Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Der schöne Tod"

Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

22. 4. 2010 - 14:16

Der schöne Tod

Das Crossing Europe Filmfestival in Linz zeigt Pariser Bomben und andere Explosionen.

Da ich beim Crossing Europe Filmfestival die Genre-Reihe "Nachtsicht" kuratiere, gibt's über diese Filme hier nix zu lesen.

Filmfestivals dealen mit Ephemera, mit Eintrittskarten in andere Welten, die schon nach kurzer Zeit ihre Gültigkeit verlieren müssen. In den Sichtungsräumen, den Kinos dieser Welt, eben auch jenen hier in Linz, forschen die Besucher dem Flüchtigen nach. Schnell heißt es dann: Oh, da hat sich ja eine Bewegung formiert, so interessant, wie sich mehrere Filmemacher mit einem bestimmten Thema auseinander setzen. Nun, Kino ist immer Welt, weil Regisseure von der Welt um sie herum geprägt und beeinflusst werden, Teilstücke daraus künstlerisch neu bedeuten und umformulieren. Insofern ist es auch keinesfalls verwunderlich, dass man im Moment vielen Arbeiten begegnet, die sich auf die eine oder andere Art mit Religiosität und/oder Fundamentalismus beschäftigen. Weil diese Themen das Öffentliche wie das Private im Jetzt unweigerlich mitbestimmen müssen, sicherlich auch weil diese Themen so tief in einen stoßen, die rationale Ebene durchbrechen und schnell, ruckzuck, in die Tiefen vordringen, in die Angstlustwelten, die immer schon des Kinos liebste Spielwiese gewesen sind.

Buffet

Crossing Europe

Das experimentelle Buffet bei der Eröffnungsfeier am Dienstag

Bruno

Das Crossing Europe Filmfestival bringt mit seiner originell-eklektischen Mischung aus Erwartbarem und Unerwartetem immer auch solche Themen, Trends kann man sagen, an den Tisch, als Publikum frisst und frisst man, bis man nicht mehr kann. Jetzt habe ich im Vorfeld schon einiges gelesen und vieles gehört über den neuen Film von Frankreichs Bürgerschreck Bruno Dumont. Ein veritabler Ideenregisseur, dessen lang gezogenes, akademisches Proletarier-Soziogramm L'humanité (1999) ihn bekannt gemacht hat, der mit seinen aggressiven und ziemlich dämlichen Folgefilmen Twentynine Palms (2003) und Flandres (2006) die meisten seiner Anhänger wieder verloren hat.

Im Oktober plaudere ich während einer Viennale-Filmpause mit einer der Programmverantwortlichen der Filmfestspiele von Venedig, die Dumonts aktuellen Film Hadewijch damals bereits gesehen und ihn als „disgrace“ und „one of the most despicable movies ever made“ bezeichnet hat. Von da an war ich interessiert. Denn wenn immer ein Film aufregt, dann muss er zumindest eine Position beziehen.

Nonne, junge Frau

Crossing Europe

Auf der Suche nach Erlösung: Hadewijch (rechts) mit Nonne

Im Namen Gottes

Und das macht „Hadewijch“ tatsächlich. Dumont führt darin seinen bekannten Stil, in dem er naturalistische Bilder mit mythologisch überhöhten, man kann sagen fantastischen Figuren kreuzt, fort und beginnt zu erzählen von einer Bürgerlichentochter namens Hadewijch – ihr Name ist abgeleitet von der gleichnamigen niederländischen Mystikerin und Dichterin aus dem 13. Jahrhundert. Zu Beginn begegnet man ihr auf dem Anwesen eines alten Klosters, das über der grünen Natur hängt wie menschgemachtes Unheil, gleichsam aber auch Ruhe und Stille ausstrahlt. Die Mater Superior rät der jungen Frau ab, Nonne zu werden: Zu extrem sei ihre Auslegung des christlichen Glaubens.

