Erstellt am: 2. 5. 2010 - 22:14 Uhr
Das Beste von gestern und die Hits von morgen
Sweet Maschinenmusik: Nachdem im großen Saal Glenn Branca mit seinen dröhnenden Gitarrenwänden die Hörkapazität des Publikums ausgemessen hat, entwirft der immer noch ziemlich jung gebliebene Wonderboy Jimmy Edgar am Samstag auf Bühne 2 des Donaufestivals sprunghafte Filigran-Elektronik, begleitet von Visuals von Luma Launisch aus Wien. Jimmy Edgar aus Detroit, der der Sage nach schon im wenig zarten Alter von 15 Jahren mit Legenden der Motor City wie Juan Atkins und Derrick May in mitunter möglicherweise jugendgefährdenden Clubs hinter den Plattentellern gestanden sein soll, wird in den nächsten Monaten ein neues Album beim Berliner Label K7! veröffentlichen - wo er mittlerweile auch etwas besser hinpasst als zu Warp, wo, von durchaus einigem medialen Rauschen begleitet, Mitte des vergangenen Jahrzehnts zwei sehr schöne EPs und ein ebenso feines Album von ihm erschienen sind.
florian schulte/donaufestival
Freilich ist Jimmy Edgars Musik stark geprägt vom Sound seiner Heimatstadt, von Techno im weitesten Sinne, aber auch besonders von Jazz, Funk und HipHop. "Jimmy Edgar, hast Du das, was Flying Lotus heute macht, schon vor fünf, sechs Jahren gemacht?" Ironischer Grundton: "Yup. Pretty Much So". Mit abstrakter Elektronik oder dem, was man da einmal IDM genannt hat, war Edgar mit Ausnahme von vielleicht Aphex Twin und ein bisschen Autechre gar nicht vertraut, bevor Warp auf ihn zugegangen ist. Und so sind die Beats von Edgar leichtfüßiger und verspielter, wollen kaum mehr, als auf den Dancefloor drücken und sind dauernd ganz nah dran an RnB. Edgar: "Sexualität ist ein wichtiger Motor meiner Musik."
Live wählt Jimmy Edgar das allseits beliebte Set-Up im Zwischenfeld zwischen Analog und Digital, mit Moog, Kaos-Pad und Powerbook, und baut sich so ein, wie er sagt, halb improvisiertes Set. Aus Schnipseln und Bruchstücken aus rund 50 Tracks collagiert - selbstredend um einige Fixpunkte herum - er allabendlich neue Abläufe, die elegant durch das Mittelreich zwischen Experiment und Club gleiten. Das werden großzügig Zitate aus der Musikgeschichte kleinteilig über die Beats geschnallt, Minimal-Samples, eine großes Dosis Funk, noch mehr Pop und Prince als bisher bringt das neue Material, Michael Jackson, Elektro (the real deal), Kraftwerk natürlich, Roboter-Voice, Filterhouse und Daft Punk. Nie aber werden die Samples allzu deutlich ausgestellt, wie das beispielsweise in vielen Party-DJ-Sets der Fall sein kann, die aus der Wiedererkennbarkeit ihrer Quellen innerhalb eines gemeinsamen Musikgedächtnisses ein schönes Wir-Gefühl gewinnen wollen. Bei Jimmy Edgar kann man sich nie ganz sicher sein, ob man es hier mit tatsächlichen Samples zu tun hat, oder mit Nachstellungen, mit tolldreisten Aneignungen oder bloßen ästhetischen Verweisen und Vermutungen. Es bleibt die extrem gelenkige Musik von Jimmy Edgar selbst. Auch wenn sich nicht allzu viele Leute eingefunden haben, um Jimmy Edgar zu sehen, getanzt wird immerhin - und das um viertel vor Zehn. Ein anderer Kontext, eine andere Uhrzeit und eine Lautstärke, die diejenige, die nicht selten bei John-Cage-Aufführungen anzutreffen ist, etwas deutlicher überschreitet, wären Jimmy Edgar zu wünschen gewesen, dennoch: ein Höhepunkt des Donaufestivals. HipHop, Funk und House, tollpatschig eiernde Beats und verbogene Synths: Jimmy Edgar, du hast Wonky erfunden.
