Erstellt am: 29. 4. 2010 - 17:05 Uhr
Die Disco-Diktatorin
"Here lies Love" will Imelda Marcos, Schönheitskönigin, Party Girl, Disco Queen und Frau des philipinischen Ex-Präsidenten Marcos, auf ihrem Grabstein stehen haben. Das Marcos-Regime war eines der korruptesten der jüngeren Geschichte. Das Ehepaar Marcos stahl nach Schätzungen 20 bis 30 Milliarden von seinem Volk. "Here lies Love" ist nun auch der Name eines Songzirkels, den David Byrne und Fatboy Slim über Imelda gemacht haben. Ein Nachtclub-Theaterstück, ein Potrait von Imelda aus ihrer eigenen Perspektive, mit Gaststimmen von Tori Amos, Santi Gold, Roisin Murphy und vielen mehr.
Nonesuch (Warner)
Ferdinand Marcos regierte die Philippinen von 1966 bis zu seinem Sturz 1986. Er war ein Vebündeter, manche meinen auch eine Mariontette der USA. Das Ehepaar Marcos veruntreute Millionen und ließ politische Gegner ermorden. Nach Jahren im Exil kehrte Imelda 1991 in ihre Heimat zurück und kandidierte ohne Erfolg für die Präsidentschaft. Letztes Jahr verkündete sie, sie wolle es wieder versuchen.
Meine Antennen sind nicht auf David Byrnes Zynismus-Frequenz eingestellt. Ein Club-orientiertes Theaterstück über eine Despotin, die Disco liebt? Warum? Ich las zum ersten mal über das Imelda Marcos Disco Theaterstück auf David Byrnes Webseite. Er zitiert dort den britischen Autor James Hamilton-Paterson, der auf den Philipinen lebte und einer der pointiertesten Kritiker von Marcos Regimes war und minutiöses die Korruption, den Verfall und die Gewaltexzesse beschrieb, die mit dem korrupten Regime von Marcos einhergingen. David Byrne zitiert auch James Hamilton-Paterson, der sinngemäß über Ferdinand und Imelda schreibt:
"Es gibt Momente, das scheint es, als ob die Geschicke der Welt in den Händen von Träumern liegen. Es liegt eine Traurigkeit darin, wenn man das Theater der Nationen verfolgt, nicht anders als Individuen helfen sie einander, ihre Wahnvorstellungen aufrecht zu erhalten."
David Byrne brachte dies zu folgender Einsicht: "A regime’s ideology whose hidden purpose is itself nothing more than to assuage the pain of a single person’s unhappy past.”
EPA/ROLEX DELA PENA
Das klang spannend für mich. David Byrne und sein Produktionspartner Fatboy Slim sind bei mir unter "kluge, nicht unpolitische Menschen" gespeichert. Jetzt liegt das Resultat, das Doppelalbum „Here lies love“, vor mir und erfüllt mich mit Übelkeit. Ich spreche ihre Sprache nicht. Ich bin mir nur nicht sicher, hat David Byrne ganze Arbeit geleistet, versteh ich das vor mir liegende Kunstwerk nicht oder ist es einfach nur Irsinn?
Am Cover ein weichgezeichnetes Foto von Imelda Marcos. Ein kleines Schirmchen hält sie über die Hochsteckfrisur. Kleine Blümchen auf den Puffärmeln des Kleides, nur der Blick der korrupten, glamourverliebten, shoppingsüchtigen Diktatorengattin ist traurig melancholisch. Vielleicht hat sie sich selbst so gesehen. Zerrissen zwischen ihrer Rolle als Landesmutter und dem Wunsch, ein schöner, beliebter, reicher Star zu sein. Mir wird schon wieder schlecht. Die Selbstwahrnehmung von Diktatoren, die sich in Disco-Phantasiewelten flüchten, erzeugt einfach nur Übelkeit bei mir. Ich versuche mit noch einem David Byrne Zitat mein Entsetzen zu bannen.
Die Frage, die mich interessiert, ist: Wie tickt eine mächtige Person? Was macht sie aus und wie definiert sie sich? Jeder Song auf "Here lies Love" bildet einen Moment in Imelda Marcos' Leben ab. Wer eine drastische Platte über Luxus, Korruption und Imperialismus erwartet, liegt aber falsch.
"Here lies Love" könnte Imelda gefallen. Sanfte, schmeichelnde Melodien, Latin- und natürlich Disco-Einflüsse sind zu hören. Hintergrundmusik für teure Schuboutiquen und Luxusrestaurants. Den Titeltrack singt Florence von Florence and the Machine. Sie leiht ihre Stimme der jungen Imelda, die sich bereit macht, die soziale Erfolgsleiter zu den dreitausend Paar Schuhen hinaufzuklettern. Santi Gold singt als Imelda auf "Please Don´t" darüber, wie sie Staatsmänner betört.
Schwer nach Disney Musical klingt es, wie David Byrne und Faboy Slim ihr Leben aufrollen. "Here lies love" ist das Irrsinnigste, das mir in letzter Zeit untergekommen ist, fallweise erscheint es mir wie eine zynische Übung, wie viel Scheiß man den Leuten unterjubeln kann.
Ich bin ratlos. Wenn irgendjemand eine Vermutung hat, was das soll oder ob es Sinn macht, darüber nachzudenken, bitte posten.