Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Popfest Tag 1: Architektur eines Familientreffens"

Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

7. 5. 2010 - 03:22

Popfest Tag 1: Architektur eines Familientreffens

Alles Pop und Festival-Flair am Karlsplatz: Das Popfest Wien öffnet seine Pforten mit Clara Luzia, Bunny Lake und Paper Bird.

Vermutlich weiß nicht jeder wer Johann Bernhard Fischer von Erlach war. Der 1656 geborene Grazer war ein herausragender Architekt und sein mit Sicherheit bedeutendstes Werk befindet sich in Wien. Es wurde 1739 vollendet und ist ein Geschenk des Erzherzogs von Österreich, Karl IV., an seinen Namenspatron Karl Borromäus. Es handelt sich um die Wiener Karlskirche.

Rund 270 Jahre später wird die Karlskirche das architektonische Zentrum eines Familientreffens: Die Wiener Pop-Familie präsentiert sich am "Popfest Wien" erstmals einer größeren Öffentlichkeit, nämlich all jenen, die sich nicht jedes Wochenende ins Fluc oder Chelsea verirren. Aber auch bei Familientreffen könnte man einen Architekten gebrauchen, der alles genau durchplant. Denn zumeist sind alle Beteiligten aufgeregt, anfangs etwas unentspannt und hoffen, dass das Wetter mitspielt.

Pamela Rußmann

This Church is Pop

Eins vorweg: Das Wetter hat mitgespielt. Was am Mittwoch noch so aussah, als würde die extra am Karlsplatz aufgebaute Seebühne im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fallen, wurde am ersten Tag des Popfestes mit Sonnenschein belohnt.

Dixie Klo Reihe

Pamela Rußmann

Es machte sich sogar ein klein wenig Festival-Flair bemerkbar, der auf mich auch etwas surreal wirkte. Menschen, die auf den Wiesen picknickten, Dixie-Klos, vor denen lange Schlangen manch Schlimmes befürchten ließen und ein quasi Backstage-Bereich, der lediglich mit warmem Bier und viel Schokolade, Geschmacksrichtung Noisette, ausgestattet war. Doch beim Streunen durch die immer dichter werdende Menge an Menschen, erkannte man die Vorfreude auf das, was sich hier ankündigte. Und eins war allen klar: Dieses Popfest ist das größte Geschenk der heimischen Popszene an ihr Publikum, das es je gegeben hat. Raus aus den Proberäumen und verrauchten Clubs, rauf auf die große Bühne.

Publikum im Gras

Pamela Rußmann

Clara Luzia hatte als Eröffnungsact des Popfestes sicherlich die schwierigste Aufgabe zu erfüllen. Fast schon unspektakulär der Beginn, der Sound zu leise, die Seebühne etwas zu niedrig und für viele Sichtpositionen nicht unbedingt glücklich aufgestellt. Bei Tageslicht als erster Act zu spielen, ist auch nicht gerade das glücklichste Los. Aber Clara hielt sich mit ihrer kleinen Band tapfer und spielte mit Songs wie "Queen of the Wolves" gegen die hohen Erwartungen an.

Irgendwie passte der Beginn auch: Die heimische Popszene hat sich in den letzten Jahren langsam, aber stetig aufgebaut. Persönliches Ausbeuten und finanzielle Risiken eingeschlossen. Aber sie hat durchgehalten und auch ein leiser Anfang ist eben ein Anfang, der Früchte tragen kann.

Clara Luzia auf der Seebühne

Pamela Rußmann

Bunny Lake live

Pamela Rußmann

Die medial wirksame, weil pompöse Eröffnung fand erst nach Clara Luzias Auftritt, bei Einbruck der Dunkelheit, statt. Die Architekten des Spektakels traten auf: Festivalleiter Christoph Möderndorfer hatte die Idee, Kurator Robert Rotifer hatte die Bands und Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny hatte das Geld.

