Erstellt am: 23. 4. 2010 - 18:32 Uhr
5 Jahre Spektral

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Durch die Türe aus dem Büro kommt ein Mädchen in die kleine Küche und schaut in einen der Töpfe am Herd: "Ist der Reis vegan?" Ich wusste nicht, dass Reis auch nicht vegan sein kann. In der Küche des Spektrals am Grazer Lendkai kocht man ausschließlich vegetarisch, wäre Butter im Topf zerschmolzen, wäre der Reis nicht mehr vegan.
Diese Belehrung ist mittlerweile schon einige Jahre her, das Spektral feiert am 24. April sein fünfjähriges Bestehen. Als Drehscheibe für Wissen bezeichnet Flo Rüdisser die Institution, die Raum und Strukturen für alle bietet, die "aktiv werden wollen".
Die Plattform zum Schutz der Murauen trifft sich im geräumigen Kulturcafé des Spektrals, es gibt freies W-Lan und Getränke für eine Spende nach eigenem Ermessen, außerhalb des Hauses lädt eine andere Gruppe zu Wald- und Wiesen-Yoga. Der Verein Free Future Sources, der hinter dem Spektral steht, möchte konsumfreie Alternativen zu einer mit Fernsehen und Shoppen verbrachten Freizeit anbieten. "Leute kommen hier auf Ideen", sagt Julia Brugger. Für sie ist das Ziel des ursprünglichen Community Projekt-Experiments, dass erkennbar wird, was man alles selber machen kann. "Ok, wie eine Fensterscheibe gebrochen war, haben wir einen Glaser angerufen", schmunzelt sie.

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Give 'em PARTYcipation! - 5 Jahre Spektral,
24. April, 11.00 bis Sonnenaufgang,
Lendkai 45, Graz.
Am Programm: Buttons-, Recycle Puppets- und Siebdruck-Workshops.
Um 18 Uhr wird diskutiert zu "Lebensfreude, Hoffnung und prekärem Wahnsinn".
Ab 22.00: Mieze Medusa & Tenderboy, Deasel Weasel und Wikiki Star Destroyer.
Anschließend DJanes und DJs wie simon/off (houseverbot), cheever (spiralsfirst) oder feelipa (disko 404/cfsn).
DYI von der Organisation zum Siebdruck
Pflanzen keimen in Fächern vor einem Fenster. Im Kellergewölbe hat der Verein Traumwerk in Kooperation mit dem Spektral eine Werkstatt eingerichtet, die mit selber gebautem Siebdrucktisch, Nähstube, Töpferscheiben und Tonofen, Hobelbank und Schweißgerät sowie Mechatronik-Arbeitsplatz ausgestattet ist. Auf die Schnelle fällt einem kein Handwerk ein, das man noch gerne ausüben würde. Alles da. "Wir siebdrucken nicht auf Second Hand-Kleidung, nur weil es lustig ist. Sondern um aufzuzeigen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, schöne Sachen zu tragen, ohne dafür arbeiten gehen zu müssen, um kaufen zu können", erklärt Julia Brugger. Seit drei Jahren engagiert sie sich im Spektral. Die Frage nach der politischen Ausrichtung will sie dennoch nicht mit ökologisch und antifaschistisch abgesteckt wissen. Das wäre wieder eine Einschränkung. Es geht um Selbstbestimmung.
Kein besetztes Haus
"Bitte, zieh' dir die Schuhe aus", müssen die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des öfteren neuen BesucherInnen sagen. Den schönen Parkettboden haben Freiwillige vor drei Jahren eingezogen, ein Regal mit Filzpatschen steht im Eingangsbereich. "Wenn du mehrmals mit den Straßenschuhen durchgehst, kannst du dann einmal im Monat bodenwischen?" Einigen wurden die Böden im vergangenen Herbst zu schmutzig, zum Aufwaschen hat kaum einer nochmal vorbeigeschaut. Seitdem wird für den Putzdienst bezahlt. Aber das war eine schwierige Entscheidung, schließlich postulieren die Vereinsmitglieder Eigenverantwortung und wollen sie leben.

