Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Das Rufus Wainwright Disziplinarverfahren"

Susi Ondrušová

Preview / Review

1. 5. 2010 - 13:16

Das Rufus Wainwright Disziplinarverfahren

Tag Drei am Donaufestival.

Als Reaktion darauf, dass keiner mehr Alben hört, sondern nur mehr einzelne Songs oder gar nur Statements einer Band wahrnimmt, kann der gestrige Auftritt von Rufus Wainwright verstanden werden. Seine "Songs For Lulu"-Tour, auf der Mr. Wainwright vom Publikum absolute Stille verlangt, nämlich vor, zwischen, während und nach den Songs ist ein laufendes Disziplinarverfahren. Wieder ein Bruch mit einer Pop-Konzerttradition. Das Publikum hält sich in Zaum. Einzelne Pssst-Rufe nach anfänglichem Klatschen lassen den Raum wieder in Stille erstarren. Bewegung passiert an den Tasten und auf der Leinwand. Eine Douglas Gordon Film-Projektion zeigt Rufus Wainwrights schwarz geschminkte/s Auge/n, das in Slow-motion blinzelt, gegen Ende Tränenwasser absondert. Auf dem Album "Songs For Lulu" verarbeitet Rufus den Tod seiner Mutter Kate McGarrigle, die Tour ist eine wandernde Trauerarbeit, die ihm eine Routine erlaubt und dadurch vor dem schwarzen Loch der privaten Depression schützen soll.

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Rufus und sein Backstage Klavierchen

Zivilisiert und konzentriert soll es zugehen, ein Liederabend in dem die Geschichte des Albums im Zentrum steht, Rufus Wainwright verschwindet im Dunkel der Projektion und macht sich durch das fehlende Feedback auch unangreifbar für Reaktion, letztendlich aber auch Emotion. Rufus liebt Österreich und seine klassischen Komponisten. Nervös macht ihn das. Hat man sich erst mal in dem Konzertrahmen zurechtgefunden und versucht sich auf das Konzert einzulassen, geht spätestens nach Track 3, dem wunderbaren "Martha", das Konzept flöten. Rufus Wainwright stimmt Track 4 vom Album an: "Give Me What I Want And Give It To Me Now" ist einer der wenigen uplifting Songs, die nicht in die Länge geatmet werden, sondern auch so etwas wie ein Tempo vorlegen. Aber: Der in einem Kostüm-Korsett am Klavierhocker drapierte Rufus verspielt sich, vergisst den Text, fängt von vorne an. Das erste Wort, das nicht am inneren Notenblatt steht und abseits der Lyrics fällt, heisst "shit". Prinzipiell alles ziemlich egal, man geht eben nicht in ein Konzert um eine perfekte 1:1 Darbietung eines Albums zu hören.

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Rufus und sein Gordon'sches Auge

Dass der gestrenge Rufus mit dem Perfektionsanspruch sich gerade bei einem Song verspielt, in dem er seine KritikerInnen verdammt ("I will eat you, your folks and your kids for breakfast!") ist fast schon ein Wink des Schicksals. Natürlich rettet sich Rufus Wainwright mit seinem Charme über diese Fehler hinweg. Spätestens bei "Zebulon" natürlich. Aber ein wenig verblüfft ist man trotzdem, ob dem Forderungskatalog an das Publikum, das sich dem Regime auch brav hingibt und dann fällt das Kartenhaus in sich zusammen, weil man merkt, wie schwierig sich der Künstler selber tut seine Erwartungen zu erfüllen. Dass er sich dann auch noch bei den wenigen Bühnenansagen in Vienna glaubt zu befinden ("I like this place too much!") hilft über das Gefühl der Themenverfehlung nicht hinweg.

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Beim zweiten Teil des Konzertes ist dann natürlich alles erlaubt, Klatschen, Schreien, Lachen und endlich auch reden, die Geographie wird korrigiert, Mozarts Geist beschwört, der Bühnencharme rettet Rufus über Textunsicherheiten hinweg. Man wird trotzdem nicht das Gefühl los, eine private Generalprobe erlebt zu haben, bei dem der Künstler mit halbem Tank in den Kampf gezogen ist. Man möchte lieber "the other night" dabei gewesen sein, als Rufus "so much better" war. Bei der letzten Zugabe, als Rufus einen Song seiner Mutter anstimmt, wünscht man sich den Songzyklus in umgekehrter Reihenfolge erlebt zu haben. Aber es ist zu spät natürlich. Weg ist er.

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Dafür kommt ER:

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Scott Matthew Superstar

Ebenfalls eine bescheidene, entzückende Diva ist Scott Matthew, der erst zwei Tage vor dem Festivalauftritt den Anruf bekommen hat: "Scotty you have to go to Austria", um für die ausgefallenen Matmos bzw. Soft Pink Truth einzuspringen. "Rufus is a tough one to follow" meint Scott noch am Nachmittag, noch dazu habe die Band die neuen Songs noch nicht geprobt. "I kinda loved that Rufus fucked up! It made me feel so much better! Here's to fucking up!" lacht Scott Matthew, nachdem er sich selber verspielt und die gleiche "I'm so nervous" Ausrede verwendet. Das Publikum nimmt ausgelassen am Konzert teil, hört sitzend oder schunkelnd jedem Wort zu. Man sollte ja keine Shows vergleichen, zwei große Künstler und wunderschöne Songs, aber das Herz schlägt rhythmisch und aufgeregt für den, der sich dem Bühnenrahmen auch ungekünstelt stellen kann. Wir wollten doch nur ein paar Songs hören und dann glücklich einschlafen. Aber jedem seine eigene Schlaftablette natürlich.

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Scott Matthew