Erstellt am: 8. 5. 2010 - 05:23 Uhr
Popfest Tag 2: Tanz, Baby, Tanz!
Heute in FM4 Connected (13-17):
Popfest Wien: Spezial
Wir bringen Live-Mitschnitte (u.a. von Bunny Lake, Dorian Concept, Clara Luzia u.a.), Interviews mit Künstlern und Festivalveranstaltern sowie Berichte von den Panels und Publikumsmeinungen.
Bei Bands sagt man zumeist, dass das zweite Album das schwierigste ist. Das Debüt kann lediglich ein Glückstreffer gewesen sein, aber beim Zweiten würde sich wahre Größe und Talent zeigen. Bei Festivals ist das wahrscheinlich ähnlich, vor allem wenn es eine solche Bedeutung hat wie das Popfest. Kein Wunder also, dass der zweite Tag der fulminanten Eröffnung zumindest gleichkommen musste.
Wenn man um drei Uhr früh einen Blick um das Areal am Karlsplatz warf, dann musste man zumindest von einem konsumreichen Abend sprechen: Die Jungs und Mädels von der MA 48 haben alles in Bewegung gesetzt, um die Massen an Glasflaschen, Plastikbechern und Bierdosen vor der Seebühne zu beseitigen. Alle Achtung an dieser Stelle. Denn lange Zeit sah es gar nicht so aus, als könne überhaupt auf der Seebühne gespielt werden.
Florian Wieser
Over the Rainbow is Black Air
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Stephan Stanzel hat ja schon vor dem Set von A Life, A Song, A Cigarette den Frontmann der Rolling Stones zitiert, um das Kreuz zu schildern, das die Rock 'n' Roller von heute zu tragen haben. Einen Großteil der Zeit spiele man nicht, sondern warte auf seinen Auftritt. Vor allem, wenn es aus Kübeln schüttet. Und genau das war noch um 18.55 Uhr der Fall. Wenn es nach Stanzel und Konsorten ging, wäre man ja gerne nach drinnen gegangen, aber der Wettergott zeigte den Mittelfinger und schickte Sonnenstrahlen und einen Regenbogen. Und mit etwa 20 Minuten Verspätung konnte begonnen werden: Open Air.
Florian Wieser
Florian Wieser
Apropos Air: Die ist bei ALASAC ja letztens schwarz gewesen und daher sind besonders die Stücke des neuen Albums live immer ein Erlebnis. "Marie" und "Near" wurden herrlich interpretiert, auch wenn ALASAC gezwungen wurden, ihr Set aufgrund des späten Beginns zu kürzen. Und dass der erste Act auf der Seebühne eine eher undankbare Aufgabe hat, wissen wir ja bereits seit Clara Luzia gestern. Aber dafür gab es zwei Trompeten und insgesamt acht Leute on Stage. Außerdem einen Lukas Lauermann, der im Stile Apocalypticas sein Cello sekkierte.
Ich mag ALASAC ja sehr. Ich weiß, es gibt kaum jemanden, der sie noch nicht gesehen hat, oder wie die Band selbst sarkastisch formuliert: der sie noch nicht sehen musste. Aber das ist großes Songwriting, da gibt´s nix zu meckern.
Eine wahre Chanson-Inszenierung folgte danach. Mit einer Rose im Knopfloch betrat David Kleinl die Bühne. Tanz, Baby sind für mich ein Phänomen. Frei von jedem Fremdschämfaktor inszeniert sich Kleinl als Entertainer und Kunstfigur, der sich mit Pomade im Haar und schön großen Gesten den Pathos an die Fahnen heftet.
Kristian "Mu" Musser liefert die passende musikalische Untermalung für Kleinls deutschsprachige Texte, in denen von Liebe als Hospital erzählt wird. Eine ewige Ambulanz also. Kleinl passt für mich in jeden Stephen-King-Roman, in denen ein fescher junger Mann im Anzug, mit Rose im Knopfloch, kleine Kinder in den Gulli lockt, um sie dort aufzufressen. Aber privat ist er echt ein Lieber.
Florian Wieser
Tanz, Baby verarbeiten die vom Schlager oft klischeehaft behandelten Themen wie Liebe und Sehnsucht ohne je schwülstig und parodierend zu wirken. Harmonika und Trompete passen ideal zu der Großstadtromantik des Karlsplatzes, zwischen all den Statuen und der opulenten Kirche im Hintergrund. Großes Kino.
Die Verkopfung des Populären - mit Zimtgeruch
Ein Sprung zurück: Heute war ja auch großer Panel-Tag im Project Space. Themen wie "Urheberrecht 2.0" und "Wiener Popmusik" wurden heiß diskutiert. Damit es nicht allzu theorielastig wurde, gab es dazwischen immer wieder Musik von den großartigen Songwritern Frenk Lebel, Pieter Gabriel und Bernhard Eder, der mit Velojet- und AC/DC-Covern sicherlich ein neues Publikum gewann. Einem Podiumsgespräch stellte sich auch Dorian Concept, der später auch als letzter Act auf der Seebühne auflegte.
Florian Wieser
Dorian Concept gehört sicher zu den kopflastigsten Typen, die ich kenne. Wenn man ihn auf der Bühne sieht, hält man ihn für den coolen Checker, aber im Gespräch ist Dorian Concept ein introvertierter Theoretiker, der jahrelang Klavierunterricht hatte und sich mit klassischer Musiktheorie auseinandersetzte. Der Keyboard-Wizzard vermischt bei seinen Releases auf Affine-Records, die spät Nachts noch einen ausgedehnten Showcase u.a. mit I-Wolf feierten, Synthie-Spielereien mit klotzenden Drum-Patterns und sphärischen Klängen, konnte aber live auf der Seebühne nicht wirklich mitreißen. Vielleicht fehlte die Show, das Theatralische und Inszenierte.
Alle Fotos von Florian Wieser/Shooting Music
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Das wahre Highlight für mich dieses Abends fand nicht auf der Seebühne statt, sondern war der erste Act überhaupt im Prechtl-Saal in der TU. Ginga wurden schon vorab als großer Geheimtipp des Abends angepriesen, jeder wollte sie sehen. Dementsprechend waren die engen Gänge der TU überfüllt und dieses Mal lag es nicht einmal an den langen Schlangen vorm WC. Im Prechtl-Saal staute es sich, auch draußen wollte man hören, wie Ginga mit ihren mitreißenden Songs wie "Cinnamon" das Popfest bespielten.
Florian Wieser
Das Ergebnis waren Trommeln mit Holzfeuerrhythmen, Gitarren, die nur mit einer Saite und ein paar Akkorden auskamen, Geigen, die das Blaue vom Himmel versprachen und die Stimme eines Sängers, der nicht nur frisurtechnisch an den jungen Robert Smith erinnerte. Es war unglaublich viel Power zu spüren, märchenhafte Elfenmusik vermischte sich mit treibenden Rhythmen und schwitzenden Gesichtern. Ich werde jetzt glücklich einschlafen, mit Zimtgeruch in der Nase.