Erstellt am: 5. 5. 2010 - 10:52 Uhr
Kopf ab, Kopf ab, Kopf ab
Gibt Erfolg dir wirklich Recht, nur weil er niemals widersprechen würd'? (Turbostaat: Bossbax)
Turbostaat
Es ist schon ein paar Jahre her, da erzählt mir ein alter Kumpel aus wilden Jugendtagen mit unverhohlener Begeisterung von ein paar Jungs aus Lübeck oder sonstwo im hohen Norden, die er letztens live gesehen hatte. "Die haben geschrien und sich auf der Bühne gewälzt, dass es eine wahre Freude war", meinte der Kumpel, großartige, wilde Musik dazu, interessante Texte, sofern man sie verstand. Nur den Bandnamen, den habe er leider vergessen.
- FM4 Basement Show
"Punkrock, Alter", meine ich und "Aber hallo", meint er und ein paar Tassen Tee später haben wir uns auf Turbostaat geeinigt. Das überraschte mich nicht, und ich zog die damals einzige CD aus dem Regal. Am 1. Mai ist Weltrevolution, weitersagen!, Arschkanone und 18:09 Uhr. Mist, verlaufen waren meine Lieblingstitel von Flamingo, das Album hatte ich von ihrem rührigen Label Schiffen bekommen. Wir beide, Feuer und Flamme.
Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen
Turbostaat sind aus Flensburg, das ist nochmal 100 km nördlich von Lübeck, an der deutsch-dänischen Grenze. In die Lehre gegangen sind sie (deutlich hörbar) sowohl bei Jens Rachut und seinen advanced Deutschpunk Bands (von Dackelblut bis Oma Hans), als auch beim frühen Emocore à la Rites of Spring. Kettcar auf Speed? Was für eine Mischung, damals wie heute.
Das Label Same Same But Different ist ein Sublabel von Warner und wurde laut Eigen-PR eigens von Mitgliedern der Beatsteaks für die befreundete Band Turbostaat gegründet. Inzwischen erscheinen neben Turbostaat auch NinaMarie und Trend auf SSBD.
Das Island Manøver ist das vierte Album der nicht mehr ganz so jungen Jungs, das zweite seit dem Majordeal. Vormann Leiss aus 2007 war noch ein Zurechtfinden in der ungewohnten Majorumgebung. Der eine oder andere Song ragte durchaus heraus, aber im Gesamten blieb Vormann Leiss doch deutlich hinter den Indie-Werken Flamingo und Schwan zurück, die jugendliche Frische war etwas dahin, und das Neue noch nicht gefunden.
Turbostaat / Erik Weiss
Alles, was hier ist, ist nur Strandgut oder Rest
Jetzt haben sie's. Das Island Manøver ist, sagen Turbostaat selber, das erste richtige Album der Band. Die bisherigen waren eher Songsammlungen, diesmal kamen sie vor lauter Touren gar nicht zum Songs Schreiben, was dazu führte, dass sie, klassisch, für zwei Monate aufs flache Land in Klausur gingen. Und es ist was Rundes geworden, mit Raum für Abweichungen und Experimente, das braucht man auch nach dem Ende des jugendlichen Überschwangs und zehn Jahren Bandgeschichte.
Der großartige Remix für die Kinderzimmer Productions hat da wohl schon einige Türen geöffnet, jedenfalls sind Turbostaat deutlich vielfältiger geworden, was Sounds, Rhythmen und auch Instrumente angeht. Bei Fünfwürstchengriff kommt nun auch erstmals eine Maschine zum Einsatz, ohne dass auch nur einen Moment lang Zweifel daran aufkämen, dass da Turbostaat an den Tasten sind. Es wummst jedenfalls wie eh und je.
Wenn der Sommer kommt, erwürg' mich im Maisfeld
- Die Playlist zur Radiosendung im Tagesprogramm
Und auch inhaltlich sind Turbostaat gereift, das leistet dem Frohsinn nicht gerade Vorschub. Humorlosigkeit wäre trotzdem das falscheste Etikett: Turbostaat zeichnen bourgeoise Tristessen, die in ihren verstörenden Momenten an Das weiße Band erinnern, in ihren grotesken an eine Christoph-Marthaler-Inszenierung. Vielleicht kennen sie sich aber einfach nur nicht so gut aus auf der Welt. Kann ja auch sein.
Pennen bei Glufke
Turbostaat spielen 2010 am Southside und am Forestglade Festival.
Das Island Manöver wird heute, Mittwoch Abend, in der Basement Show im House of Pain vorgestellt.