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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

30. 4. 2010 - 15:27

Tabula Rasa. Not.

Elektronische Allein- und Zu-Zweitunterhalter an Tasten und Geräten: Tag 2 beim Donaufestival mit Max Tundra, den Fuck Buttons, Dan Deacon und Panda Bear.

Abgesehen von der sehr guten Vorbeugung vor Joy Divisions "Unknown Pleasures", die Deerhoof und Xiu Xiu da am frühen Abend mit viel Bewusstsein (Angst?) vor der Bedeutsamkeit der Geschichte auf die Bühne gestellt haben, geht es am Donnerstag ganz um elektronische Klangverwischungen und Beat-Schnitzerei an mit Gadgets und Gerätschaften vollgestellten Tischen, Pulten oder auch Gestellen. Mit Max Tundra, den Fuck Buttons, Dan Deacon und Panda Bear hat das Donaufestival vier Acts gebucht, die - bei aller potentieller Gemeinsamkeit und annehmbarer teilweiser Geistesverwandschaft - die Möglichkeiten an Knöpfen zum Drehen und zum Drücken, an Schaltern und Schiebereglern doch recht unterschiedlich deuten und so bestens in einer Nacht zusammenpassen, ohne dass der Ablauf all der heute zu erfahrenden funkelnden Geräusche allzu mechanisch zu einer faden, grauen Suppe werden muss. Mit der Post-Punk-Reminiszenz davor zusammengedacht protzt hier freundlich der programmtechnisch lückenlos am stärksten programmierte Festivaltag.

florian schulte

Max Tundra

Nur wenige Momente nach Verstummen der letzten traurigen Töne von "I Remember Nothing" im großen Saal fängt die kleine Bühne auch schon damit an vor Energie zu zucken. "Guten Abend! Ich bin Max Tundra." So viele Rhythmuswechsel und Tempoverwerfungen, so viele Geräusche, Fiepser, Quatsch und ein Pianino. Kann es funktionieren? Der Engländer Ben Jacobs hat unter dem Namen Max Tundra drei sehr gute Alben veröffentlicht, teils an verspulter Elektronika und zerzauster IDM orientiert, ohne dabei aber nur ansatzweise mit dem heiligen Ernst so manch eines Powerbookhandwerkers daherzukommen. Tundras letztes, bestes Album "Parallax Error Beheads You" stellt eine Art elektronische Herangehensweise an Prog-Rock dar. Max Tundra wird es schnell langweilig, er will mit jedem neuen Song einen neuen Style erfinden und in jeden Song 27 Ideen quetschen.

In seinem Stück "The Entertainment" singt Max Tundra "I Was Born To Entertain", niemand wird ihm widersprechen wollen. Er zappelt ziemlich, vollführt komplett falsch verstandenen Robo-Dance, seine Musik ist das Zuhause der Überraschung. Die Einfälle purzeln durcheinander: Euro-Disco und Indie-Pop, Maximal-Rave, Raschelraschel und Soul. Nur ist das alles nicht bloß witziges Gimmick, sondern gute, in den Häcksler geschmissene und sauber neu zusammenverfugte Musik - da kann auch schon mal "Single Ladies" von Beyoncé integriert werden. Max Tundra entschlackt R'n'B von seinem Lametta und übersetzt ihn in polternde Indie-Elektronik, die dabei aber um kaum einen Deut weniger bounct als die letzte Produktion von Just Blaze. Nunja, das ist vielleicht übertrieben, aber wir wollen hoffen, dass Kanye West schon bei Max Tundra angerufen hat.