Mit Bunny Lake folgte ihnen ein beeindruckender Hauptact, dem die volle Aufmerksamkeit gehörte. Der Bass dröhnte und ließ die Tauben im Resselpark gen Süden flüchten, während Suzy On The Rocks, die Uma Thurman der heimischen Popszene, mit Christian Fuchs ein unwiderstehliches Paar auf der Bühne abgab. Bunny Lake katapultierten Fischer von Erlachs Lebenswerk in ein Paradigma des Populären: Die "Last Days of Disco" wurden zum Soundtrack einer Light-Show auf der Karlskirche, dessen passender Slogan dazu lautete: "This Church is Bunny Lake".

This Pop is Museum

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Da die Seebühne um 22 Uhr dicht machen musste, haben manche aufgrund des schnellen Wechsels zum Wien Museum die nachfolgende Künstlerin vielleicht verpasst. Aber wer Paper Bird am Balkon des Wien Museums erwischt hat, der bekam den für mich besten Auftritt des Abends zu sehen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich Anna Kohlweis für die talentierteste und innovativste Songwriterin des Landes halte, die melodisches Gespür mit diskursiven Hintergrundwissen der Popkultur verbindet. Mehr als passend fand ihr Auftritt also in "Where The Streets Have No Name"-Manier über den Dächern Wiens auf einem Balkon statt.

Im dazugehörigen Ausstellungsraum befindet sich nicht nur das Stadtalphabet von A bis Z, sondern auch ein Tribut an einen weiteren nicht unbedeutenden Architekten: Adolf Loos. Dort kann man derzeit einen Blick in ein von ihm entworfenes Wohnzimmer werfen, das Paper Bird vor ihrem Auftritt fast dazu verleitete, darin zu spielen. Da aber schon jeder mitgebrachte Becher Bier in der Nähe der wertvollen Kunstschätze konfisziert wurde, wanderte Anna vor ihrem Auftritt lieber mit Akustikgitarre in sich gekehrt durch die Räume. Ein Bild für Götter.

Paper Bird probt im Museum

Pamela Rußmann

Paper Birds Auftritt war kurz, aber umso heftiger. Der Wind und die Temperaturen am Balkon waren äußerst unangenehm. Passend dazu aus dem Opener "Ghost Recovery": "It´s cold, cold, cold outside". Bei Kälte soll man sich dank Körperwärme an andere kuscheln, und so fand sich ein kleiner Chor bei Paper Birds Balcony Party ein, der Songs wie "I Want You" und "A Lie A Lie" eindringlich mit Gesang und Klatschen unterstützte.Wahre Höhepunkte waren aber "My Body Is Over The Ocean" und das herrlich schöne "Sentimental Voodoo", in dem Samples aus "Paris, Texas" eingebaut wurden.

Paper Bird live

Pamela Rußmann

Als Paper Bird an ihren Label-Kollegen Sir Tralala weitergab, hatte sich das Geschehen längst ins große Foyer des Wien Museums verlegt. Von diesem Zeitpunkt an wich die Chronologie des Abends einer Anachronie, wie Wolfgang Kos passend die gegenwärtige Popmusik im "Popmuseum" mit Robert Rotifer beschrieb. Die verstörenden und gleichzeitig genialen Klänge Sir Tralalas, der jede Bühne bis zum Aufzug als Spielfläche nutzte, vermischten sich mit dem weißen Kontrabass von PauT und dem Popdiskurs des Popmuseums, einer Huldigung an die ohnehin schon schwere Erfassung der Historizität von Pop. Aber aufgelegt wurde auch, also alles High Fidelity.

Der erste Tag des Popfestes hatte viele Architekten und Architektinnen, aber gleichzeitig war es auch ein großes Familientreffen. Man kannte sich, und wenn nicht, dann lernte man sich kennen. So fand man Ober-Monkey Walter Gröbchen und Ilias Dahimène beim Platten verkaufen, Andi Dvořák und Brooke´s Bedroom beim Chorsingen für Paper Bird, die Jungs von They Shoot Music - Don´t They beim Filmen und Hannes Tschürtz beim Netzwerken. Kollege Einöder hat diese Szenemenschen richtigerweise als "Teil der Show" bezeichnet. Aber unter dieses Familientreffen haben sich dieses Mal sicher auch viele gemischt, die noch nie zu Besuch waren. Morgen ist Tag 2. Sagt doch auch mal "Hallo".

Popfest Mosaikbild

Pamela Rußmann