Erstellt am: 7. 5. 2010 - 18:44 Uhr
Vulkanwitz fehlt an dieser Stelle
Ein Höhepunkt des diesjährigen Donaufestivals - vom Booking her, wie auch dann in der tatsächlichen Umsetzung - hat sich am Donnerstag Abend zu gar arg früher Stunde in der Kremser Minoritenkirche ein wenig unter Wert versteckt. Das Konzert der Whale Watching Tour hätte zur besten Zeit auf der großen Bühne stattfinden müssen. Wobei natürlich die sakrale Aura der Kirche dem porzellandelikaten Auftritt des Allstar-Line-Ups des großartigen isländischen Labels Bedroom Community nicht gerade undienlich ist. Man hört, wo die Stecknadel hinfällt, "Könnts einmal ruhig sein da hinten?" fauchts aus dem Publikum, wenn irgendwo einmal getuschelt wird. Hier wird unter dem Teppich gehustet und Popcornrascheln mit der Peitsche bestraft.
florian schulte
Dabei bemüht sich das Ensemble auf der Bühne selbst die Darbietung ihrer mitunter durchaus "ernsthaften" Musik eben nicht mit der knöchernen Strenge der langen Nacht im Stockhausen-Museum zu gestalten, sondern noch irgendwie im Pop im weitesten Sinne verhaftet zu bleiben. Die kleine Musikplattform Bedroom Community, die 2006 von Valgeir Sigurdsson, der als Produzent schon mit Will Oldham, Coco Rosie oder auch Björk zusammengearbeitet hat, gegründet wurde, veröffentlicht Musik im Spannungsfeld aus Moderner Kompostion, Drones, gebrechlicher Elektronik und Folk und ist so mit einigen wenigen Releases zu einem der auch im eigentlichen Wortsinne spannendsten Labels der letzten paar Jahre geworden.
Neben Sigurdsson selbst gehören der Düster-Atmosphäriker Ben Frost und der Komponist Nico Muhly zum Kern von Bedroom Community, für die Whale Watching Tour haben alle drei zusammengefunden und werden in ihrer Kollaboration von einigen weiteren Musikerinnen und Musikern - Streicher, Posaune - unterstützt. Bei der Darbietung in der Minoritenkirche finden so einerseits unerhörte Symbiosen statt, oft aber bleiben die Styles der drei Protagonisten relativ intakt nebeneinander bestehen. Ben Frost, dessen im letzten Jahr erschienenes, ziemlich erschütterndes und wunderbares Album "By The Throat" an dieser Stelle nochmals sehr empfohlen sein soll, schickt schwer atmende Soundscapes und ein Dröhnen ins Gewölbe, es sind Hiebe der Kälte. Nico Muhly baut minimalistische Figuren am Piano, Sigurdsson zischelt an elektronischer Gerätschaft. Das Konzert streift Minimal Music und Ambient und kommt mitunter schon auch bei postrock-artigen Donnergebilden im Geiste der zarteren Momente von Godspeed You! Black Emperor oder, hm, well, okay, Sigur Ros minus Pathos an. Höhepunkte, wenn eine der Violinisten aus dem Background an die Bühnenforderkante tritt und sich anfängliches Sologegeige unter behutsamer Hinzunahme immer neuer Elemente der anderen Musiker zu grollenden Triumphen aufbauen. Insgesamt eine ziemliche Erleuchtung, ein großartiger Stich ins Leben. Dass solch schwere Musik auch mit Humor einhergehen kann, zeigt Muhly, der sich als Jamie Cullum der Pop-Avantgarde als Conferencier am Klavier um leicht humoristische Zwischenansagen bemüht. Gegen Ende des Konzertes weist er auf das Vorhandensein des Merchandise-Standes hin, wo neben den üblichen fast ausverkauften Platten und T-Shirts auch Beutel voll isländischer Vulkanasche zu erwerben seien: "Have a wild thursday! Snort ashes and go to Múm!" Was immerhin zu Teilen wahr werden sollte.
