht mit Kamera oder Tonband aufgenommen werden. Sie könnten ja zuhause in Simbabwe im Fernsehen gezeigt werden, fürchten sie. Ihre Verwandten bekämen dann mit, dass sie hier unter viel schlechteren Bedingungen leben müssen als in der Heimat.