ondrusova

Fuck Buttons

Mit Mützen auf dem Kopf, Neonkabel an der Ablagefläche und schick im Koffer platzierten Geräten senden die Fuck Buttons ein geiles Dröhnen in den Raum. Das Duo aus Bristol baut bis zum Anschlag mit Ekstase aufgeladene Emo-Drones und hat damit schon zwei wunderbare Alben vollgemacht. In geistiger Nähe zu Acts wie Wolf Eyes, wenn die denn zuckrige Melodien zulassen würden, entstehen da ewige Spannungsbögen, die die Funktionsweisen von Post-Rock und Shoegaze in Elektronik übersetzen. Ein Gleiten, ein Schwelgen, ein ständiges Auf- und Abschwellen. Verstärkt orientieren sich die Fuck Buttons in der jüngeren Vergangenheit am Dancefloor - Andrew Weatherall hat ihre aktuelle, herrliche Platte "Tarot Sport" produziert - und entlocken so ihrem Equipment nicht selten Beats, die auch in einem Techno-DJ-Set Platz fänden. Das alles ist in seiner, hm, "körperlich" eindrucksvollen Erfahrbarkeit - nicht zuletzt auch wegen der Lautstärke - ziemlich durchrüttelnd und super, bedient manchmal aber doch einen Tick zu formelhaft die ewig gleichen gefühligen Harmonie-Wechsel und good ol' Laut/Leise-Dynamik. Die Light-Variante von Black Dice. Spüren, spüren, nicht denken.

ondrusova

Dan Deacon

Die Großartigkeit von Auftritten von Dan Deacon hat sich vielleicht schon herumgesprochen. Eine Performance des Herrn aus Baltimore ist weniger Konzert als vielmehr Party und Mitmach-Workshop für alle. Fast alle. Dan Deacon hat seinen Wanderzirkus an komischen Klangerzeugern wie gehabt nicht auf der Bühne, sondern mitten im Publikum aufgebaut. Ein Vollidiot meldet sich immer wieder mit "Fuck You!" und ähnlichen Unangenehmheiten zu Wort und wird von Deacon ans Mikrophon gebeten. Schnell war er wieder ruhig. Und so regiert die Interaktion: Deacon feuert seine Ringelspiel-Beats und Cartoon-Geräusche ab, die für zuhause nicht immer geeignet sein mögen - den Dancefloor aber zerlegen sie immer gut. Immer beliebt bei Deacon: Der Dance-Contest. Das Publikum bildet einen Kreis, abwechselnd müssen Einzelne ihre freshesten Dance-Moves auspacken. Ein Ferienclub-Animateur, der ausnahmsweise die richtige Musik mithat. Der Moment, in dem nach Aufforderung Deacons so ziemlich alle die Tanzfläche fluten, ist einer der Besten, die man auf Festivals jemals miterleben hat dürfen.

Der Headliner Panda Bear ist ein großartiger Künstler, man hat davon gehört. Mit seiner Band Animal Collective hat er schon ein paar mal die Weltformel der Musikwahrnehmung verschoben, mit seinem dritten Solo-Album "Person Pitch" hat er vor drei Jahren eine Meisterwerk der verhuschten Klangforschung veröffentlicht. Eine Welt aus Watte. Panda Bear spielt an diesem Abend fast ausschließlich neues Material von seinem noch für dieses Jahr angedachten Album "Tomboy". Von der Sound-Ästhetik her sind die Stücke nicht allzu weit entfernt von "Person Pitch", etwas kürzer, konkreter als Popsongs gedacht, etwas mehr Gitarre darf auch wieder sein, weniger Samples als allesbestimmende Grundlage. Das alles ist live auch sehr wunderhübsch anzuhören, mit typisch anpsychedelisierten Visuals auch ein bisschen anzusehen, ganz die Euphorie, die man sich von einem Headliner vielleicht gerne erwarten würde, auszuschütten gelingt dem Panda Bear nicht. Aber vermutlich geht es ja auch ein bisschen darum, die Vermeidung von spitzen Höhepunkten und akustischen Skandalen, die Erschaffung einer Aura. Die Idee ist gut. Elektronische Schlieren, Klang-Collagen, verhallende Beats, melancholisch durchtränkte Harmonie-Gesänge. Panda Bear, du hast Chillwave erfunden.

ondrusova

Panda Bear