ondrusova
Nicht wenige Menschen sind am Samstag ausschließlich zur erstmaligen Sichtung von These New Puritans in Österreich nach Krems gekommen, kaum ein anderer Act im Festivalprogramm dieses Jahr ist so hip und, wie man sagt, now wie die vier mageren, blassen Menschen der Band aus Southend. War das Debüt der These New Puritans, "Beat Pyramid", vor zwei Jahren noch so etwas wie ein aus dem Geiste von HipHop erwachsener Post-Punk-Revival-Nachzügler, und schwamm bisweilen etwas ratlos in der Nu-Rave-Blase, so ist ihr aktuelles Album, "Hidden", vor allen Dingen eins: Ziemlich größenwahnsinnig und also wunderbar. Aufgenommen mit japanischen Taiko-Drums, Bläsern und Streich-Orchester und theoretischem Tüll, den Cabaret Voltaire, Throbbing Gristle und Wire gemeinsam zu beschäftigt gewesen wären sich zusammenzugrübeln, will die Platte nicht weniger als den dunklen Geist von Minimal Music, Steve Reich, dem Wu-Tang-Clan, von Joy Division und The Fall gleichzeitg atmen, die Tristesse der steingrauen Fabrikshallen in Manchester und Sheffield, die finsteren Bässe von Dubstep ebenso erfahrbar machen wie das pralle Leben in der Welt der Haute Couture und aus der theatralischen Luxuriösität in den Sounds eine Aura des Nackten, Kalten, Bösen und Schlechtgewordenen herausklopfen. Eine Band, in der Hedi Slimane, Mark E. Smith, Postpunk, Dub und dickbassige Elektronik hinter einen (engen) Gürtel passen, kann die übelste ja nicht sein.
In gutem schlechten Licht, hinter Nebelschwaden und glamourös leidend hinterlässt die Band einen leicht zweifelhaften Eindruck. Nach dem Konzert dringt aus dem Publikum ein Amalgam aus den Begriffspaaren "Sehr großartig!" und "Sehr langweilig!" ans Ohr. Aber so ist das ja immer. Im Ohr, im Leben. Im Konzert, das sich wenig überraschend zu großen Teil aus dem neuen Album speist, reichen sich wahrhaftig triumphale Momente und ein Dasein als Popanz die Hände. Das Drumming ist an diesem Abend wahrlich Königin, und wenn Sänger Jack Barnett spuckt und keift, funktioniert das alles ganz großartig, oder auch, wenn er sich da und dort zu einem Bobby-Gillespie-haften Madchester-SingSang aufschwingt. Bei den Gesangs-Passagen wird der Schmerzens-Pathos manchmal ein klitzekleines bisschen überspannt und hinter der großen Idee eines mächtigen, tatsächlich großartigen Soundentwurfs treten da stellenweise aber auch immer wieder die Möglichkeiten von vielleicht doch noch einer kleinen melodiösen Idee oder einem Stück Songhaftigkeit zurück. Insgesamt aber ziemlich erschütternd im besten Sinne, und "Elvis", der Hit vom ersten Album, versiegelt als Zugabe den Auftritt mit einem sicheren Endorphinmoment. These New Puritans: Super Band, ein Leben in Metallic-Grau, Sack und Asche kommen von Dior. Wenn wir kein Brot mehr haben, dann essen wir eben Kuchen.
fm4 ondrusova
Den Abend beschließt Marc Leclair, viel besser bekannt als Akufen. Nachdem aber zuvor Alec Empire im großen Saal Punk der Musealisierung anheim geführt hat, interessiert das hier kaum mehr jemanden. Vereinzelt stehen nur noch sehr wenige Menschen herum und warten auf Akufen. Oder sind zufällig vorbeigestolpert. Der kanadische Produzent Akufen hat 2002 mit dem Album "My Way" eines der besten - elektronisch und überhaupt - Alben des vergangenen Jahrzehnts veröffentlicht - gilt heute noch, die Platte. Mit "My Way" hat Akufen den Begriff "Microsampling" ausdefiniert, eine Technik, die nach dieser Platte nie wieder zu solch einer Höchstform gelangen sollte, dafür aber zur langsam ermüdenden Trendsportart unter weniger talentierten Produzenten geworden ist: Das Zusammenschnipseln von tatsächlich haarkleinsten Samples, größtenteils aus dem Radio aber auch aus Alltagsgeräuschen gewonnen. Seither war kaum etwas zu hören von Akufen, eine sehr schöne Mix-CD hat er für Fabric zusammengestellt, ein Album, eher dröge, unter eigenem Namen veröffentlicht. Im Interview sagt Leclair, dass noch ein - und bloß ein - Akufen-Album erscheinen wird, wann, das weiß auch er selbst nicht.
Der Auftritt von Akufen ist eher ein DJ-Set am Powerbook als ein Konzert. Überraschend traditionalistisch formt Leclair Deep House, eine dicke Dosis Funk, Chic-haftes, Philly-Fanfaren und perlende Elektronik zu einer zwar recht konventionellen, dabei aber wirklich umwerfenden Abfolge von Höhepunkten. Da und dort werden Stücke von "My Way" subtil in den Mix eingearbeitet, einzig gegen Ende hin darf sich der Überhit "Deck The House", den auch DJ Koze seinerzeits wochenlang in der Plattentasche spazieren geführt hat, in voller Pracht enfalten. Wunderbarer Abschluss des Abends, obwohl für Akufen noch mehr wahr ist, was auch für Jimmy Edgar gilt, mehr Menschen und höhere Lautstärke hätten der Angelegenheit gut getan. Ob das, was Akufen da aber an seinem Rechner vollführt hat, nun ein Konzert war, "Live", ein DJ-Set, Zitat, Cut-Up, Diebstahl, Aneignung, Re-Editing oder Neuarrangement, mögen bitte an anderer Stelle Burroughs und /oder Hegemann klären.