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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

9. 5. 2010 - 03:51

Popfest Tag 3: Lieder fürs Wiener Suderantentum

Es trafen die Leut' auf die Ratten und Franziska aus Gnas. Und ein gelbes Cabrio aus Baden.

In den letzten drei Tagen, und aufgrund einer sehr intensiven Popfest-Erfahrung, erinnere ich mich immer öfter an den Film "Before Sunrise". In dem überromantischen Film treffen ein Amerikaner (Ethan Hawke) und eine Französin (Julie Delpy) ausgerechnet in Wien aufeinander und verbringen ein Nacht wie aus dem Bilderbuch in der Donaumetropole. Die Wiener Bevölkerung ist freundlich und auf der Straße treffen sie Philosophen und Poeten. Ein Großstadtmärchen, wie es unwahrer nicht sein könnte. Vor allem in Wien.

Popfest Wien Tag 3: Zwei Menschen an der Seebühne

Florian Wieser

Nicht Ethan Hawke und Julie Delpy, aber auch ein schönes Paar

In den letzten drei Tagen wurde ich nämlich immer wieder auch an die unschöne Fratze Wiens erinnert: Das Sudern und sich Aufregen, das sowieso auch wunderbar in die maroden, dreckigen Seitengassen in Karlsplatz-Nähe passt. Der Wiener Zynismus, der ganz Wien ein ambivalentes Verhältnis zum eigenen Selbst zuschreibt. Am dritten Tag des Popfestes gab es dazu nun auch den passenden Soundtrack.

"Franziska!" ist das neue "Helga!"

Während ich vor dem Soundcheck der heutigen Seebühne-Acts gespannt drei Metallica-Fans am See beobachtete, aus deren Radio "Unforgiven 2" dröhnte, legte ein anderer einen fulminanten Auftritt hin. PauT, der in der Band vom Nino aus Wien spielte und patriotisch in den Farben Badens gekleidet war, fuhr mit seinem gelben Cabrio direkt vor die Seebühne. Badner Nummernschild: PAUT1. Selten so einen lässigen Auftritt gesehen, aber die Protestsongcontest-Gewinner können sich ja alles erlauben. Vor allem, wenn sie aus Niederösterreich sind.

Der Nino aus Wien

Florian Wieser

Der Nino ist wiederum ein waschechter Wiener. Im Interview klärte er in seiner ganz eigenen Art, dass er Wien grundsätzlich hasst, aber dass es okay ist Dinge zu hassen, die man eigentlich ja gern hat. Nur Salzburg findet er beschissen, St. Pölten mag er schon und zu Baden hat er noch keine Meinung. In Indien war er dafür. Wo liegt das im Verhältnis zu Wien und St.Pölten? Nino: "In Asien". Super. Dafür hat er eigentlich PauT erfunden - und wir haben auch geklärt, dass das große T in PauT nicht etwa das englische T wie in Mr. T ist, sondern eine Verniedlichung, also praktisch "Pauti". So ist er eben, der Nino: ein Wiener Original, ein Poet der Sonderklasse, vor dem Ethan und Julie aber vermutlich schreiend davon gelaufen wären, hätten sie ihn in der Nacht auf der Straße getroffen.

Der Nino aus Wien

Florian Wieser

Der Nino (rechts) und sein PauT (links)

Ninos Set war ein Hammer, denn er hat als erster Act beim Popfest den ersten Slot auf der Seebühne optimal bespielt. Egal was Kritiker sagen: Ninos Vorträge sind in meinen Augen ein Erlebnis und ihre anscheinend leicht durchschaubare Beschränktheit ist schon wieder genial. Kein Wunder also, dass Nino zwei Gäste auf die Bühne gebeten hat, die beide seine Fans sind. Die eine ist ein Wunderwuzzi aus Gnas, die sich vor ihrem Gastauftritt noch hinter den Bäumen versteckte und danach als "Franziska" verabschiedet wurde. "Franziska!" ist somit das neue "Helga!". Sie hat übrigens "It Ain´t Me, Babe" von Robert Z. dem Robert R. gewidmet. Und als großes Finale kam dann auch noch Skero, um auf "Du Oasch" zu rappen. Was übrigens toll klappte und ein Wink mit dem Zaunpfahl wäre, doch mehr Hip Hop-Acts auf die Seebühne zu lassen. Ich glaub, Nino hätte nicht aufgehört zu spielen, hätten sie ihn nicht von der Bühne gezerrt.

