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Anna Mayumi Kerber Nairobi

Reportagen und Geschichten aus Ostafrika.

26. 4. 2010 - 17:16

Die Ware Mensch

Die Dahomey Könige standen ihren europäischen Handelspartnern in Sachen Grausamkeit wenig nach: Unterwegs auf der "Straße der Sklaven" im Süden Benins.

Für König Ghézos Palastbau mussten Sklaven geopfert werden.Ihr Blut diente als Bindemittel für die Lehmziegel. Als Ghézo1889 starb, nahm er 41 seiner Frauen mit ins Grab. Man verabreichte ihnen Gift. Auf dem Höhepunkt seiner Macht lebten 200.000 Menschen im Königreich Dahomey, wie das heutige Benin damals hieß. Nur 12.000 davon lebten in Freiheit. Der Rest: Sklaven.

Ouidah

Anna M. Kerber

Sklavendenkmal in Ouidah

Millionen von Menschen gingen einst über die „Straße der Sklaven“ im Süden Benins. Ein Denkmal dort erinnert der geteilten Schuld. Nicht nur die Europäer seien für den transatlantischen Sklavenhandel verantwortlich gewesen, sondern auch die Herrscher von Dahomey, wie das Königreich damals hieß. Im örtlichen Museum hängt eine Notiz mit dem Inhalt, dass die Dahomey Könige den Sklavenhandel zwar nicht initiiert, wohl aber davon profitiert hätten. Künstler, Vodoo-Priester, Tourguides und Restaurantbesitzer in Ouidah werden nicht müde, diesen Umstand zu betonen.

st george elmina

Anna M. Kerber

St. Georges Castle

Ein paar hundert Kilometer westlich, an der ehemaligen Goldküste, sieht man das ein bisschen anders. Das St. Georges Castle in Elmina zählt zu den drei wichtigsten Häfen im transatlantischen Sklavenhandel. Auch die Schiffe, die aus Benin kamen, legten hier einen Zwischenstopp ein. „How Europe underdeveloped Africa“ lautet der Titel jenes Buchs, das die Regale des Museumsshops dominiert. Die Botschaft von Walter Rodney ist eindeutig – der Fingerzeig auf die Europäer unübersehbar.

Die Goldküste wurde später auch „Grab des weißen Mannes“ genannt, da zahlreiche Europäer hier Malaria und anderen Tropenkrankheiten erlagen

1371 kamen die Portugiesen, dann die Holländer und anschließend die Briten and die Goldküste, wie das heutige Ghana genannt wurde. Wie der Name vermuten lässt, interessierten sich die Europäer zunächst für das Gold, das es dort gab. Mit der industriellen Revolution jedoch wurde der Bedarf an Arbeitskräften größer. Der Menschenhandel florierte.

Chris Cummins führte bereits einmal durch die schaurigen Gewölbe des St. George Castle. Hunderte von Menschen warteten oft monatelang dicht zusammengepfercht in dunklen Kerkern auf jene Schiffe, die sie in die Neue Welt brachten. In ihren eigenen Exkrementen, in drückender Hitze, oft tagelang ohne Lebensmittel. Es waren weiße Europäer, die die Forts führten. Hier, wie auch in Cape Coast, nur wenige Kilometer von Elmina entfernt. Zweifelsohne hatten sie einheimische Kollaborateure, doch fand die Jagd auf Menschen unter europäischer Führung statt. Für die Gefangenschaft unter menschenunwürdigen Umständen waren die Weißen verantwortlich.

In Benin dagegen trugen einheimische Könige wie Ghézo zur „Entlastung der Europäer“ bei. Das finden zumindest die Menschen in Ouidah und in Abomey, der ehemaligen Hauptstadt des Königreichs. Zum einen hielten sich die Dahomey-Könige selbst Kriegsgefangene als Sklaven. Zum anderen standen sie später ihren europäischen „Handelspartnern“ in Sachen Grausamkeit wenig nach.

Zunächst waren es Kriegsgefangene, die die afrikanischen Könige weiterverkauften. Die so ertauschten Güter waren jedoch zu verlockend. Sie eröffneten die Jagd auf Menschen. Um mehr Waffen von den europäischen Sklavenhändlern erwerben zu können. 15 Männer gegen eine Kanone. Bei Frauen mussten 25 Exemplare herhalten. Außer sie waren schwanger – dann zählten Frauen dreimal so viel, da sie ja zusätzliche zukünftige Arbeitskräfte bargen. Nicht selten wurden Mädchen und Frauen deshalb „zwangsgeschwängert“. Mit den Waffen der Europäer waren die Dahomey-Könige ihren afrikanischen Kollegen überlegen, Machterhalt und die Ausweitung ihres Reichs gesichert.

Die Europäer in Ouidah hielten sich vornehm zurück. Sie überließen die „Drecksarbeit“ den afrikanischen Kollaborateuren: Menschen finden, fangen, fesseln; sie wochen- und monatelang an die Küste treiben.

Mit den Sklaven gelangte auch der Vodun-Kult in die Neue Welt, wo er sich heute noch großer Beliebtheit erfreut. Jedes Jahr findet in Ouidahein ein Festival statt, zu dem Vodoo-Anhänger aus aller Welt anreisen.

Auf die ihnen gemeinsame Kultur vergaßen die Handlanger der afrikanischen Könige dabei nicht. Sie trieben die Gefangenen um den „Tree of Forgetness,“ damit sie ihre Heimat, ihre Kultur, ihre Wurzeln vergaßen. Männer drehten neun Runden, Frauen sieben – der vermeintlichen Anzahl ihrer Rippen entsprechend. Einen anderen Baum galt es drei Mal zu umrunden. Damit die Seele, wenn sie denn eines Tages vom Tode erlöst wurden, wieder zurückkehren konnte. So sah es der Vodun-Kult vor.

Ouidah

Anna M. Kerber

Zusammengepfercht, in Ketten gelegt und auf eiserne Kandaren beißend ließen sie ihre „afrikanischen Brüder“ auf die Schiffe der Europäer warten. Am „Point of no return“ wurde ihr Schicksal endgültig besiegelt. Heute markiert ein Torbogen die Stelle, wo einst die Pirogen anlegten, um die Sklaven auf die großen Schiffe zu bringen. Wer nicht den Freitod wählte und über Bord sprang, landete auf dem Unterdeck der europäischen Handelsschiffe. Geschichtet wie Ölsardinen ging es monatelang über den Atlantik – letzter Zwischenstopp: Elmina...

Elmina

Anna M. Kerber

Elmina
point of no return oui

Anna M. Kerber

Die vier Kilometer lange „Straße der Sklaven“ in Ouidah wird mit Vodoo-Fetischen gesäumt. An verschiedenen Stationen erinnern Denkmäler an die grausame Geschichte des Sklavenhandels. Die „Route d’Esclaves“ endet am „Point of no return,“ der heute zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt.

Als sich die Briten – noch vor einem weltweiten Verbot – vom Sklavenhandel abwandten, soll Ghézo gesagt haben: „Der Sklavenhandel ist das Herrschaftsprinzip meines Volks. Es ist die Quelle und der Ruhm ihres Wohlstands. Die Mutter wiegt das Kind in den Schlaf mit Geschichten über den Triumph über einen Feind, der in die Sklaverei bezwungen wurde...“ 1850 wurde in Brasilien ein Anti-Sklaven-Gesetz erlassen, das den Niedergang des transatlantischen Sklavenhandels einläutete.