Hadewijch weigert sich etwa zu essen, verfüttert ihr letztes Brot an die Vögel. Also kehrt sie zurück in die mit Goldornamenten zugemüllte Repräsentationswohnung ihres Ministerpapas, lernt in einem Pariser Straßencafé einen jungen Mann mit arabischem Hintergrund kennen. Dessen Bruder stellt sich als streng gläubiger Muslim heraus, der sich mit der streng gläubigen Christin Hadewijch anfreundet: Gemeinsam trotzen sie der dinglichen Welt mit spirituellen Wahnvorstellungen, reisen in den Libanon, bereiten sich beide vor für ihre Bestimmung, Erfüllung und körperliche Auflösung als Soldaten Gottes.

Frau, Wald

Crossing Europe

Vom Gehen im Wald: Hadewijch

Es ist recht schnell klar, weswegen sich einige über Dumonts Film echauffieren können und müssen: Der islamistische Extremist verführt das Christenkind zum Bombenlegen. So ist es aber nicht: Der Regisseur weist viel mehr auf etwas Gültiges hin, nämlich dass jedwede Religion, ja, tatsächlich jedweder Gottesglauben in sich das Potenzial zur gewaltsamen Auslegung birgt, dass der Extremismus im Nahen und Mittleren Osten vor allem eine Erscheinung der dortigen Armut, insgesamt der dortigen Lebenssituation ist und keine Mentalitätssache oder Veranlagung, die in den Boulevardmedien und nicht nur dort immer wieder kolportiert wird.

Der Wohlstandsgesellschaft mit all ihrer Gemäßigtheit wird der Spiegel vorgehalten, sie bekommt ihre Endlichkeit gezeigt und das tut weh. Auch mir. „Hadewijch“ ist kein guter Film, aber es ist eine von Bruno Dumonts besten Arbeiten, weil er darin endlich Position bezieht, weil er etwas zu sagen hat.

Um Gottes Willen

Nackte

Crossing Europe

Bad im Paradies: Dogtooth

Was man in „Hadewijch“ fühlt, das ist auch eine gewisse Gültigkeit von spirituellem Extremismus, ausgehend von einer Unfähigkeit oder einem Unwillen, die kaputte spätkapitalistische Welt, in der die Figuren und in der auch wir leben, zu verarbeiten oder gar zu verstehen. Es ist eine Fluchtbewegung, zuerst ins radikal Innerliche, das dann vermittels einer Explosion nach Außen gekehrt wird. Ein Ausbruch, auf den die Figuren in Yorgos Lanthimos exzentrischer Komödie Dogtooth noch warten müssen, vielleicht bis in alle Ewigkeit. Deren griechisches Luxusheim ist umwachsen von geometrisch zugeschnittenen Hecken: Ihr Eden ist gleichzeitig Paradies und Gefängnis.

Die Kinder entwickeln in der vollkommenen Abschottung ihre eigene Sprache, deuten Wörter um, erfinden neue hinzu. Probleme ergeben sich für die fürsorglichen, Angst erfüllten Eltern erst mit der Geschlechtsreife ihrer Sprösslinge. Als sie für den Burschen ein Mädchen ins Paradies entführen, bekommt das Ökosystem mit Pool erste Risse, die bald drohen, all das, was ist, aufzufressen.

Frauen, Gesang, Gitarre

Crossing Europe

Und die Zeit, die steht still: Dogtooth

FM4 begleitet das Festival on air und online.

Bei „Dogtooth“ muss man viel lachen: Die Schauspieler haben großartige Gesichter, die Dialoge sind dadaistisch. Ein Nonsensuniversum, sollte man meinen, das für den Betrachter aber erstaunlich viel Sinn ergibt. Alles vergeht, im Leben wie im Kino: Und immer, immer wieder versuchen wir alle ewig zu sein, versuchen einen Zweck zu melken aus dem Chaos um uns herum, versuchen etwas zu schaffen, was bleiben wird. Im Innen oder im Außen.

Im Dunkel des Saals, eingehüllt in diese Fehleinschätzung, dass alles da oben Fantasie sein muss, ertragen wir die Wahrheit, dort bekommen wir unsere eigene Endlichkeit vorgeführt. Auf der Leinwand sterben wir alle ein Stück mit, insgeheim wissen wir: Schnell ist alles vorbei.