Laokoongruppe

Florian Wieser

Danach folgte ein anderes Original: die Laokoongruppe. Der Name geht auf eine riesige, zweitausend Jahre alte Skupltur zurück, die den Kampf des Propheten und seiner Söhne mit den Schlangen darstellt. Transferiert in Wiener Befindlichkeiten ergibt das das Projekt von Karl Schwamberger, der in einer Mixtur aus Johann Strauss und Erzherzog Johann von rappelnden Beats zwischen Dreivierteltakt und Backbeat getrieben, melancholische und umarmende Lieder raunzt.

In der griechischen Mythologie wird Laokoon ja von den Seeschlangen des Poseidon und der Athene ermordet und so sind auch die Lieder der Laokoongruppe ein Reigen voller Abschiedslieder, fortgejagt aus der Heimat, denn dort kennt man ja "die Leit' und die Ratten". In ihrem Set brach die Laokoongruppe mit Bläsern und Gästen (etwa von Neuschnee, Kilo und dem Trojanischen Pferd) Volkskunst und Kitschmotive auf äußerst sympathische Weise.

Eine falsche Schwedin und ein Velojet

Florian Horwath

Florian Wieser

Wer sudert, geht früh schlafen. Florian Horwath kam spät als letzter Act auf die Seebühne. Horwath, der als Innsbrucker beim Wiener Popfest auftritt, kam gleich mit ganzem familiären Anhang und auch mit Band. Perfekte Voraussetzungen für ein abwechslungsreiches Set mit leichten Popsongs, die so gar nichts mit dem zu tun hatten, was davor zu hören und sehen war.

Wer Festivalkoordinatorin Gabriele Hegedüs fälschlicherweise mit Nina Persson verwechselte, hatte eventuell noch Hoffnungen auf das Duett "Baby You Got Me Wrong". Aber Horwath ist souverän im Umgang mit neuen Situationen, hat er doch erst vor kurzem das "Tourtagebuch" zu einer neuen literarischen Gattung erhoben (Scherzerl zu später Stunde) und mit Songs seines letzten Albums "Speak To Me Now" eindringliche und durchaus temporeiche Popsongs vorgelegt. Wäre der Sound besser gewesen, wär das sicher auch besser zu hören gewesen.

Velojet

Florian Wieser

Im Prechtl-Saal war der Sound um einiges dominanter und lauter und das kam Velojet mehr als gelegen. Kurator Rotifer, der ja auch auf der neuen Platte zu hören ist, ließ es sich nicht nehmen vorbei zu schauen, um Cello und Violine als Ergänzung eines ohnehin schon sehr lebhaften Sounds zu erleben. Es war übrigens das letzte Konzert mit Streichern, die später auch als Neuschnee im Prechtl-Saal auftraten.

Eins muss man bei Velojet auf jeden Fall sagen: Man hat das Gefühl, ihr Sound ist nach all den Jahren so gefestigt und kompakt wie nie zuvor. Die Songs des neuen Albums "Heavy Gold And The Great Return Of The Stereo Chorus" kommen live extrem gut: Süße Refrains, süffige Trauer, das ist dann aber doch eher Oberösterreich als Wien. Aber Lisi ist halt doch ein wahrer Traum und jede coole Band heutzutage muss am Anfang mehr als eine Trommel on Stage haben.

Velojet

Florian Wieser

Leider habe ich nur noch die letzten Songs von Aber das Leben lebt (leider ohne den erkrankten Bernhard Fleischmann) erwischt und den sicherlich großartigen Problembär-Showcase verpasst. Aber ihr könnt mir sicher erzählen, wie es war.

Morgen ist der große Abschluss mit Garish, Ernst Molden Band und dem Herrn Kurator. Und sicherlich auch mit Platz für ein Resumé und konstruktiver Kritik. Herr H. aus dem Burgenland hat mir z. B. erzählt, dass er sein Dosenbier am Gelände nur in einem Becher trinken durfte. Also stellte er die Dose in den Becher. Die Burgenländer haben echt keine Ahnung wie man raunzt.