florian schulte
Der isländische Künstler Húbert Nói und der Produzenten-Altmeister Howie B., der unter anderem schon für und mit Björk, Tricky und U2 Beats geschmiedet hat, haben 2006 beim österreichischen Label LATON eine relativ supere CD namens "Music For Astronauts und Cosmonauts" veröffentlicht, in Krems wird diese mit der Unterstützung des Cellisten Borgar Magnason und Label-Boss Pomassl live aufgeführt. Brian Eno hat mit "Music For Airports" den Sound als beiläufiges Geräuschmöbel zwar vermutlich nicht erfunden, aber wohl "offiziell" als erster definiert, was wir heute als Ambient Music kennen. Auch wenn die beteiligten Musiker das nicht so gerne hören, handelt es sich auch bei "Music For Astronauts And Cosmonauts" um Ambient im weitesten Sinne, in diesem Falle um Musik, die im besten Falle eine Erdumrundung im Orbit in Echtzeit beschallen soll. Es brummt und bebt, aus minimalistischen Verschiebungen entwickeln sich an den Synapsen kitzelnde Spannungsbögen. Die Visuals zeigen klarerweise passend Raketenstart und Raumfahreralltag. Bayern 3 Space Night mit besserer Musik.
florian schulte
Der gar nicht so heimlliche, nämlich vollkommen unheimliche, unheimlich herrliche Headliner der Abends erscheint in Gestalt des freilich auch isländischen Flohzirkuses Múm in der großen Halle. Die sieben Menschen auf der Bühne sind von einer derartigen Sympathisch-haftigkeit umgeben, man möchte sie fast hassen. Múm zeigen, wie der bestens geglückte kollektive Musik-Workshop klingt: Es wird gerassselt und geklopft, vielstimmige Gesänge, Melodika und Trompete, Mundharmonika-Trio, Violine und Kazoo. Die Band beginnt ihr erstes Österreich-Konzert mit "Marmalade Fires", ihrem so ziemlich besten Stück - abwärts geht es deswegen im Lauf des Abends aber trotzdem überhaupt gar nicht. Múm haben sich im Laufe ihrer Karriere glücklicherweise immer weiter weg von der Zuckerguss-Elektronika mit scherenschnitthaftiger Niedlichkeit der Anfangstage hin zu einem etwas offeneren, luftigen Folk/Pop-Entwurf entwickelt, in dem Experimentierwillen, Songwriting und Wundermelodien gut ineinanderaufgehen können. Das Konzert speist sich zu großen Teilen aus den letzten beiden Alben "Go Go Smear The Posion Ivy" und "Sing Along To Songs You Don't Know", die Band kommt wesentlich poppiger als auf Platte daher, bei all dem Instrumente-Quatsch, den sich wundersam umspielenden Gesängen und dem überbordenden Einfallsreichtum, der auf den Platten von Múm nicht gar so recht zünden will, fühlt man sich stellenweise an das australische Pop-Zauberwerk Architecture in Helinki erinnert. Den Abschluss des Konzerts macht der Evergreen "Green Grass Of Tunnel", man möchte sich nur mehr in die Arme fallen. Auch in die seiner Feinde. Ein Konzert des Jahres, geile Theatralik, smarte Sweetness, Mitklatsch-Animationen, naiv vorgelebte Kunstsinnigkeit, die komplett unzynische Weltumarmung, Múm, du erfüllst alle Island-Klischees.
Danach kann man sich in der kleinen Halle auf Zeitreise begeben: Ghostigital, das Projekt des ehemaligen Sugarcubes-Sängers Einar Örns und von Beat-Schnitzer Curver, kommt zwar sichtlich gut an im Publikum, so einen Hybriden aus Noise, Elektronik und HipHop hat man aber beispielsweise bei Dälek oder fallweise auch Anticon schon wesentlich besser erleben können. Einzig Örns keifende, schön aufgestachelte Performance erinnert gut an Mark E. Smith, der Rest ist Schall und die Visuals sind langweilig. Es rappelt im Karton, jetzt kommt der große Gott Gitarre.
florian schulte
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