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Ein weiteres Kulturzentrum fordern die Initiatoren des Projekts A–Z, und zwar ein autonomes. Mit sechs Hausbesetzungen in Graz seit 2007 kämpft die lose, basisdemokratisch organisierte Gruppe um ein Gebäude.
Ein Haus in der Grabenstraße in Hand der Bundesimmobiliengesellschaft ist ihr Wunschobjekt, das Konzeptpapier von Projekt A–Z sieht einen Kost-Nix-Laden, Kindercafé, Waschküche, Esszimmer und Küche, Werkstätten und Bandproberäume vor. Die Nutzung soll allen frei stehen.
Hierarchiefrei will gearbeitet werden. Doch wenn keiner über besondere Rechte verfügt und sich alle einbringen dürfen, ist es schwierig, Pflichten zu verteilen. Dessen ist man sich im Spektral bewusst und seit einigen Monaten gibt es einen Social Contract, der Richtlinien festhält. Wer ihn unterzeichnet, bekommt den Zugangscode für die Haustüre und kann die Infrastruktur außerhalb der regulären Öffnungszeiten nützen.
Ein besetztes Haus ist und war das Spektral nie. Förderungen kommen vom Land Steiermark und der Stadt Graz, der Verein zahlt reguläre Miete. "Genau aus diesem Grund ist das Spektral nicht unabhängig", sagt Julia Brugger. Ein Kulturzentrum, wie es das Projekt A–Z sich wünscht, würden Florian Rüdisser und Julia Brugger begrüßen - "gerade als Gegengewicht zum Spektral", erklärt Brugger, die wie Gründungsmitglied Rüdisser als einzige geringfügig beschäftigt sind. All das, was seitens der Aktivisten der letzten Grazer Hausbesetzungen gefordert wurde, wird im Spektral seit geraumer Zeit umgesetzt und angeboten. Doch Julia Brugger sagt: "Hier kann man nicht organisieren, was in einem besetzten Haus zu schaffen wäre: Wohnraum."
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Durch die Küche, in der AktivistInnen des Verein gegen Tierfabriken regelmäßig für eine Volxküche vegane Kochkünste pflegen, geht es durch den Hausflur und die Stiegen hinunter zu den Kellerräumlichkeiten. Neben der Traumwerk-Werkstatt ist eine Galerie eingerichet. Am Ende des Ganges führt ein Lagerraum, wo ein metallischer Kasten den Server des freien Netzwerks FunkFeuer birgt, zu den neu eingerichteten Schnittplätzen.
Lange Zeit hindurch trafen sich die FunkFeuer-Netzwerker im Spektral, bis ein eigener Realraum gefunden war. Den Audioraum, in dem elektronische Musik produziert wurde, löst nun der neue "m[i]idea room" ab. Auf Dauer fanden sich nicht genug Menschen, um die kostenfreien, doch zeitintensiven DJ- und VJ-Workshops anzubieten. Für den frisch ausgemalten und mit einem neuen Teppichboden ausgestatteten Kellerraum sind seit kurzem die FilmemacherInnen von IG Filmen zuständig. Auch hier gilt: grundsätzlich darf jeder die Plätze nützen. Dreht man ein Tape nach dem anderen, kann man im m[i]idea room einen Film daraus machen und bekommt Anleitungen von der IG Filmen.

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An einem der zwei Schnittplätze hat Daniel Zur die Kurzdokumentation über das Spektral fertiggestellt, in dem der Israeli seit Herbst in seinem freiwilligen Jahr mitarbeitet. Premiere hat die Doku, die auch Diskussionen nicht ausspart, bei der 5-Jahres-Feier. In einer Szenen wird die Nächtigungsproblematik thematisiert. Es störe doch niemanden, wenn man über Nacht bleibe, morgens tue sich ohnehin wenig. Keine Diskussion mehr, Schlafmöglichkeit gibt es schon allein aus rechtlichen Gründen keine im Spektral.
Julia Brugger setzt sich für eine Zigarette auf die Stufen vor der Eingangstüre ins Freie. Das komplette Spektral ist rauchfreie Zone. Birgit Polzer, die mit einer Freundin kurz in der Traumwerk-Werkstatt war, zieht sich ihre Schuhe wieder an. Groß ist die Fluktuation im Spektral, Leute engagieren sich, kommen und gehen.

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Um die Institution am Laufen zu halten, verbringt eine Handvoll Menschen einmal die Woche mehrere Stunden bei einem Arbeitstreffen. "Aber das liegt daran, dass wir zu viele Ideen und zuviel Enthusiasmus haben", erklärt sie. "Wobei: zuviel Enthusiasmus kann man eigentlich gar nicht haben! Es müsste möglich sein, dass mehr Leute mehr Zeit hineinstecken." Geld verdienen könne sie in ein, zwei Jahren auch noch, ihr Kulturmanagement- und Spanisch-Studium hat sie abgeschlossen. Flo Rüdisser hat indessen sein Studium sein gelassen und ist freischaffender Kulturmanager. "Dieses Experiment zu wagen, Modellcharakter und Teil eines Netzwerks zu sein, das die Gesellschaft wandelt, dafür schätze ich das Spekral". Für ihn ist das Experiment im Haus am Lendkai längst zu einer Lebensaufgabe geworden.