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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

9. 5. 2010 - 12:03

Alles neu macht der Mai

Und plötzlich ist es Frühling geworden in Berlin.

Nun ist er also da, der liebe schöne Monat Mai, auf den wir den ganzen Winter lang gewartet haben und er kam ganz unspektakulär und friedlich dieses Jahr. Und das, obwohl die Medien im Vorfeld den gewalttätigsten 1. Mai seit Jahren herbeiunken wollten und die Berliner Polizei sogar mit Toten gerechnet hatte. Aber die großen Straßenkämpfe blieben aus, kleinere Scharmützel am Rande waren kaum der Rede wert.

Protestkundgebung am ersten Mai

Christiane Rösinger

Dafür wurde der Aufmarsch von 500 Neonazis durch den Bezirk Prenzlauer Berg durch zehntausende Gegendemonstranten gestoppt, die Rechtsextremen kamen in vier Stunden nur ein paar hundert Meter weit und Bundestagsvizepräsident Thierse, aufgemuntert durch den neuen antifaschistischen Schlachtruf "Thierse blockierse!" hatte sich des zivilen Ungehorsams schuldig gemacht, sich auf die Straße gesetzt und blockiert, bis er von der Polizei weg geführt wurde.

Wolfgang Thierse wird von Polizist gebeten, Demonstration am 1. Mai zu verlassen und Sitzblockade aufzugeben

ddp

Das finden nun einige andere Politiker würdelos, die Gewerkschaft der Polizei forderte sogar den Rücktritt des SPD-Politikers. Auf Facebook hingegen haben sich gleich mehrere "Respekt Herr Thierse!" und "Thierse- blockier’ se!"-Gruppen gebildet.

Badeschiff Kreuzberg

Badeschiff Kreuzberg / http://www.arena-berlin.de/badeschiff.aspx

Mai also. Der Mai ist ja der Monat der Überforderung, schon am 1. Mai hätte man sich theoretisch zwischen 41 angemeldeten Demonstrationen entscheiden können und jetzt geht das Überangebot grad so weiter. Auf einen Schlag soll man die Winterdepression überwinden und outdoor-aktiv werden. Was alles im Mai neu aufmacht: Das Kreuzberger Badeschiff, sämtliche Schwimmbäder, das Wannseebad, die Bar 25 aber auch 30 andere Strandbars,18 Freilichtkinos und so fort.

Lange hatte man auf die kahlen Bäume im trostlosen Hinterhof gestarrt und jetzt dieses Grün und diese weißen blühenden Kerzen der Kastanienbäume! Es ist schön, aber es kam dann so plötzlich. Kann man es auch wirklich genießen? Ist man genug draußen, hätte man nicht schon längst das Fahrrad flott machen müssen, sich zu den hunderten jungen Müttern, alten Punks, Kleindealern, Studenten und Langzeitarbeitslosen in den überbevölkerten Parks gesellen sollen, die da stillen, chillen und grillen? Müsste man sich nicht wie die anderen ausziehen, ausstrecken, bräunen, Frisbee, Fussball, Hacky Sack, Akustikgitarre, Diabolo spielen? Guerilla gärtnern? Muskeln ausdefinieren, Bälle jonglieren, Hunde rumkommandieren? Zum Glück ist es kühler geworden, damit bleibt noch eine Schonfrist, sich an die neue Jahreszeit zu gewöhnen.