Erstellt am: 6. 5. 2010 - 12:15 Uhr
Elvis, Gott und Obama
Es gibt in Ghana einen weiblichen und einen männlichen Namen, die sich auf den Wochentag, an dem man geboren wurde, verweisen. So bedeutet "Kodzo" etwa "der am Montag Geborene"
"Afrikaner." Elvis schüttelt den Kopf. "Gibt es kein Wasser, keinen Strom - die Menschen fangen an zu beten." Der Ghanaer hält nichts davon, dass seine Landsleute Gott für alles verantwortlich machen, anstatt ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Elvis ist Buddhist. Mit vollem Namen heißt er Elvis Kodzo Kamassa. Seine Landsleute nennt er Hypokriten.
fm4 / anna mayumi
Religionszugehörigkeiten: Christen 68,8 % (Pentecostal/Charismatic 24,1 %, Protestanten 18,6 %, Katholiken 15,1 %, andere 11 %), Muslime 15,9 %, traditionelle 8,5 %, andere 0,7 %, keine 6,1 % (Zensus 2000)
Das Christentum in Ghana erlebt einen unüberseh- und hörbaren Boom. Jesus und sein Vater sind omnipräsent. "Virgin Mary Beauty" verspricht einen göttlichen Haarschnitt, "Almighty Phone" einen guten Draht (nach oben). "With God all is possible," lautet die frohe Botschaft auf einem Taxi. "Jesus is your friend", liest man auf dem davor. "In God we trust" auf dem dahinter.
Vertrauten vor einem halben Jahrhundert 42 Prozent auf den Christengott, sind es heute über zwei Drittel der Bevölkerung. Protestanten, Katholiken, Methodisten, Adventisten, Zionisten, Presbyterianer, Baptisten - insbesondere die Reformkirchen erleben einen enormen Zulauf.
fm4 / anna mayumi
Die University of Ghana ist die älteste Universität des Landes (gegründet 1948). Seit der Unabhängigkeit 1957 zählt Ghana zu den Bildungs-Hot-Spots im subsaharischen Afrika. Unter den Studis war auch der simbabwische Diktator Robert Mugabe. Seit 2008 ist der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan Vorsitzender der Universität.
Etwa 4,7 % (Weltbank) der Ghanaer besuchen nach der Sekundärstufe eine Hochschule/ Universität. Insgesamt haben 3,2 % (UN) der Bevölkerung einen Hochschulabschluss.
Überdimensionale Pastorengesichter lächeln gütig von Plakaten. Einer von ihnen wirbt strahlend für seine Radiosendung vor der Einfahrt zum Campus der University of Ghana in der Hauptstadt Accra. Dort arbeitet Elvis als Assistent am Französischen Institut. Seinen Namen verdankt er einer Tante, die bei einem Frankreichaufenthalt dem King verfallen ist.
Das 31-jährige Mitglied der Bildungselite findet: die Ghanaer übertreiben. Sie würden Gott "unnötig belästigen". Bei jeder Kleinigkeit werde Gott angerufen, oder noch besser Jesus. Der sei inzwischen schon fast populärer. Vom Schlüsselanhänger bis zum Desktop-Hintergrund, es mangelt nicht an Erlöser-Gimmicks.
Elvis findet es überflüssig, dass alltägliche Handlungen mit Gebeten verbunden werden. Wie etwa "vor dem Essen, selbst wenn es nur ein Happen ist, keine richtige Mahlzeit". Das sei zu viel. Und dabei seien seine Landsleute inkonsequent. "Vor dem Scheißen betet auch keiner. Warum Beten, bevor das Essen reingeht, aber nicht bevor es rauskommt?"
fm4 / anna mayumi
Mit der Omnipräsenz des Allmächtigen und seines Sohnes kann US-Präsident Barack Obama zwar nicht mithalten. In Sachen Popularität steht er den beiden wenig nach. Ganz Westafrika ist von der Obama-Mania befallen. Man findet Obama-Coiffeure, Obama T-Shirts, die man besprüht mit Obama-Parfum in Obama-Bars und Obama-Cafes ausführen kann, oder zum Obama-Imbiss. Man kann in Obama Hotels übernachten, im burkinischen Grenzdorf Cinkassé ebenso wie in Accra; sich am Obama-Beach in Togo sonnen, oder gleich ins angrenzende Obama-Village ziehen.
fm4 / anna mayumi
"If one person suffers from a delusion, it is called insanity. When many people suffer from a delusion, it is called Religion."
Robert M. Pirsig: The Zen and Art of Motorcycle Maintainance
"Für Ghanaer und alle anderen Afrikaner ist mit der Wahl eines Schwarzen zum Präsidenten Amerikas ein Wunder geschehen", meint Elvis. Nur um sich sogleich selbst zu korrigieren: "Kein Wunder natürlich...", aber etwas unerwartet Großes. Insbesondere für die Ghanaer mit ihrer Sklavenvergangenheit. Natürlich wisse jeder, dass Obama nur zur Hälfte ein Afrikaner sei. Das sei aber nicht so wichtig.
