Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Popfest Tag 4: Liebesbeweise und Zuckerwatte"

Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

10. 5. 2010 - 02:28

Popfest Tag 4: Liebesbeweise und Zuckerwatte

Das erste Wiener Popfest ging mit Garish und Ernst Molden zu Ende. Es bleiben Wehmut und Hoffnungen.

Jetzt ist es also vorbei, das erste Wiener Popfest. Noch während die großartigen A Thousand Fuegos das letzte Set dieses Festivals im Wien Museum spielten, habe ich mich still und heimlich auf die Steinbänke vor der Seebühne gesetzt, um den Abbauarbeiten zuzusehen. Auch rundherum zog man sich immer mehr vom Festivalwahn in die Privatheit zurück: In der einen Ecke knutschte ein Pärchen, in der anderen trank eine Gruppe gemütlich Bier, während sie über die Uni kommende Woche sprach. Einige Musiker verfrachteten ihre Instrumente in kleine Busse. Und die Karlskirche war zum letzten Mal in ein zartes Blau getaucht.

Karlskirche

Florian Wieser

Francis International Airport

Florian Wieser

Francis International Airport

I don´t like Mondays. Denn ab morgen kehrt der Alltag ein und es wird ein gutes Weilchen dauern, bis man wieder die ganze Familienbande an einem Ort antrifft. Allein wenn ich nur an heute und den Auftritt von Kurator Rotifer denke, der mit Mel und, nach eigenen Aussagen, dem Geist von Neil Young, herrliche Gäste einlud, muss ich etwas wehmütig lächeln.

Oder danach den sehr chilligen Siluh Showcase im TU Hof, auf dem Bernhard Kern und KollegInnen Zuckerwatte verteilten, Marilies Jagsch auf Paper Bird traf und auch eine gewisse Anna F. sich etwas verschüchtert am Eingang zeigte. Sie hätte sich ruhig reintrauen können, das alles war ja eine große Party, mit Luftballons, Bier und der erwähnten Zuckerwatte. Als musikalische Untermalung wanderte Mimu At Nite bei ihrer Performance durch die Technische Universität und Killed By 9V Batteries und Francis International Airport spielten mitreißende Sets.

Killed by 9V Batteries

Florian Wieser

Killed By 9V Batteries im chilligen TU Hof

Wenn euch das unsere Liebe nicht beweist

Garish

Florian Wieser

Thomas Jarmer

Es ist schon beeindruckend, wie professionell und kompakt Garish ihr Publikum in den Bann ziehen. Nach den letzten Tagen weiß man, dass der erste Act auf der Seebühne eine nicht immer dankbare Aufgabe hat, aber Thomas Jarmer und seine Combo haben sie grandios erfüllt. An Garish kommt man nicht vorbei.

Der Auftritt des "Fünfers", wie Thomas Jarmer seine Band liebevoll nennt, fasste für mich all das zusammen, was die letzten Tage ausmachte. An Garish erkennt man sehr gut, wie hervorragend deutschsprachige Musik aus Österreich sein kann und wie melodiesicher der ganze Karlsplatz dem Harmonika-Spiel und der Trompete von Gast Bernhard Eder zu verfallen vermochte. Stücke wie "Teer und Federn" und "Später ist egal" waren genauso überragend präsentiert, wie die neue Platte "Und wenn dir das meine Liebe nicht beweist". Mehr als repräsentativ für die heimische Pop-Szene war die familiäre Stimmung auf der Bühne, und hier meine ich nicht die Jarmer Brothers. Gemeint sind etwa 15 Personen, darunter Familienmitglieder, FreundInnen und KollegInnen von Velojet oder Chris And The Other Girls, die sich als Chor auf der Bühne einfanden.

Chor bei Garish

Florian Wieser

Ein Bruchteil der Familienbande im Chor von Garish

Programmatisch durchaus die technischen Probleme während des Garish-Sets: Scheinwerfer und Mikros fielen bei einem Song komplett aus, was die Gruppe mit burgenländischer Gelassenheit hinnahm und einfach mit dem Publikum weitersang. Wärs kein Zufall gewesen, hätte man es auch nicht besser planen können. Das Stück hieß übrigens "Den Idioten zum Beweis". Und so ein Set kann man nicht besser beenden, als mit "Eisenherz" und Falcos "Junge Römer" im Doppelpack.

Ernst Molden

Florian Wieser

Einer mit großem Herz und Wienerischem Einschlag folgte danach: Ernst Molden. Keiner der Acts am Popfest hat bereits so oft am Karlsplatz gespielt wie er. Für viele ist Molden der ungekrönte Meister der zeitgenössischen Liedermacher.

Und ähnlich wie viele seine Vorbilder aus der Liedermacher-Szene, die fremdes Liedgut zu ganz persönlichen Songs machen, scheut Molden auch nicht vor Nick Cave-Covern zurück, die durch den Wiener Dialekt nicht nur dem Resselpark Tribut zollen. Auf diese Weise kann man dem "Ship Song" eine völlig neue Note abgewinnen. Dazu noch einige grandiose Gäste wie Willi Resetarits, Robert Rotifer, Marlene von Velojet und dem einen Drittel vom Projekt X, dem Herrn Votava. Die meisten von Moldens Lieder sind traurig, manche sind aber hoffnungslos. Wienerischer gehts nimmer.

Den Idioten zum Beweis

Es fällt mir schwer schon jetzt ein wirkliches Resumé zu ziehen. Auf der künstlerischen Seite haben mich viele beeindruckt. Ganz klare Favoriten für mich waren Ginga, Velojet, der Nino aus Wien, Paper Bird und Garish, die allesamt aus ihren Gigs ganz spezielle Geschenke an ihr Publikum machten und dabei trotzdem auch eine größere Öffentlichkeit auf ganz unterschiedliche Weise ansprachen. Aber auch Acts wie Vortex Rex, Sir Tralala, Das Trojanische Pferd und Tanz Baby haben großen Eindruck hinterlassen.

Dieses Popfest war aber mehr als nur ein Treffen einer großen Familie. Es war der erste wirkliche Versuch der heimischen Musikszene ein breit angelegtes Forum zu geben, raus aus den verrauchten Clubs und rein in eine größere mediale Präsenz. Es ist nicht meine Aufgabe den Spöttern und Kritikern etwas entgegen zu setzen, aber es gibt schon einen Grund, warum gerade diese KünstlerInnen am Popfest auftreten: Weil sie es nötig haben gefördert zu werden. Anna F. oder Christina S. können von ihrer Musik leben, aber die heimische Popkultur wird zu einem großen Teil von jenen getragen, die das nicht können. Und die verdienen so eine Plattform, weil sie sich den Arsch aufreißen, damit wir neue Musik hören oder lässige Konzerte besuchen können. Und damit meine ich alle: MusikerInnen, Labels, VeranstalterInnen, Booking-Agenturen und und und. Die verdienen ein größeres Publikum, die Qualität bieten sie schon lange dafür.

Popfest Wien

Florian Wieser

Die Kinderkrankheiten des Popfestes wird man beheben können. Etwa mehrere Locations nach 22h bespielen, um einigen tausend Menschen eine wirkliche Indoor-Alternative zu bieten und damit nicht alle unter Lebensgefahr in den viel zu kleinen Prechtl-Saal drängen. Auch an der Soundanlage wird man schrauben können. Man darf gern auch utopisch sein und sich eine "Lange Nacht der Popmusik" wünschen, denn auch außerhalb Wiens gibt es tolle Musik. Aber wichtig ist, dass es auch 2011 ein Popfest geben wird. Und wir bis dahin nicht vergessen, warum.