"Afrikaner denken nicht gerne", behauptet Elvis nüchtern. Das überließen sie gerne anderen. "Wenn ich mich heute betrinke, dann muss ich morgen mit einem Kater rechnen", gibt er ein Beispiel. Seine Landsleute würden selbst diese Verantwortung nicht übernehmen wollen; sie würden beten, um den Kopfschmerzen zu entgehen. Elvis will Kater haben weil er sich betrunken hat. Und nicht weil Gott es will.
Vor zehn Jahren ist er deswegen zum Buddhismus konvertiert. Mit rund 5000 Anhängern eine Randgruppe in Ghana. Ein paar seiner Cousins wären zunächst skeptisch gewesen gegenüber der ihnen unbekannten "Sekte". Mittlerweile hat sich seine Familie mit seinen Ansichten abgefunden. Es geht in Ghana nämlich in allererste Linie darum, an irgendetwas zu glauben. Eine Leitlinie zu finden. Das würde auch den Zulauf erklären, den etwa christliche Reformkirchen im subsaharischen Afrika erfahren.
2001 fand in Nigeria die größte Freiluftmesse statt. Rund 1,6 Millionen Menschen kamen zu dem Feldgottesdienst, den der deutsche Jesussektenpapst Reinhard Bonnke abhielt.
"Wie führe ich eine Beziehung?", "Wie erkenne ich meine Stärken?" - unter Mottos wie diesen werben Prediger um ihr Publikum auf dem Uni-Campus. Sie wollen die Jungen locken. Und die kommen in Scharen. Den ganzen Sonntag tönen Gospelchöre über das Gelände. In Aulen, Gemeinschaftsräumen und auf den Fußballfeldern, predigen die Kirchenstars die Keuschheit vor der Ehe. So führe man nämlich eine gute Beziehung.
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"Dann singen sie Gospels, schreien sie freudvoll hinaus. Und wenn die Kirche aus ist, sehen sie dem wirklichen Leben wieder ins Gesicht". Der sanftmütige Elvis gerät ein wenig in Rage. Im wirklichen Leben seien die Ghanaer nämlich gar nicht so christlich. Auch nicht was den Sex vor der Ehe angehe.
Im Juli 2009 besuchte Barack Obama mit Ghana das erste Land im subsaharischen Afrika. Im Vorfeld hatte die US-Regierung alle Afrikaner eingeladen, per SMS und über Facebook und Twitter Fragen an Obama zu richten. Über 5000 Afrikaner sind (laut AFP) dieser Einladung gefolgt.
Seit dem Staatsbesuch von Obama im vergangenen Jahr - nach einer Stippvisite bei Papst Benedikt XIV im Anschluss an den G8-Gipfel - strahlen dieser und sein ghanaischer Amtskollege Atta Mills mit den Priestern um die Wette: "Together we can make a change". Verändert hätte sich in der Zwischenzeit nichts. "Noch nicht", wie Elvis meint. Noch hätte Obama nicht wirklich etwas für Afrika tun können. Er müsse sich schließlich zuerst um die Amerikaner selbst kümmern, fügt er hinzu. Einen Friedensnobelpreis hätte Elvis dem schwarzen US-Präsidenten keinen verliehen. Schließlich dauern die Kriege in Afghanistan und Irak ja an.
fm4 / anna mayumi
Die US-Innenpolitik verfolgt Elvis weniger. Als ihm aber zu Ohren kam, dass es in den Vereinigten Staaten keine staatliche Gesundheitsvorsorge gebe, habe er es nicht fassen können. "Ich finde es unglaublich, dass so ein großartiges Land wie die USA das nicht hat". Selbst in Ghana könne man kostenlos zum Arzt gehen.
Dafür muss ein guter Christ in Ghana ein Zehntel seines Einkommens an seine Kirche abtreten. Zwölf der monatlichen 125 Euro, die ein Ghanaer durchschnittlich im Monat verdient. Dass die emotionsgeladenen Prediger meist in teuren Schlitten zur Messe kommen und von dort wieder in ihre Villen fahren, hält die Kirchengemeinde nicht davon ab, weiterhin zu blechen.
44% der Bevölkerung hat einen Stromanschluss.
Ghanaer müssen durchschnittlich mit 10 Stromausfällen pro Monat rechnen (Im subsaharischen Afrika: 7).
86% der Unternehmen in Ghana identifizieren die Stromversorgung als ein Hauptproblem.
Die irdischen Handlanger des Herrn führen oft einen pompösen Lebensstil. Auf Kosten derer, die nicht viel haben. Weil sie nicht viel haben. Und weil sie keine Verantwortung dafür übernehmen wollen. "Wir müssen begreifen, dass wir selbst etwas tun können und müssen, wenn es kein Wasser gibt, keinen Strom", so Elvis. Was monetären Reichtum angeht, bleibt für ihn ohnehin einer unschlagbar. Sein Namensvetter - der King. Auch wenn ihm spontan kein einziger Songtitel der Ikone einfällt, übt er doch eine unglaubliche Faszination auf den Ghanaer aus. "Er ist tot", ereifert er sich. "Und er verdient Milliarden!"
Auch ein Wunder? Nein, das Land von Obama.